Die deutsche Wirtschaft zeigt sich besorgt – Heute reist Ursula von der Leyen mit Emmanuel Macron nach China. Vermutlich will sie der Volksrepublik die Leviten lesen. Europa macht sich damit lächerlich.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird heute in die Volksrepublik China reisen. Das wird sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron tun, der ursprünglich alleine zu reisen gedachte, auch um in aller Ruhe mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Xi Jinping über Möglichkeiten zur Beendigung des Ukraine-Krieges zu sprechen. Ob das noch so gelingen wird, bleibt fraglich. Denn von der Leyen hatte bereits deutlich gemacht, dass sie das Zwölf-Punkte-Papier der Chinesen zur politischen Lösung des Ukraine-Konflikts in Gänze verdamme. Die USA verlangen von der EU, mit Blick auf die Infragestellung der eigenen globalen Hegemonie durch Pekings Aufstieg, gemeinsam einen neuen Kalten Krieg gegen Peking zu starten.

Dieses für Europa gefährliche Unterfangen, welches nicht nur den Weltfrieden, sondern die politische und ökonomische Stabilität des Kontinents ernsthaft gefährdet, wird von der EU-Kommission ohne großes Hinterfragen umgesetzt.

Beziehungen zwischen EU und China

Jenseits des Rheins sind die Franzosen sicherlich die weit profunderen Denker, wenn es um die Bereiche „Geopolitik und historische Perspektiven“ geht. Gerade im direkten Vergleich zu den Deutschen stehen die Franzosen besser da, besser als die Beamten in Deutschland, wo es im politischen Berlin einfach an Kompetenz fehlt.

Eine außenpolitische Kooperation zwischen Paris und Berlin findet kaum statt. Olaf Scholz zeigt den Franzosen regelmäßig die kalte Schulter. Paris will daher die Positionen der EU-Kommission aufwerten. „Wir kommen nicht als uneinige Staaten, sondern mit einer europäischen Perspektive“, hieß es im Élysée-Palast.

Es schwingt die Absicht mit, diplomatisch zu beschwichtigen. Denn der Besuch von der Leyens in Indien im vergangenen Jahr wurde von einem politischen Kommentator dort mit einem „Elefanten in einem Porzellanladen“ verglichen. Überhaupt scheint die Kommissionspräsidentin auf Krawall gebürstet zu sein, zumindest wenn es um die Beziehungen der EU zur Volksrepublik China geht.

Von der Leyen als Handelshemmnis

Lässt man die geopolitischen Realitäten außer Acht und versucht, die Aussagen ernst zu nehmen, die von der Leyen vor ihrer Abreise nach China getätigt hatte, kann man den Eindruck gewinnen, China sei eine Art Kolonie des Westens und die EU die aufstrebende Supermacht der Zukunft.

So warf von der Leyen schon vergangene Woche der Volksrepublik vor, eine „alternative Vorstellung der Weltordnung“ zu repräsentieren, als sei das ein Verbrechen – und verkündete eine Neuausrichtung der EU-Politik gegenüber den Chinesen. Vor allem die Wirtschaftsbeziehungen sollen nach den Vorstellungen der Politikerin gründlich angegangen werden, sodass führende Vertreter der deutschen und europäischen Wirtschaft dieses Vorgehen mit großer Besorgnis betrachten und hinter vorgehaltener Hand die Person Ursula von der Leyen als „Handelshemmnis schmähen“.

Nach den Vorstellungen von der Leyens sollten künftig nicht bloß chinesische Investitionen innerhalb der EU, sondern zusätzlich Investitionen von EU-Firmen in der Volksrepublik China genehmigungspflichtig sein und auch verboten werden können.

Diese angekündigten Eingriffe, welche nicht gerade nach unternehmerischer Freiheit klingen, denen sich die EU-Kommission angeblich verpflichtet fühlt, lösen bei Unternehmern in den EU-Mitgliedsstaaten große Besorgnis aus. Ein mittelständischer Unternehmer aus Bayern äußerte in diesem Zusammenhang in einem Rundfunk-Interview kürzlich Folgendes: „Können wir eigentlich nicht so agieren wie damals, als wir nach dem Zweiten Weltkrieg eine führende Industrienation geworden sind, mit Warenhandel, Investitionen? Oder wollen wir weiter und nur aus Untergangspanik aggressiv durch den Porzellanladen wüten?“

Von der Leyen bietet darauf keine Antworten, betont aber, dass sie eine vollständige Entkopplung („decoupling“) von China im Auge habe (wie es in den Vereinigten Staaten gefordert, aber dort selbst nicht praktiziert wird). Dafür erklärte die EU-Kommissionspräsidentin, der Aufstieg der Volksrepublik habe einen „entscheidenden Moment der Weltpolitik“ herbeigeführt, der von der EU „den gemeinsamen Willen“ fordere, „geschlossen zu reagieren“.

Brüssel im Schlepptau Washingtons

Um was für einen „Moment der Weltpolitik“ es hier geht, erläuterte von der Leyen nicht, denn wie üblich blieben ihre geopolitischen Analysen schwammig. Trotz gegenteiliger Behauptungen beugt sich die EU-Kommission hier dem massiven Druck Washingtons, da der Einfluss der USA in Brüssel in den vergangenen zwölf Monaten massiv angewachsen ist.

Bisher war die Politik im Schlepptau Washingtons für Brüssel alles andere als gewinnbringend in Asien, sondern stellte das Scheitern eines groß angelegten strategischen Entwurfes dar.

Ende vergangenen Jahres ist es der EU nicht gelungen, den Verband südostasiatischer Nationen (Asean) zu einer gemeinsamen Verurteilung von Moskaus Einmarsch in der Ukraine zu motivieren. Dabei handelte es sich um eine persönliche Niederlage von Ursula von der Leyen und Josep Borrell. Der EU-Chefdiplomat, ohne Zweifel ein Mann von gestern, der „Europa als Garten“ betrachtet, den Rest der Welt als „Dschungel“, hätte sich hier der Begrenztheit der Macht der EU bewusst werden müssen. Dem war aber nicht so.

Das Zeitalter, in dem Europa Asien Befehle erteilen konnte, ist lange vorbei. In den geopolitischen Instituten von Hanoi, Vientiane und Phnom Penh wird die EU kaum noch als eigenständiger weltpolitischer Akteur wahrgenommen, sondern als verlängerter Arm der Interessen Washingtons. Dort zitiert man dieser Tage häufig den französischen Philosophen Paul Valéry, der schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Feststellung traf, dass Europa nur ein Kap Asiens sei.

Europa macht sich lächerlich

Bei den deutschen Unternehmen stoßen diese Pläne daher auf Protest, denn die Restriktionen zeigen schon Wirkung. Die Investitionen von Unternehmen aus der Volksrepublik sind in der Bundesrepublik zurückgegangen. Doch damit ist es für von der Leyen noch nicht genug.

Wie die EU-Kommissionspräsidentin ankündigte, plant die EU jetzt auch Beschränkungen bei Investitionen europäischer Unternehmen in China. Dadurch soll, so die offizielle Begründung, verhindert werden, dass „EU-Know-how“ verwendet wird, um „die militärischen und nachrichtendienstlichen Fähigkeiten derjenigen zu stärken, die für uns auch systemische Rivalen sind“. In der Realität geht es darum, Chinas Entwicklung zur Hightech-Macht durch das Vorenthalten im Westen verfügbarer Technologien zumindest zu verlangsamen, ja sogar zu verhindern. Auch hier folgt die EU den Vorgaben Washingtons.

Der Volkswirt und China-Experte Prof. Dr. Wolfram Elsner umschrieb diese geopolitische Ausgangslage in einem Interview wie folgt: „Der Westen denkt nicht mehr historisch und nicht mehr strategisch, nicht mehr länger als bis zur nächsten Wahl oder zum nächsten ‚Sieg‘ im Krieg und oft viel kürzer. In Ostasien denkt man komplex und nicht linear. Einem Land wie China mit mindestens 5000 Jahren Hochkultur, Philosophie und Wissenschaft ‚unsere Werte‘ mit dem Hammer in den Kopf hauen zu wollen, unsere ‚Lösungen‘ aus vielleicht 400 Jahren Geschichtserfahrung sowie die europäisch-angelsächsische Weltbeherrschung und Ausbeutung als die Vollendung und das Ende der Geschichte verkaufen zu wollen, ist nicht nur geschichtsvergessen, es ist lächerlich.“

Über Ramon Schack / Berliner Zeitung:

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