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Assange-Klage fallenlassen!

US-Präsident Biden, lassen Sie die Klage gegen Julian Assange fallen! Whistleblower Daniel Ellsberg sieht im Verfahren einen Angriff auf die Pressefreiheit. Er fordert das US-Justizministerium auf, auch ihn anzuklagen, während sich fünf große Zeitungen hinter Assange stellen. Wird Publizieren zum Verbrechen?

US-Präsident Joe Biden treibt das kontroverse Strafverfahren gegen Julian Assange, den Gründer der Whistleblower-Website Wikileaks, voran. Assange sitzt seit fast vier Jahren im strengen britischen Belmarsh-Gefängnis. Er erhebt seitdem Einspruch gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten, wo er wegen Spionage und Computerbetrugs angeklagt ist, was ihn für 175 Jahre in ein Hochsicherheitsgefängnis bringen könnte.

Unterdessen wird das US-Verfahren gegen Assange hierzulande zunehmend als Bedrohung der Pressefreiheit kritisiert. Im Dezember haben zwei Personen das Justizministerium gebeten, auch sie anzuklagen – was weitreichende Auswirkungen auf den Fall haben könnte.

Es handelt sich um John Young, der die Wikileaks verwandte Website Cryptome.org betreibt, und den legendären Whistleblower der Pentagon Papers, Daniel Ellsberg. Sie fordern, dass auch gegen sie Anklage erhoben wird, weil sie die gleichen Dokumente veröffentlicht und/oder aufbewahrt haben, für die Julian Assange angeklagt wird.

1971 übergab Dan Ellsberg die sogenannten Pentagon Papers, die eine andere als die offizielle Geschichte der US-Beteiligung am Vietnam-Krieg offenbarten, an mehrere Zeitungen, darunter die New York Times und die Washington Post. Die daraus resultierenden Berichte erschütterten die Nation und ließen die öffentliche Unterstützung für den Krieg weiter schwinden.

Präsident Richard Nixon war wütend und organisierte eine kriminelle Kampagne, um Ellsberg zu vernichten und die weitere Veröffentlichung der Papiere zu verhindern. Nixon scheiterte mit beiden Versuchen, und das Verfahren gegen Ellsberg wurde vom Gericht eingestellt.

Heute sieht Dan Ellsberg, der mit seinen 91 Jahren noch immer politisch hellwach ist, im Fall gegen Julian Assange deutliche Parallelen, die seiner Meinung nach die Argumente der Regierung entkräften. “Assange wurde, wie ich, illegal überwacht. In seinem Fall wurden sogar die Gespräche seiner Anwälte und seiner Ärzte überwacht”, sagte Ellsberg auf dem Nachrichtenkanal Democracy Now!

Es wurde darüber debattiert, ihn zu entführen, zu töten oder zu vergiften, so wie ein Dutzend CIA-Mitarbeiter damals am 3. Mai 1973 von Präsident Nixon aus Miami geholt wurden und den Befehl erhielten, mich, Daniel Ellsberg, “außer Gefecht” zu setzen.

John Youngs Website Cryptome.org veröffentlichte dieselben “Cablegate”-Dokumente bereits einige Tage früher als Wikileaks. Das Material ist immer noch auf der Website verfügbar. “Mir ist unklar, warum sie, wenn sie ihn anklagen, nicht auch uns angeklagt haben”, teilte der 87 Jahre alte Young mit.

Alle von uns, die eine ähnliche Arbeit machen, um der Öffentlichkeit zu dienen und nicht der Regierung, sollten mehr tun als nur zu protestieren. Wir müssen mehr Aufsehen erregen, mehr rechtliche Schritte einleiten und mehr veröffentlichen, das ist unsere Pflicht als Bürger … Die nationalen Sicherheitsleute sind völlig außer Kontrolle. Sie versuchen, Assange als Bedrohung zu benutzen gegen alle anderen, nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt.

Prozess der Nachrichtenbeschaffung soll kriminalisiert werden

James Goodale, renommierter Anwalt für Verfassungsrecht, der als junger Unternehmensjurist der New York Times gegen die Nixon-Regierung wegen der Pentagon-Papiere gekämpft und gewonnen hat, stimmt dem zu. In einem kürzlich erschienenen Artikel in The Hill schreibt Goodale:

Da Cryptome die Leaks früher als Assange veröffentlicht hat, sollte Assange für diese Veröffentlichung nicht haftbar gemacht werden.

Kurz nachdem die Anklageschrift des Justizministeriums gegen Assange 2019 enthüllt wurde, sagte Goodale auf Democracy Now!:

Wenn die Regierung mit dem Prozess gegen Assange Erfolg hat, wird das bedeuten, dass sie den Prozess der Nachrichtenbeschaffung kriminalisiert hat.

Große Zeitungen, die bei der Veröffentlichung der durchgesickerten Dokumente mit Wikileaks zusammengearbeitet haben, appellierten kürzlich in einem gemeinsamen offenen Brief an die Regierung Biden, die Anklage fallen zu lassen. In dem Brief heißt es:

Vor zwölf Jahren, am 28. November 2010, veröffentlichten die fünf internationalen Printmedien – die New York Times, der Guardian, Le Monde, El País und Der Spiegel – in Zusammenarbeit mit Wikileaks eine Reihe von Enthüllungen, die weltweit für Schlagzeilen sorgten. “Cable Gate”, eine Sammlung von 251.000 vertraulichen Telegrammen des US-Außenministeriums, enthüllte Korruption, diplomatische Skandale und Spionageaffären auf internationaler Ebene … Wir schließen uns jetzt zusammen, um unsere große Besorgnis über die fortgesetzte Verfolgung von Julian Assange wegen der Beschaffung und Veröffentlichung von Verschlusssachen zum Ausdruck zu bringen.

Dan Ellsberg antwortete auf den Brief:

Ich bin sehr froh, dass die Times, El País, Le Monde, The Guardian und Der Spiegel, die ausländischen Medienunternehmen, endlich begriffen haben, dass ihre Redakteure genauso ausgeliefert werden können wie Julian …, was bedeutet, dass jeder dieser Redakteure genauso anklagbar ist wie er, mit genau den gleichen Vorwürfen.

Ellsberg fügte hinzu: “Sie haben endlich begriffen, was ich ihnen seit 50 Jahren, buchstäblich seit meinem Prozess, erfolglos gesagt habe.”

Während sich der Rechtsstreit hinzieht, verschlechtert sich Julian Assanges Gesundheitszustand im Gefängnis unter Bedingungen, die Nils Melzer, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Folter, nach einem Besuch bei Assange in Belmarsh als “grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung, die kumulativ dieselbe Wirkung wie psychologische Folter hat”, bezeichnete. Julian erlitt im Oktober 2021 im Gefängnis einen Mini-Schlaganfall und erkrankte später an COVID-19.

Präsident Biden sollte die Anklage gegen Julian Assange fallen lassen. Wie die fünf Zeitungen in ihrem offenen Brief feststellten, ist “Publizieren kein Verbrechen”.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Programm Democracy Now. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann. Bitte beachten Sie die Lizenzbedingungen CC BY-NC-ND 3.0 US. Die hier übernommene Fassung ist von telepolis.de

Amy Goodman ist Gründerin, Produzentin und Moderatorin der täglichen, unabhängigen Grassroots-News-Hour Democracy Now in den USA, die auf 1400 Fernseh- und Radiostationen weltweit gesendet wird. Sie hat zahlreiche Preise erhalten, wie die von der Harvard University verliehene I.F. Stone Medal for Journalistic Independence Livetime Achievement. Als erste Journalistin erhielt sie zudem den Right Livelihood Award, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis. Goodman hat sechs New-York-Times-Bestseller geschrieben. Ihr letztes Buch heißt: “Democracy Now!: Twenty Years Covering the Movements Changing America”.

Denis Moynihan arbeitet seit 2000 mit Democracy Now zusammen. Er ist ein Bestsellerautor und Kolumnist bei King Features. Er lebt in Colorado, wo er den Community-Radiosender KFFR 88.3 FM in der Stadt Winter Park gegründet hat.

Über Amy Goodman, Denis Moynihan / Democracy Now:

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Ein Kommentar

  1. Annette Hauschild

    Außenministerin Baerbock vertraut auf die Rechtsstaatlichkeit der US-amerikanischen Justiz und Kulturstaatsministerin Claudia Roth ebenfalls. Will heißen, sie helfen nicht.

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