Wundersame Bahn CXXXVII

Vor über 10 Jahren las ich morgens an meinem Schreibtisch in der Fraktionsgeschäftsstelle der Grünen im Alten Rathaus in einer Zeitschrift mit dem elektrisierenden Titel “Nachrichtenblatt” (für oder von irgendwas), die seinerzeit digital nicht existierte, Weiterleitung unmöglich, eine sehr, sehr kluge Abhandlung über die rechtsrheinischen Verkehrsverhältnisse, die dringend eine der Linie 16 vergleichbare Stadtbahn zwischen Beuel und Köln verlange. Ich war begeistert. Die Argumentationsführung war zwingend.

Da sich in der BRD noch niemand an das Privateigentum von Grund und Boden herangewagt hat, und dieses Business lieber kriminellen Geldwäschern überlassen und zugeschanzt wird, sind die Marktverhältnisse in Köln und Bonn seit Jahrzehnten für normalverdienende Menschen nicht mehr zumutbar. Sie sind gezwungen, ins “Durchfahrtsland” auszuweichen.

Weil mein Hausarzt vor Jahrzehnten von Beuel nach Porz umzog, und die Buslinie 550 meine Haustür und seine Praxistür jahrelang idealtypisch verband, konnte ich diese Entwicklung zufällig privat gut studieren (schneller war übrigens der gleiche Weg über autofreie Landwirtschaftswege mit dem Fahrrad). Zu Schulzeiten fuhr der Bus gelegentlich im 5-Minuten-Takt. Bewältigen konnte er das Passagieraufkommen dennoch nicht – für die Schulkinder eine Zumutung, die sie lehrte, was Massentiertransporte praktisch bedeuten.

Nördlich der Sieg bis Porz können vom Bus aus die unbenutzten Gleisanlagen betrachtet werden, die dort seit Jahrzehnten liegen, und extrem selten noch von Industriebahnen genutzt werden. Die Schwachstelle ist die 1976 erbaute Siegbrücke. Ihre Statik wurde für Bahnverkehre nicht ausgelegt. Sie muss also neu (und teuer) gebaut werden. (Nicht nur) Das kann dauern.

Wenn nun mein Ex-Arbeitskollege und heutiger Landesverkehrsminister Oliver Krischer erzählen und verbreiten lässt, “in zehn Jahren … könnten die ersten Bahnen, rechts des Rheins, fahren”, wette ich dagegen.

Sein heutiger Chef und nichtsnutziger und untätiger Amtsvorgänger Hendrik Wüst propagierte das komplette Gegenteil. In Kenntnis der Baufälligkeit der Autobahnbrücken im Bonner Norden und in Köln-Rodenkirchen, die das bestehende Autonetz der Region (weiter) zusammenbrechen lassen werden, will er praktischerweise zwischen Porz und Wesseling einfach eine neue bauen. Mit bildschönen Autobahnkreuzbauwerken auf beiden Rheinufern, exakt da, wo ich bisher immer mit meinem Fahrrad zu meinem Arzt gefahren bin. Die wenigen Anwohner*innen des dünn, aber immer dichter, besiedelten Gebietes sind nicht amüsiert.

So, wie ich die beiden Burschen kenne – was kostet die Welt? – machen die einfach beides: eine noch teurere Brücke für Auto und Bahn. Das freut die Baumafia der Region so, wie die Ackerbesitzer, die sowieso keinen Bock mehr auf industrielle Landwirtschaft haben. Und alle sind glücklich und zufrieden (ausser die quengelnden Klima- und artenschützer*innen). Ich wette dennoch: erst, wenn ich schon tot bin.

Nehmen Sie als Argument dafür die S13. Eine recht schlichte Verlängerung einer schon bestehenden (!) S-Bahnlinie von Troisdorf nach Beuel-Oberkassel, entlang eines schon bestehenden (!) Bahnstranges. Finanziert noch aus den Ausgleichsmitteln für den Hauptstadtumzug (der war 1999; der Hauptstadtbeschluss war 1992). Der verstorbene grüne Bezirksbürgermeister Werner Rambow hatte noch dafür gekämpft, weil der S-Bahnbau die dringend erforderlichen Lärmschutzwände für die meistbefahrene Güterzugstrecke Europas gesetzlich “mitbringt”. Ja, das wäre ein sehr grosser Fortschritt. Wenn ich den noch erlebe – das kann knapp werden.

Die Stadtbahnlinie von Beuel nach Porz – ich gönne sie den nachfolgenden Generationen. Wenn sie die erleben wollen, müssen sie allerdings weiter Druck machen für radikaleren und viel schnelleren Klimaschutz. Und die neue Siegbrücke bauen sie besser hochwassertauglich. Die Bahn kennt das aus dem Ahrtal.

PS zum heute: Beuel ist wieder an den Fernverkehr angeschlossen, Bonn Hbf. dagegen sechs Wochen lang nicht. Nunja, sofern Sie nicht gehbehindert sind, und trainiert auf lange Treppengänge, gerne auch mit Gepäck. Das hält jung und macht schlank. In Beuel steht zwar ein “Bahnhofsgebäude” – aber da ist niemand (ein einsamer Fahrkartenverkäufer, immerhin ein echter Mensch, noch bis Jahresende). Auch kaum noch Fahrgäste. Die Regionalzugverbindung nach Köln und Koblenz ist nämlich von halbstündlich auf stündlich ausgedünnt. Die bestehenden Gleise reichen sonst nicht aus. Das soll aber nicht zehn Jahre, sondern nur sechs Wochen dauern. Was glauben Sie?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net