Das Problem von Neukölln sind nicht die Jugendlichen – sondern die Politiker – Seit Silvester redet Bezirksbürgermeister Martin Hikel von Brennpunktkiezen – für die er seit Jahren verantwortlich ist. Wieso wird geredet statt gehandelt?
Nach der Silvesternacht in Neukölln geben sich Politiker in den Redaktionen reihenweise die Klinke in die Hand. Und alle geben ihre Betroffenheit und gleich noch eine schnelle Lösung zum Besten. Das erstaunt schon deshalb, weil die Auswertungen der Polizei und Feuerwehr noch gar nicht vorliegen.
So denkt der Bezirksbürgermeister Martin Hikel in einem Gastbeitrag über „Brennpunktkieze“ in Neukölln nach: „Also müssen wir darüber sprechen, was dort zu tun ist.“ Hier fragt man sich, warum Hikel, der seit 2018 Verantwortlicher ebendieser Kieze ist, nicht auf die Expertise seiner Verwaltung hört.
So stellt das Jugendamt schon länger fest, dass jungen Menschen in Neukölln Rückzugsorte und altersgerechte Angebote fehlen. Erst recht an Feiertagen. Dass die Pandemie hier als Brandbeschleuniger für das Abgehängtsein von Jugendlichen (und Alten) gewirkt hat, darauf hat sein Gesundheitsamt hingewiesen, mittlerweile liegen hierzu viele Studien vor. Schon lange fehlen den Jugendeinrichtungen Personal und Geld. Die Jugendstadträtin fällt seit Monaten krankheitsbedingt aus. Das alles weiß Hikel sicher.
Noch so eine beliebte Floskel ist: „das Strafmaß ausreizen“. Und die Strafe muss auf dem Fuße folgen, am besten mit einem noch schärferen Strafrecht. Nun wurde ja in ebendiesen Bezirk das Neuköllner Modell entwickelt, um Intensivtätern schneller und damit präventiv zu begegnen.
Nur gilt für einen demokratischen Staat, dass Ermittlungen von Polizei und Strafanwaltschaft den Gerichten vorgeschaltet sind. Und das ist auch gut so. Dem Neuköllner Modell sind rechtsstaatlich enge Grenzen gesetzt. Das Strafmaß wird von Gerichten individuell festgelegt. Und da spielen Alter, Vorstrafen oder verminderte Schuldfähigkeit eine wesentliche Rolle.
Gerade bei Jugendlichen ist die Strafverfolgung mit Stigmatisierung verbunden, die sich negativ auf die weitere Sozialisierung niederschlagen und eine Marginalisierung weiter befördern können. Auch hier liegen Evidenzen aus der Forschung vor. Das Strafrecht ist in diesem Bereich aus Sicht von Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht, schon sehr scharf.
In Neukölln herrscht Verantwortungsdiffusion
Hikel macht den Eindruck, dass er in dieser Materie weniger bewandert ist. Gut, dafür hat ja Hikel den Posten für das Ordnungsamt der Stadträtin Sarah Nagel von den Linken gegeben. Ausgerechnet Nagel entging gerade knapp einem Abwahlantrag. Der Abwahlantrag beruhte auf der Entscheidung Nagels, die Teilnahme des Ordnungsamts an Verbundeinsätzen, sogenannten Razzias gegen Shishabars zu untersagen.
Man wird den Eindruck nicht los, dass in Neukölln eine Verantwortungsdiffusion herrscht. Hikel hält sich an Allgemeinplätzen fest und bedient gegenwärtige Betroffenheitsrhetorik. Hinter Hikel stehen mehr als 2400 Mitarbeitende der Bezirksverwaltung mit Expertise, die sich jeden Tag den Herausforderungen Neuköllns stellen. Diese zu nutzen, wäre die eigentliche Aufgabe des Bezirksbürgermeisters.
Mesut Yavuz ist Prozess- und Organisationsberater. In der Pandemie hat er Berliner Behörden in der Modernisierung und Digitalisierung unterstützt.
Das Problem mit den Berliner Politikern kenn ich .- Aber in Berlin ist es noch mehr die Verwaltung, die großflächig pennt. Ich habe jetzt für die Künstlerzeitschrift “atelier” wieder über Kunstateliers in Berlin geschrieben. Da steht seit über 10 Jahren ein Gebäude leer, dessen Nutzung im Zuständigkeitsbereich des Kultursentators liegt. 150 Meter entfernt müssten Künstler aus ihrem bisherigen Atelier raus und suchen dringend eine neue Bleibe, was die Senatsverwaltung seit Jahren weiß. Denn schon 2017 war der Bezirksbürgermeister bereits mit dem noch amtierende Kultursenator Lederer in diesen Gebäuden zu einer Besichtigung und Gespräch mit den betroffenen Künstlern vor Ort unterwegs. Seit dem ist nichts passiert – nur das die Künstler jetzt aus ihren bisherigen ateliers raus müssen und nichts haben. Nicht mal Flächen, um ihre Werke und Werkzeuge unterzustellen.