mit Update nachmittags + Update 12.3.

Ein grüner MdB, den ich nicht kenne, stellt via DLF-Interview eine “Frage an die Kommunistische Partei Chinas”. Ein Sack Reis ist ein Erdbeben dagegen. Die kluge Sonja Zekri (SZ, Paywall) kommentiert: “Annalena Baerbocks Postulate zur Außenpolitik gehören zu einem Anspruch des Westens, der den Rest der Welt eher befremdet.” Das ist höflich. Selbstverpuppung trifft Missionarismus. Da ist es kein Trost, dass die Brit*inn*en, die Deutschland um ihr Empire immer beneidet hat, genauso spinnen. Das sollte eher beunruhigen.

Gestern schrieb ich unter dem Titel “Hoffnung” bereits an die Extradienst-Abonnent*inn*en:

Und nun zur titelgebenden Hoffnung. Sie steht in dieser am frühen Abend noch paywallfreien Berichterstattung von Christoph Ehrhardt und Friederike Böge/FAZ: Iran und Saudi-Arabien wollen Beziehungen normalisieren – Die regionalen Führungsmächte Iran und Saudi-Arabien wollen ihre Botschaften wiedereröffnen. Eine Verbesserung der Beziehungen könnte auf die ganze Region ausstrahlen.” Sollte sich das materialisieren, bestünde eine reelle Chance auf Beendigung des aktuell mutmasslich grausamsten und brutalsten Krieges auf diesem Planeten, dem Jemen-Krieg. Seine schweren Verbrechen geschehen im Schatten deutscher Medienaufmerksamkeit. Wenn es mal anders war, wurde das hier im Extradienst vermeldet.

Die Peinlichkeit dieses aktuellen Vorgangs besteht darin, dass zwei der despotischsten Regime des Planeten – unter scheinbar chinesischer Anleitung – das Handwerk der Diplomatie reaktiviert haben, und damit diese Kunst betreffend demokratischeren Regierungen wie der unsrigen eine ziemlich lange Nase ziehen. Wie peinlich zum Fremdschämen wäre das denn – wenn es sich materialisiert …?

Wenigen was-mit-Medien-Leuten ist dieser wichtige Vorgang mittlerweile aufgefallen. Zum einen dem fachkundigen Rainer Hermann/FAZ, zum andern Michael Maier/Berliner Zeitung: Feinde an einen Tisch: Hat China den Westen mit einer Rochade überrascht? – Der Iran und Saudi-Arabien haben bekanntgegeben, ihre Todfeindschaft beenden zu wollen. Vermittelt wurde der Deal von China. Was soll Deutschland jetzt machen?”

Ich teile nicht alle Bewertungen von Maier, schätze aber seinen Realismus (was selten ist, ist wertvoll). Konfrontationen sorgen immer für Verdummung nationaler Öffentlichkeiten mit dem Ergebnis: Kriegsgefahr. Kann mann machen, wenn mann sich für stark hält – das ist eher männlich als feministisch. Die USA pflegen solcherart Aussenpolitik, egal wer Präsident ist, weil sie glauben, es sich leisten zu können. Unser Zwergstaat dagegen bringt noch nicht einmal die EU hinter sich – die wird zunehmend rechtsunterwandert. Und niemanden scheint das zu jucken.

Sanktionspolitik gegen Kriegs- und Menschenrechtsverbrecher ist nicht grundsätzlich abwegig. Sie muss dann aber auch politisch gedeckt sein und funktionieren – gegen die Verbrecher, nicht ihre beherrschten und oftmals unterdrückten Untertanen. Die muss frau/mann im Gegenteil überzeugen und auf die eigene Seite ziehen – ganz im Sinne wohlverstandener internationaler Solidarität.

Wenn aber verbrecherische Despoten das strategische Handwerk (!) besser beherrschen, als unsere gewählten Regierungen, dann läuft da ganz grundsätzlich was in die Grütze. Wer es in dieser Lage für angebracht hält, den ganz starken Max zu performen, versteht fast nichts von der Welt, wie sie gegenwärtig ist. Er ist Opfer seiner Autosuggestion, eine schlimme Pandemie in deutschen Parteien.

Update nachmittags

Felix Wemheuer/Jungle World gibt einen kritischen Überblick: Linke streiten über die richtige Sichtweise auf China: Solidarität mit wem? – Linke in Deutschland tun sich schwer, eine Haltung zur Volksrepublik China zu finden. Die Positionen reichen von der Solidarität mit Arbeitskämpfen und Protesten gegen die Regierung bis zur Unter­stützung des »Sozialismus mit chinesischer Besonderheit«.”

Ein bemerkenswertes Interview unter Freiburgern führte Wolfgang Storz/bruchstuecke mit Ex-MdB Gernot Erler (SPD),von 2003 bis 2006 und von bis 2014 bis 2018 Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Es liest sich, als sei es nicht in einer der qualitätsstarken Freiburger Gastronomien, sondern über irgendein schlecht erprobtes “innovatives” Medium geführt worden, die Antworten oft kürzer als die Fragen. Dennoch sind die Antworten sehr interessant und keineswegs windschnittig: “Bröckelt Putins Machtbasis? ‘Nein'”.

Update 12.3.

Lesen Sie zu den Saudi-Iran-Verhandlungen in China ergänzend auch diese kompetente Analyse von Karim El-Gawhary/taz: Erzrivalen Iran und Saudi-Arabien: Im Nahen Osten bewegt sich was – Teheran und Riad nähern sich an. Die Entwicklung hat das Potenzial, etliche Konflikte zu entschärfen – und den Jemenkrieg sogar endgültig zu beenden.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net