Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Absurde Einseitigkeit

Ein Jahr nach dem völkerrechtswidrigen Überfall Putins auf die Ukraine mutet ein Blick auf die veröffentlichte Meinung und auf die Vorgänge bei den verschiedenen, am Wochenende angekündigten Demonstrationen seltsam an. Dazu die mediale Begleitmusik quasi im Gleichschritt mit der herrschenden Meinung: “Putin ist das Böse an sich, wir sind die Guten und im Alleinbesitz der Wahrheit, haben recht, weiter so mit dem Krieg!” Keine Minute innehalten, keinerlei Nachdenklichkeit, keinen Zweifel  aufkommen lassen, mit der ideologischen Keule der “Russlandversteher” oder bestenfalls “nützlichen Idioten Putins”  alles diffamieren, was nicht der Meinung der Bundesregierung, der Leitmedien und der CDU/CSU-“Opposition” entspricht.

Es ist schon erstaunlich, wie ein Jahr Kriegsunterstützung durch Waffenlieferungen und Sanktionen ausgereicht haben, einen demokratischen Diskurs in der von ihren Ansprüchen her offenen Gesellschaft verkümmern zu lassen. Jene Presse- und Meinungsfreiheit, die der Westen gerne Staaten wie Russland, China, Türkei, und vielen anderen wie eine Monstranz vorhalten, ist inzwischen einer fast nur noch mit Freund- und Feindbildern agierenden Medienöffentlichkeit gewichen. Das beginnt bei den bekannten und unvermeidlichen Politiksimulationen von Maischberger, Will, Lanz, Illner, wo immer dieselben ausgesuchte “Expert*inn*en” ermüdend in die gleichen Kerben hauen und immer dieselben,vorwiegend bellizistisch argumentierenden  Journalist*innen wie Robin Alexander und  Dagmar Rosenfeld (Die Welt), Markus Feldenkirchen, Melanie Amann (Der Spiegel), Eva Quadbeck (Rhein.Post/RND), Helene Bubrowski (FAZ),  zustimmen. Kritiker oder Intellektuelle wie Jürgen Habermas, Johannes Varwick, Ulrike Guérot, Günter Verheugen oder Gabriele Krone-Schmalz werden gar nicht mehr eingeladen, weil sie als “unsagbare” gebrandmarkt wurden oder viel zu differenziert argumentieren.

Berlin: Nur Konservativ ist sexy

So endet bei den der Ära Merkel fixierten konservativen Hauptstadtjournalist*inn*en bei ARD und ZDF, alles immer in Kritik am Kanzler, ob er zögert oder Verbündete in der blockfreien Welt besucht, ob er mit China spricht oder die Panzerfreunde Polens an ihre großspurigen Versprechen erinnert – was er macht, es wird grundsätzlich kein gutes Haar daran lassen – außer, wenn er 100 Milliarden Sonderschulden für die Bundeswehr in “Sondervermögen” umbenennt .Während Außenministerin Baerbock ohne Konzept und Plan und mit bemerkenswert schlichten Argumenten ihren Job als Chefdiplomatin des Landes boykottiert und das Auswärtige Amt um Niveau, Kopf und Kragen plappert. So wieder gestern anlässlich einer UNO-Resolution, für die zwar 141 Staaten gestimmt haben, was sich Baerbock auf die Fahnen schreibt und schönredet, dass die zwei wichtigsten und bevölkerungsreichsten aufstrebenden Schwellenländer der Erde, China und Indien sowie das strategisch einst wichtige Südafrika, die zusammen drei von acht Milliarden Menschen repräsentieren, sich enthalten haben. Im Gegensatz zu Scholz kommt sie damit ohne bohrende Fragen durch.

Dokumentationen der Einseitigkeit

Die “Dokumentationen” zum Jahrestag des Überfalls in ARD und ZDF hätten so etwas wie eine Denkpause markieren können. Stattdessen gerieten sie zu ideologisch bekannter Einseitigkeit, Putin der Aggressor aus dem heiteren Himmel, aber schon – hätte, hätte Fahrradkette – 2014 wäre ja alles offensichtlich gewesen und man hätte es wissen müssen, wie böse der Russe ist – nur haben auch die es damals nicht gesagt – nicht ohne Merkel zu schonen und gegen Steinmeier auszuteilen, wie es eben das krude Weltbild des Hauptstadt-Raumschiffs hergibt. An der Rüstungsmisere ist nicht die 16 Jahre regierende CDU/CSU, sondern die SPD schuld und Journalist*inn*en in der Hauptstadt haben es sowieso schon immer gewusst und fänden es besser, wenn nach drei Jahren Ampel “endlich” wieder die CDU mit Merz regieren würde.

Wenn Regierende Demonstrationen bestellen…

Überhaupt: Demonstrationen. Als Mensch, der mit der Frauen-, Anti-AKW, Friedens- und Volkszählungsboykott-Bewegung aufgewachsen ist, hat es mehr als ein “Geschmäckle”, wenn sich neuerdings die Regierenden bemüßigt fühlen, auf Demonstrationen als Redner*innen aufzutreten.  Unsere Demonstrationen waren von sozialen Bewegungen bzw. außerparlamentarischen Bündnissen organisiert, die überwiegend links von der damaligen sozialliberalen Koalition standen. Wenn Friedrich Merz, Omid Nouripour oder Franziska Giffey auf Demonstrationen gegen den Ukrainekrieg sprechen, mutet das seltsam an. Vor allem, wenn als Mitveranstalter der Demo das Ideologiezentrum “Liberale Moderne” fungiert, ein mit jährlich einer halben Million Euro aus Mitteln des Bundeskanzleramts finanzierter Thinktank, in dem ehemalige “Grüne” Maoisten, und K-Grüppler wie Ralf Fücks, Rebecca Harms, Reinhard Bütikofer und Marieluise Beck das Sagen und ihr lukratives Rentnerhobby gefunden haben. Putin macht es sich leicht. Er lässt seine Jubelfeiern, wie die im Moskauer Stadion, gleich vom Staat selbst organisieren.

Rechte mobilisieren bei Wagenknecht fleißig mit

So haben sich die Zeiten gewandelt und manche haben die Seiten gewechselt. Als 1981 in Bonn 500.000 gegen US-Pershing II und russische SS 20 demonstrierten, kreiste über der Hofgartenwiese ein Flugzeug mit dem Banner “Und wer demonstriert in Moskau?” – finanziert von Jürgen W. Möllemann und Jürgen Todenhöfer – genau der Todenhöfer, der jetzt den Aufruf von Sahra Wagenknecht unterschrieben hat. Sahra Wagenknecht hat ihren Aufruf so zart in der Kritik an Putin formuliert, dass nicht nur Chrupalla von der AfD ihn unterschreiben konnte, sondern rechte Hooligans und Träger russischer Fahnen fleißig nach Berlin mobilisiert haben. So kommt zusammen, was nicht zusammen gehört: Die Querfront, deren prominente Vertreter Nerlinger, Elsässer und der Brandenburger AfD-Vorsitzende prompt auf Wagenknechts Demo gesichtet worden sind. Eins hat die Demo aber trotzdem erreicht: deutlich zu machen, dass es noch Menschen gibt, die Frieden wichtiger finden, als Konfrontation. Deshalb macht es sich gerade Robert Habeck zu leicht, wenn er erklärt, dass dort alles nur fehlgeleitete Menschen waren.

Zu blind zum Lesen

Nachdem ich hier Antje Vollmers “Vermächtnis” gelesen habe, weiss ich, dass ich nicht der einzige bin, der wehmütig dem weißgott nicht unfehlbaren Hans-Dietrich Genscher nachtrauert. Dem man nachsagte, dass er, während sein Flugzeug in Köln-Bonn landete, schon im nächsten Flugzeug saß, das dort gerade gleichzeitig startete.  Immer im Interesse Deutschlands, Europas, des Friedens und der Menschen. Er hätte in der Erklärung des chinesischen Chefdiplomaten  Wang Yi sofort die versteckten Angriffe gegen Moskau erkannt – wie sie in der Betonung des Rechts auf Integrität und Souveränität aller Staaten geschrieben stehen. Und in der Verurteilung jeder Drohung mit Atomwaffen – und etwas draus gemacht, Wang Yi beim Wort genommen. Aber seine Nach-Nachfolgerin kommt auf eine solche Idee gar nicht, gibt sich mit solchen diplomatischen Feinheiten und Chancen erst gar nicht ab. Der menschliche Erkenntnisprozess ist prinzipiell nicht abgeschlossen – es sei denn bei Personen mit schlichtem oder geschlossenem Weltbild. Deren Eignung für solche Ämter ist allerdings von begrenzter Halbwertszeit.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Peter Lessmann-Kieseyer

    Lieber Roland Appel, diese Einschätzung zum Jahrestag teile ich voll und ganz. Ich bin entsetzt über die Unbeweglichkeit und Unfähigkeit von Politiker*innen, angeblichen Expert*innen und der schreibenden Zunft in den Leitmedien, die gleichsam wie ein Bollwerk das einfach nur Menschliche – nämlich den Wunsch nach Verhandlungen, Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine – so gnadenlos zertrampeln.

    Ich habe in den 70er Jahren den Wehrdienst verweigert – und werde niemals von meiner damaligen Begründung auch nur einen Millimeter abrücken: ein Krieg ist der Rückfall in die Barbarei. Ja, ich halte mich für einen Pazifisten, auch heute noch und lasse mir nicht von kruden Verfechtern des Militärischen vorwerfen, das Geschäft des Menschenverachters Putins zu betreiben. Solche dummen Vorwürfe fallen nur zurück auf jene, die sie vorbringen.

    Es ist ein hilfloses, einfaches Denken, das sich weigert, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und das nur das Narrativ, hier das Gute, dort das Böse, bedient. Die Schlüsse, die daraus gezogen werden, sind fatal, weil sie das wichtigste Instrument zur Krisenlösung endgültig entmachten: die Diplomatie.

  2. m0urs

    @rolandappel Nun, diese Einseitigkeit sah man ja schon beim Thema Corona und sieht man auch beim Thema Klima. Wer eine abweichende Meinung hat und sei sie auch mit Fakten begründet, gehört nun mal nicht mehr zu "den Guten" ™.

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