Beueler-Extradienst

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Jurassic Park

Seymour Hersh ist noch gewichtig genug, um Abwehrreaktionen zu provozieren. Die diskussionswürdigste ist noch die meines alten Jungdemokraten-Freundes Pascal Beucker:Seymour Hersh zur Nord-Stream-Sprengung: Pulitzerpreisträger auf Abwegen – Wer sprengte die Nord-Stream-Pipelines? Seymour Hersh glaubt, darauf eine Antwort gefunden zu haben. Leider missachtet er journalistische Standards.” Eine taz-immanente Gratwanderung, (noch) zu unterscheiden von Getroffenen a la Stefan Kornelius/SZ (Paywall). Wenn ich also Pascals Gedankenführung folge, wirft das die Frage auf: warum tut Hersh das?

Meine Antwort: mit 85 ist ihm sein “Ruf” in der – in leider sehr relevanten Teilen verachtenswerten – Branche egal. Und er kennt die eine Quelle, auf deren Basis er veröffentlicht, so gut, dass er ihr vertraut. Vertrauen ist in diesem Zusammenhang der Schlüsselbegriff, den sich unabhängig dünkende Journalist*inn*en, der Gedankenführung Pascals folgend, nur mit spitzen Fingern anfassen sollten.

Die gesellschaftliche Basis da draussen ist dagegen auf Vertrauen angewiesen. Z.B. am Sonntag in Berlin, beim Ausfüllen des Wahlzettels. Oder eben beim Konsumieren journalistischer Produkte. Hierzulande ist belegt, dass bei der Hälfte (oder mehr) der Bevölkerung kein Vertrauen mehr besteht. Mehr noch in den Bundeskanzler, als in die Medien, die ihn für Bedenkenträgerei und Zögerlichkeit beschimpfen. Dieser Scholz ist aber von nichts weiter entfernt als von mobilisierender Kraft. In dieser Rolle ist er falsch besetzt. Eine Alternative zu irgendwas personifiziert er nicht. So entsteht ein wachsendes Vakuum.

In diesem Vakuum hat nun Seymour Hersh in der ihm eigenen Auffälligkeit die Bühne betreten. Waghalsig? Nö, er hat mit 85 nicht mehr viel zu verlieren. Die Einen vertrauen ihm. Die Andern sind genervt. Bombardiert und gemordet wird weiter, nicht nur in er Ukraine.

Wie wärs denn, wenn unabhängige Medien und Journalist*inn*en in diesem mörderische Gefüge einfach ihren Job machen? Zumindest in den Ländern, wie unserem, in dem sie von der Verfassung privilegiert und geschützt sind. Da “wir” ja “keine Kriegspartei” sind, wäre das doch zumindest theoretisch (noch) möglich. Wenn Hersh es falsch gemacht hat – warum macht es keine*r richtig?

Parallelen zur Klimakatastrophe

So wie das industrielle Grosskapital mit fliegenden Fahnen die gegenwärtige Klimakatastrophe herbeiführte, zieht es in den Krieg der Herrschaftssysteme und den Krieg um die Technologie-Monopole. Dabei kommt heraus ein “Jurassic Park bauen und ein paar Warnschilder aufstellen, aber alle Tore offenlassen“. Das beschreibt, nur mal als gutes Beispiel für kritischen Journalismus, Adrian Lobe/Berliner Zeitung: Unabsehbare Folgen: Wettrennen auf Markt der umstrittenen Chatbots hat begonnen – Der Suchmaschinenmarkt kommt in Bewegung. Microsoft attackiert mit dem KI-Chatbot ChatGPT den Suchmaschinenanbieter Google. Wer behält die Oberhand?”

Ähnlichkeiten zum Blindflug in den Ukraine- und andere Kriege sind selbstverständlich total zufällig.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

6 Kommentare

  1. W Nissing

    P. Beuker….. ist das nicht derjenige der meine 500 Oken TAZ-NRW mit versenkt hat ( wenn ich so in meinen Erinnerungen wühle). Von dem kenne ich nur einen gescheiten Satz : “Die Realos haben die Grünen alle verlassen, da gibt es nur noch Fundis”

    • Martin Böttger

      Pascal gehörte nach meiner Erinnerung seinerzeit zur taz-Köln, so wie David Schraven zur taz-ruhr. Versenkt wurde aber noch jeder taz-Regionalteil von Berlin aus. Von dort aus gesehen ist eigentlich alles weit weg …

    • w.nissing

      journalistisch ist er mir hier in Köln nie über den Weg gelaufen. Definitiv nicht in den TAZ-Ini Zeiten weil da war ich dabei. Köln wurde danach TAZ-mäßig imho nur von Peter Hanneman und Wolfgang Hippe bespielt nachdem Stadtrevue Intermezzo der beiden. Da war ich aber nur noch am Rande über meine Freundschaft zu Peter informiert und so hat sich meine obige Aussage “eingebrannt”, ohne das ich heute noch wirkliche Details erinnerlich hab.
      Wenn ich aber seine Arbeit seitdem betrachte und auch den Werdegang der TAZ……..welch Natter hab ich da an meiner Brust genährt… 🙂

    • Martin Böttger

      Von auf Menschen projizierten Tierbildern rate ich grundsätzlich ab. Meinungsverschiedenheiten austragen geht auch ohne.

  2. W Nissing

    Die Natter bezog sich nicht! auf Herrn Beucker sondern auf die TAZ!
    Zwischen “Waffen für ElSavador” und dem jetzigen Kriegsgeheul liegen für mich Welten.

    • Martin Böttger

      OK, das ist einerseits zulässig. Andererseits aber inhaltlich zu eindimensional. Medien wie die taz sind widersprüchliche Apparate, in denen es Bekloppte und Vernünftige in ständig wechselnden – und beeinflussbaren! – Kräfteverhältnissen gibt.

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