Beueler-Extradienst

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Deutsche Lächerlichkeit

Betriebsblinde mediengetriebene Regierungsqualität setzt sehr viel aufs Spiel

Deutsche Medien regen sich heute über ein missratenes Video der Rüstungsministerin auf. Ich sehe es mir nicht an, verzichte auch auf Verlinkung. Manche meinen, deswegen müsse Frau Lambrecht zurücktreten. Ist mir egal. Besser würde dadurch nichts. Der Fall repräsentiert ein weit wichtigeres Problem: die mangelhafte strategische Kompetenz einer Bundesregierung. Nicht jede*r muss alles wissen und können, auch Minister*innen nicht. Sie brauchen Mitarbeiter*innen, und davon viele, und die intelligent und leistungsstark. Haben sie aber nicht (mehr). Mann nennt es Fachkräftemangel.

In diesem Jahr soll es eine neue Tarifrunde im öffentliche Dienst geben. Mit der Ausrede der “sicheren” Arbeitsplätze wurden die Beschäftigten jahrzehntelang tarifpolitisch diskriminiert. So passierte wenig überraschend, dass die starken, schlauen und engagierten dorthin gingen, wo besser bezahlt wird – nicht bei der Regierung. Das weiss heute jede*r Bundesminister*in und berühmt-berüchtigte Bundeskanzler: das “richtige” Geld wird erst nach dem Regieren verdient. Entsprechend die Regierungsqualität.

Gestern korrespondierte ich mit einem österreichischen Freund über David Schalko. Der hat in den letzten Jahren nach meinem Gefühl die besten Filme aus Österreich geliefert. In der FAZ (Paywall) verglich er die deutsche mit der österreichischen Regierung: “Wie die Welt Deutschland sieht: Wie gut schläft Olaf Scholz? – Der Deutsche macht alles richtig. Man hat als Österreicher aber das Gefühl, die politische Blickrichtung Deutschlands ändert sich gerade. Wenn auch nur widerwillig.”. Die deutsche schnitt dabei – was für ein Kunststück –  verhältnismässig gut ab. “Österreich ist die Halbwelt von Deutschland. Während sich die deutsche Identität der letzten Jahrzehnte aus Schuld speiste, regierte in Österreich die Schamlosigkeit. Nach dem Abgang von Sebastian Kurz mussten wir uns kurz Sorgen machen, dass wir in eine Identitätskrise stürzen. Diese Sorge scheint glücklicherweise unbegründet. Österreich bleibt auf allen Ebenen vulgär und schamlos.” Zugegeben: da können “wir” nicht mithalten.

Mein Freund aus Wien kritisierte dennoch, bei Schalko habe Scholz zu gut abgeschnitten. Ich muss ihm rechtgeben. Scholz schafft es, durch sein öffentlich zelebriertes scheinbar handlungs- und profilarmes Treiben – von Marktschreiern lauthals beklagt – zu einer Projektionsfläche für Vernünftige und Abwägende zu werden. Das schaffen meistens nur Trugbilder: berühmte Menschen spielen auf der Medienbühne eine Rolle, nicht sich selbst. Das kann ich aus der persönlichen Kenntnis des Olaf Scholz zu Beginn der 80er Jahre nur bestätigen. Nie wäre ich bei dem auf den Gedanken gekommen, auf ihn Vernunft- und Abwägungshoffnungen zu projizieren. Klar wird er sich seitdem weiterentwickelt haben – jede*r tut das. Aber wieviele von damals haben sich politisch fortschrittlich entwickelt? Da komme ich auf weniger, als ich Finger habe.

Selbstisolation

Unter politisch denkenden Menschen ist es Sitte und Tradition, über die Lächerlichkeit deutscher Sportverbände und -vereine abzulästern. Das ist schon länger abwegig. Im Sportentertainment wird – zum Vergleich s.o. öffentlicher Dienst – immer mehr Kapital bewegt. Der alternde Fussballstar Cristiano Ronaldo repräsentiert das aktuell – materiell und politisch absolut repräsentativ. Jan Christian Müller/FR hat das in seinem Kommentar politisch treffend erfasst. Er illustriert sportpolitisch, wie wenig Deutschland und Europa im Weltsport noch zu melden haben. Und das korrespondiert aufs engste mit der “grossen” Politik. Müller beschreibt es, wie es ist: es ist eins.

Was die Deutschen und die von ihnen angeführten EU-Europäer*innen versäumen, ist die Organisation von Bündnissen für demokratische Gegenmacht. Aber wie sollen sie auch auf so eine Idee kommen? Zuhause, innenpolitisch, sehen sie darin Gefahren (jugendliche Klimaschützer*innen) statt Chancen. Sie haben auch keinen Blick, eher von Desinteresse gespeiste Unkenntnis, über zivilgesellschaftliche Kräfte unter diktatorischen Regimes. Es fehlt schon intellektuell jede Fantasie für strategisches Instrumentarium. So konzentrieren sich ins “moderne liberale” konvertierte missionarische deutsche Regierungsberater lieber auf die unlösbare Aufgabe, Russland zu “besiegen”, und merken nichts mehr vom “Rest” der Welt, der diesem Treiben zunehmend entgeistert zusieht.

In den Worten des Medientycoons Friedrich Küppersbusch: “Merkels Außenpolitik ist just mit Applaus geächtet worden, zugleich steigen Überraschungsfeministen wie Selenski und Klitschko zu Heldinnen auf. Außenministerin Baerbock brilliert in mannhaftem Trotz gegen Verhandlungen mit dem Bösen, Weltklassechauvi Erdoğan macht den Friedensengel. Ja, ‘feministische Außenpolitik’ ist mehr und anders als Fraußenpolitik. Ich gebe mir 2023, das genauer zu verstehen.”

Wo bleibt nun das Positive? Wolfgang Lieb ist auch so ein alter, weisser Mann. Er war mal Regierungsberater, in NRW und im Bund. Er hat das gut gemacht, ich war phasenweise dabei. Johannes Rau hat davon lange profitiert. Die Heutigen scheinen davon nichts wissen zu wollen. Es ist zur Jahreswende das klügste und beste politische Stück, das ich gelesen habe: Wo sind die Friedensstifter? – Die Mehrheit der Deutschen ist für einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg. Wichtig wäre eine friedenspolitische Perspektive.” (Teil 3 mit Links zu Teil 1 und 2)

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Roland Appel

    Der Beitrag von Wolfgang Lieb ist eine der intelligentesten und weitblickenden Analysen zur Lage und dessen, was an Schritten zu einem Friedensprozess dringend aussteht. Dagegen ist das Niveau der Diskussionsbeiträge, die aus aus dem Auswärtigen Amt dringen und derer, die in der Berliner Medienblase wabern, so unterirdisch wie bildungsfern. Die deutsche Außenpolitik strotzt nur so vor Versäumnissen – dass der einzige ernstzunehmende Außenpolitiker der FDP, Alexander Lambsdorff, derzeit seine Flucht auf einen Botschafterposten vorbereitet, macht es nicht besser.

  2. W. nissing

    na ja, was Ihr an dem Liebchen so habt ist mir nicht ganz Klar. Okay Teil1 +2 sind ja noch lesbar, aber bei Teil 3 hab ich mich dann schon gefragt , ob der liebe Mann ein Augenleiden hat weil wenn ich den Elefanten im Porzellanladen nicht sehe, wie kann ich mich den dann fragen, woher das ganze zerdepperte Geschirr her kommt….
    Bis wohin geht eigentlich die Verleugnung des offensichtlichen, wer hier der Strippenzieher ist( ja ich weis, es ist nicht Monokausal, aber….)?
    Aber vll kann mir das ja mal einer Erklären, also das mit dem Elefanten.

    • Martin Böttger

      Wenn es um Menschenleben töten oder lebenlassen geht, hilft rechthaben und -behalten nicht. Es eilt, übers Analysieren hinauszukommen. Lieb unterzieht sich dieser Mühe, und das Problem (oder von mir aus auch “der Elefant”) ist, dass die, die dazu amtseidlich verpflichtet wären, es nicht tun – jedenfalls nicht öffentlich. Mangels Qualifikation? Mangels Wille? Eine Mischung von alldem inkl. schlechter Beratung? Das weiss ich auch nicht.

    • w.nissing

      ich finde , lieber Martin, er macht sich mühe, aber er “springt” zu kurz. Ob es jetzt hilfreich wäre wenn er weiter springen würde/könnte schätze ich, ob seinen Einflussmöglichkeiten, eher für gering ein, aber warum dann nicht mehr courage?
      vll schreib ich morgen, wenn ich Zeit habe mal einen längeren Text dazu
      LG

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