Was uns das Pentagon Leak 2.0 über den Zustand der Medien lehrt – Der Fall Assange und seine verheerenden Wirkungen
Am 11. April 2019 wurde Julian Assange in London festgenommen. Seitdem ist er im Hochsicherheitsgefängnis eingesperrt und kämpft gegen seine Auslieferung in die USA. In seinem Fall scheiden sich die Geister: War das, was er machte Journalismus? Oder ist er ein Spion, agiert Wikileaks „wie ein feindlicher Geheimdienst“? Unbestritten ist, dass Assange mit Hilfe von Wikileaks immer wieder die Wahrheit ans Licht zerrte, das, was die Öffentlichkeit nicht wissen sollte: Kriegsverbrechen, die Fähigkeiten von Geheimdiensten, politische Manipulationen, diplomatische Rankünen.
Nach Lage der Dinge interessiert sich eine Mehrheit von Menschen nicht für das Schicksal von Assange. Solange das so bleibt, wird Assange nicht freikommen, obwohl er ein politisch Verfolgter ist, zum Folteropfer wurde und inzwischen gesundheitlich sehr schwer angeschlagen scheint. Für Assange gibt es weder Erbarmen, noch tägliche Empörung derer, die angeblich Demokratie, Freiheit und Menschenrechte verteidigen, auch keine politischen und diplomatischen Bemühungen der deutschen Regierung. Niemand im deutschen Establishment legt sich mit dem Machtapparat der USA an und sei die Ungerechtigkeit auch noch so himmelschreiend. Einer der prominenten Unterstützer von Assange ist Roger Waters (Pink Floyd). Dessen Auftritt in Frankfurt/ Main im Mai wurde abgesagt, diesmal mit anderen fadenscheinigen Begründungen (Pro-Putin, Antisemit).
Denn Waters ist im Februar 2023 vor dem UN-Sicherheitsrat aufgetreten und gab dort den Namenlosen dieser Welt eine Stimme. Er folgte nicht dem offiziellen westlichen Narrativ, wie der Krieg in der Ukraine zu Ende gebracht werden soll. Er sprach für Frieden.
Ein zentrales Argument für die Freilassung von Assange ist, dass seine Verfolgung die Freiheit der Presse gefährdet. Auch der Spiegel hat das mitunterschrieben, im November 2022, gemeinsam mit der NYT, Le Monde, El Pais und Guardian. Denn es ist und bleibt richtig, dass die Demokratie im Dunkeln stirbt, es Aufgabe der Presse ist, nicht die kleinen Leute zu jagen, sondern den Mächtigen auf die Finger zu klopfen und den Missbrauch von Macht und Einfluss schonungslos offenzulegen.
Um das zu können, braucht die Presse mutige Menschen in den Etagen der Macht, die zu Whistleblowern werden. Quellenschutz ist deshalb ein hohes Mediengut. Man verrät nicht, wem man eine brisante Enthüllung verdankt. Dass Assange die Whistleblowerin Manning schützen wollte, haben die USA in der Anklage gegen ihn verwendet.
Der Fall Assange führt auch vor Augen, wie es enden kann, wenn man der Macht empfindlichste Schläge beibringt und ihre schmutzige Wäsche in aller Öffentlichkeit aufhängt. Der UN-Sonderbeauftragte Melzer hat darauf immer wieder hingewiesen.
Missbrauchsmöglichkeit schlummert
Es ist allgemeines Wissen: Nationale Sicherheitsinteressen werden geschützt. Aber das, was zum nationalen Sicherheitsinteresse erklärt, als geheimhaltungsbedürftig eingestuft und vor der Welt verborgen wird, unterfällt politischem Kalkül, und darin schlummert die Missbrauchsmöglichkeit.
Geheimnisverrat wird überall auf der Welt hart bestraft. Von allen prominenten „Verräter/innen“ der letzten Jahrzehnte ist bekannt, dass sie den Dienst an der Öffentlichkeit (wie Kriegsbeendung, Verhinderung eines Kriegs, Aufklärung von Kriegsverbrechen, Aufklärung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Subversion demokratischer Prozeduren oder Kriegstreiberei) höher bewerteten, als ihre Pflicht, Geheimnisse zu bewahren. Sie erwiesen der Menschheit immer einen Dienst, aber sie verstießen auch gegen dienstliche Pflichten. Daniel Ellsberg und Kathrine Gun wurden nicht bestraft. Chelsea Manning wurde verurteilt, gefoltert und später von Obama begnadigt. Snowden floh. Assange suchte politisches Asyl und wurde verhaftet. Medien porträtieren manche als „Whistleblower“, andere als Verräter.
Dann gibt es noch die Spezialkategorie der gezielten Täuschung und Manipulation der öffentlichen Meinung. Zu dem Zweck werden geheime Dokumente verfasst, die dann plötzlich öffentlich werden, oder namenlose Geheimnisträger (nicht genannt werden wollende Mitarbeiter aus dem Sicherheitsapparat) zwitschern wie die Vögelchen im Frühling bestimmten Medienvertretern alles mögliche zu, und die pinseln es ab. Das beste Beispiel aktiven Meinungsmanagements und gezielter Wirklichkeitsverzerrung der jüngeren US-Geschichte ist „Russiagate“. Um ganz sicher zu gehen, dass sie ein Narrativ dominieren können, haben Geheimdienste auch ihre Leute im Medienbereich, ob nun im aktiven Dienst, oder als ehemalige.
Die Pentagon-Leaks 2.0
In den USA hat es jüngst einen neuerlichen Geheimnisverrat gegeben: Dem Pentagon kamen geheimste Papiere abhanden, die erst in einer geschlossenen Spielergruppe und dann bei Telegram und Twitter zirkuliert sein sollen, die Pentagon-Leaks 2.0.
Das ist ein interessanter Fall, zuallererst, weil er die Frage stellt, ob der Fall Assange wie ein schleichendes Gift die freie Presse korrumpiert, Redaktionen und Journalisten einschüchtert. Ob die sich heute lieber als Handlanger und Souffleure der Macht verstehen oder tapfere Enthüller des Verschwiegenen, des Unbequemen und des Missbrauchs von Macht sind. Nur schwarz oder weiß ist natürlich nichts, aber der bisherige Umgang vieler Medien mit diesem Leak legt nahe, dass der Fall Assange das ethische Fundament im Journalismus gründlich beschädigt hat.
Kaum war die Nachricht vom Pentagon-Leak in der Welt, hieß es – wie immer mit Bezug auf ungenannte Quellen – das Ganze wäre eine russische Desinformationskampagne. Die Dokumente wären auch nicht echt, bzw. verfälscht. (NYT, 6. April) Gleichzeitig ging das Pentagon in die Offensive. Admiral Kirby, der Pressesprecher erklärte, dass diese Dokumente nichts in der Öffentlichkeit zu suchen haben, ihr Inhalt die Bevölkerung nichts angeht.
Die Süddeutsche veröffentlichte einen ersten längeren Artikel zum Leak und schaffte das Kunststück, nicht eine einzige Aussage zum Inhalt der geleakten Dokumente zu machen. Genauso, wie sich das das Pentagon gewünscht hatte. Die Washington Post, die NYT und auch die FT berichteten über den Inhalt der Dokumente.
Die Washington Post gab sich große Mühe, das Ganze herunterzuspielen. Sie versteckte die brisantesten Nachrichten am Ende des Artikels, der unter der Überschrift „USA bezweifelt, dass die ukrainische Gegenoffensive viele Früchte einfahren wird, sagen geleakte Unterlagen“ erschien.
Die brisante Nachricht lautete:
“But the newly leaked document signals what many commanders and troops already know: The difficult fight against Russia has exhausted Ukraine’s troops and hardware, making every day the war drags on an advantage to the larger Russian military.” (Aber das neu durchgesickerte Dokument signalisiert, was viele Kommandeure und Truppen bereits wissen: Der schwierige Kampf gegen Russland hat die Truppen und die Ausrüstung der Ukraine erschöpft, wodurch jeder Tag, an dem sich der Krieg hinzieht, zu einem Vorteil für das größere russische Militär wird.)
Die Washington Post tat so, als wäre das nichts Neues. Das wüssten ja viele Kommandeure und Truppen. Tatsächlich ist es das völlige Gegenteil dessen, was seit über einem Jahr die Politik erzählt und willig im Mainstream verbreitet wird. Die Ukraine muss siegen, und sie wird siegen. Sie ist die überlegene Armee und gut ausgerüstet, sie wird den Aggressor schlagen.
Ein Dokument legt nahe, dass einige NATO-Staaten (USA, Frankreich, Niederlande, Lettland, Großbritannien) in der Ukraine „boots on the ground“ haben. Nicht viele, 100 Spezialkräfte wären es insgesamt. Das wären genau 100 zu viel, weil es bedeuten würde, dass NATO-Staaten entgegen anderslautender Versicherungen eben doch direkt involviert sind im Krieg mit Russland. In den USA braucht es dafür eine Ermächtigung durch den Kongress, die es nicht gibt. Das ist nach der USA-Verfassung illegal. (Quellen FT und Independant)
Aus einem Dokument geht eine geschätzte Verlustrechnung des Kriegs hervor. Dessen Verfasser verwiesen jedoch auf den ukrainischen Ursprung der Angaben und wollten insofern keine Verantwortung übernehmen. Sind US-Geheimdienste wirklich so schlecht informiert, ohne eigenen Analysen der Verluste auf beiden Seiten? Die im Dokument aufgeführten Zahlen sind wenig glaubhaft, aber das ist nicht der kritische Punkt. Der betraf die Frage, in welchem Verhältnis ukrainische und russische Verluste stehen. Wer verliert mehr Soldaten?
Kiew bezeichnete umgehend alles als Fälschung.
Über dieses angeblich gefälschte Dokument wurde weder durch die Washington-Post, die NYT noch durch die FT berichtet. Nur bei Fox nannte Tucker Carlson die im Dokument beschriebene Verlustrate: Auf einen russischen Verlust kämen 7 ukrainische. Der ukrainische Botschafter in Großbritannien erklärte zur Opferfrage: Erst nach dem Krieg würde die ukrainische Regierung die genauen Verluste einräumen. Es wäre eine „schreckliche Zahl“.
Die BBC wiederum berichtete über ganz andere Zahlen und wusste von einer Fälschung dieses Dokuments. Wer ihr dann aber das „richtige“ Dokument und die „richtigen“ Zahlen gegeben hatte, blieb ihr Geheimnis. Die Tagesschau war ebenfalls kreativ: Die ließ alle schlechten Nachrichten zur Lage im Ukraine-Krieg schlicht weg und konzentrierte sich auf anderes.
Nun ist es nicht so, dass bestimmte geheimdienstliche Aussagen zur bitteren Realität des Ukraine-Kriegs völlig überraschend wären. Man staunt eher, wie wenig Überraschendes in den öffentlich gewordenen Papieren steht. “Is it all, there is”, wie Peggy Lee in einem Lied einst fragte.
Natürlich ist längst klar, dass der Ukraine die Zeit davonläuft, die Munition knapp wird, die Luftabwehr zu versagen droht, klar, dass die Ukraine ein Rekrutierungsproblem hat und inzwischen Menschen von der Straße aufsammelt und an die Front schickt, die dort stante pede sterben. Ein ehemaliger US-Marine (The Reading Junkie) erklärte auch, warum: Auch Geheimdienste kochen nur mit Wasser und nehmen, was sie an Informationen bekommen können, auch aus dem öffentlichen Raum, und verwursten sie dann. Aber nun konnte man das, was sie so ansammelten, auszugsweise nachlesen.
Klaffende Narrativ-Lücke
Das politisch Brisante am Vorgang ist, dass keines der großen, meinungsbildenden Medien problematisierte, dass zwischen dem offiziellen politischen und medialen Narrativ zum Ukraine-Krieg und dem geheimdienstlich Aufgeschriebenen eine ganze Welt klafft. Sie bewiesen hohe Intelligenz, eine Nachricht in die Welt zu setzen und sie gleichzeitig herunterzuspielen. Denn sie widersprach dem, was auch sie verkündet hatten. Eine derartige Medienarbeit führt immer zu Spekulationen.
Sollten durch die Art der US-Medienberichterstattung Erwartungen an einen Erfolg der ukrainischen Frühjahrsoffensive gedämpft werden? Würde es den Russen helfen?
Ist das Teil einer behutsamen Vorbereitung der Öffentlichkeit auf die Tatsache, dass der Ukraine-Krieg nicht so läuft, wie versprochen?
Soll so die Unterstützung für noch mehr Waffenlieferungen in die Ukraine gestärkt oder das Feld für eine direkte Beteiligung der NATO bereitet werden?
Versuchte ein Teil des Washingtoner Machtapparats einem anderen Teil die Augen über die Kriegslage zu öffnen?
Oder ist das alles nur ein weiteres Indiz, dass Medien die kritische Distanz zur Macht verloren haben?
Nicht mehr spekulieren braucht man darüber, dass zur Lage in der Ukraine gelogen wird, dass sich die Balken biegen.
Never waste a good crisis!
Der US-Präsident Joe Biden jedenfalls folgte dem Muster: Der Vorfall ist natürlich besorgniserregend, aber er spielte ihn gleichzeitig auch herunter. Es wäre nichts wirklich Schlimmes passiert. Seine Administration wird demnächst die Überwachung aller Internet-Nutzer weiter verschärfen. (Man sollte doch meinen, es würde reichen, die Geheimnisträger stärker in die Pflicht zu nehmen, aber nein. Never waste a good crisis! Der “kleine Mann” wird stärker überwacht werden.)
Wie sich Medienvertreter bei einem Pressebriefing des Pentagon verstanden, kann nachgelesen werden. Nicht ein Mitglied der Presse stellte eine Frage zum Inhalt der Dokumente. Niemanden schien zu interessieren, warum sich offizielle Erklärungen zum Krieg und das, was im Geheimen aufgeschrieben war, widersprachen. Niemanden besorgte die direkte Kriegsbeteiligung der USA. Sie bettelten regelrecht darum, dass künftig die Administration ihre Geheimnisse noch besser verstecken möge.
Nun ist ein junger Amerikaner verdächtig, Geheimnisverrat begangen zu haben. Die Anklage gegen ihn schließt jede Dokumentenfälschung aus. Er hätte auch nicht die technischen Mittel dazu gehabt.
Aufschlussreich ist, wie sich Medien in Bezug auf den mutmaßlichen Dieb von Staatsgeheimnissen verhielten. Immerhin gehörten dazu Dokumente, die die USA noch nicht einmal mit Alliierten teilen würden. Wie nannte BILD den jungen Amerikaner? Einen „Maulwurf“. So erfährt man, aus welcher Perspektive sie das Tun des Einundzwanzigjährigen beurteilt. Aus der Perspektive des Pentagon. Sie drückte sogar die Hoffnung aus, dass die unprofessionelle Art des Kopierens der Dokumente die Arbeit der Ermittler erleichtern könnte, den Täter dingfest zu machen.
An der Jagd nach dem „Maulwurf“ waren Bellingcat, die NYT und die Washington Post beteiligt. Bei Bellingcat überrascht das nicht weiter. Manche, nicht nur Moon of Alamaba, halten Bellingcat für ein Sprachrohr des MI 6. Im Fall der NYT und der Washington Post ist es jedoch einmal mehr regelrecht erschütternd, dass denen an der Enttarnung des Leakers mehr zu liegen schien, als an der politischen Einordnung des Inhalts der geleakten Dokumente.
Wie stießen die überhaupt auf die angeblich geschlossene Spielergruppe (Teilnahme nur auf Einladung), wie konnten die deren Mitglieder identifizieren? Die Antworten darauf wären sehr interessant. Einige US-Medien begannen umgehend mit der Charakterhinrichtung des verdächtigten jungen Mannes. Auch BILD schien zu wissen: Er sei schießwütig, rassistisch, prahlerisch, weiß. Beim ersten Gerichtstermin soll er zu den Anschuldigungen geschwiegen haben.
Wurde aus einem Leak ein Ablenkungsmanöver?
Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Wie viele Dokumente wurden geleakt? Keiner scheint es zu wissen. Die BBC will 20 Seiten, die FT 100 Seiten gesehen haben, andere sprachen von über 50. Nun tauchte in der Washington Post eine neue Zahl auf: Zu 300 geheimen Dokumente will sie Zugang gehabt haben? Wer hat ihr denn den Zugang dazu verschafft? Kommen alle neu in der Berichterstattung genannten Dokumente aus derselben Quelle? Moon of Alabama stellte meines Erachtens die richtige Frage:
Handelt es sich um eine weitere unkontrollierte Verbreitung geleakter Unterlagen, oder ist es ein Versuch einer Schadensbegrenzung, sprich wurde aus einem Leak nun ein Ablenkungsmanöver?
Geheimdienste sind nicht sehr erfinderisch, wenn es darum geht, ein politisches Narrativ zu retten. Sie tun immer das Gleiche: Sie schaffen eine Informationsflut, um so die Nadel (in dem Fall: die düsteren Kriegsaussichten der Ukraine und die direkte Beteiligung von NATO-Soldaten im Krieg) im Heuhaufen (von Informationen) zu verstecken und verlassen sich darauf, dass Medien mitziehen.
Was verrät uns das bisher Bekannte noch?
Die USA haben offenbar ein gravierendes nationales Sicherheitsproblem, dass nun aufgeflogen ist. Das Prinzip: „need to know“ (wer was wissen muss), bestimmt normalerweise den Verteilerkreis jeglicher sensiblen Information. Wer muss gleichzeitig wissen, was im Ukraine-Krieg los ist, ob der Mossad nach US-Einschätzungen im eigenen Land konspirierte, wie die USA Aufklärung betreiben oder welche Länder oder Personen sie ausspionieren, bzw. was die CIA intern aufschreibt?
Dann gibt es noch das Prinzip, dass nur Amerikaner Geheimstes sehen dürfen. Freundschaft oder gar Vertrauen gibt es nicht. Da wird hart abgewogen. Nun wird berichtet, dass Kiew ein bisschen sauer sein soll, dass es ausspioniert wird. Willkommen im Club von „Das geht gar nicht unter Freunden“. Nach der öffentlichen Darstellung durch CNN sollen Informationen völlig verschiedener Geheimhaltungsstufen (einschließlich: Nur für amerikanische Augen bestimmte) in einem einzigen technischen Informationskanal gebündelt gewesen sein. Das Allergeheimste zusammen mit dem, was nicht so geheim war? Da die höchste Sicherheitsstufe die Klassifikation von allem bestimmt, müsste alles in diesem einen Kanal unter die höchste Sicherheitsstufe gefallen sein.
Und da kommt ein 21-Jähriger ran? Ohne Spuren zu hinterlassen?
Normalerweise gibt es klare Regeln und genaue geheimdienstliche Überprüfungen, bevor man überhaupt etwas Geheimes erfahren darf. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie viele Überprüfungen in der Bundesrepublik jemand erfolgreich bestehen muss, um als so „verlässlich“ zu gelten, um auch die oberste Geheimhaltungsstufe zu erklimmen. Wenn es also in den USA so gewesen sein sollte, wie medial beschrieben, dann hätten die USA nicht nur ein kleines Problemchen mit einem kleinen aber politisch verheerenden Leak, sondern eine höchst fahrlässige Art des Umgangs mit geheimen Materialien.
Ist es vorstellbar, dass in den USA Geheimnisse unterschiedlicher Sicherheitseinstufung technisch zusammengewürfelt werden in einem einzigen IT-Kanal? Dass jeder, der dort arbeitet, ziemlich unkontrolliert ist? Dann war das, was in den USA in diesem Kanal zusammengepanscht wurde, nicht nur auszugsweise in den Händen eines 21-Jährigen. Das wäre der berühmte Honigtopf, der Professionelle anlockt. Was hat, inmitten geheimer Pentagon-Dokumente ein internes CIA-Dokument zu suchen? Dann wäre ja nichts mehr, was die CIA macht oder der militärische US-Geheimdienst nur noch intern. Für alle wäre alles transparent. Man kann es ja nicht ausschließen, dass alle so furchtbar dumm sind. Es ist nur schwer vorstellbar.
Ich glaube, die Amis sind pfiffiger. Ich glaube, dass die verschiedenen US-Geheimdienste ihre eigenen Reviere gut abgrenzen und sich nur ungern in die Karten schauen lassen. Zumindest in der Vergangenheit gab es immer wieder Hinweise, dass die Koordinierung der „Dienste“ durch das Weiße Haus nicht optimal läuft. Dort sitzt die Koordination der Geheimdienste.
Aus allem muss man schlussfolgern, dass die Aufklärungslust von Medien, wenn es um „Fragen der nationalen Sicherheit“ geht, durch die politische Verfolgung von Assange schwer angeschlagen wurde.
Lieber lassen sie sich von namenlosen Mitarbeitern aus Sicherheitskreisen etwas zuflüstern und verbreiten es dann, als wäre es die in Stein gehauene Wahrheit, als politisch „unangenehme“ inhaltliche Fragen zu stellen. Im Fall der Pentagon 2.0 Leaks beteiligen sie sich eher daran, den Inhalt der Botschaft zu verwischen, indem sie sich auf den mutmaßlichen Überbringer der schlechten Nachricht konzentrieren. So war es auch im Fall Assange. So war es bei Russiagate. Bisher hat es zuverlässig funktioniert.
Eine breite Öffentlichkeit hat ein schlechtes Bild von Assange, und das überdeckt die Gefahr für die Demokratie, die seine Verfolgung bedeutet. Wenn Medien sich auf Seiten der Mächtigen schlagen und zu ihren Sprachrohren werden, dann ist niemand mehr frei, niemand mehr vor staatlicher Übergriffigkeit geschützt. Dann kann man im Namen staatlicher Sicherheitsinteressen eine Schweinerei nach der anderen veranstalten. Denn der Betrug wird ja nicht mehr offenbar.
Es steht außer Frage, dass die Beurteilung des Krieges und der Erfolgsaussichten der Ukraine eine ganz zentrale Politikfrage ist, bei der sich jedes Schönreden der Lage und unwahre Behauptungen verbieten (sollten). Trotzdem ist für alle, die es wissen wollen, wegen einiger Medien nun transparenter geworden, wie die Lage in der Ukraine im Geheimen eingeschätzt wird: Sie ist sehr viel schlimmer, als wir glauben sollen und als uns täglich eingehämmert wird.
Was haben deutschen Medien dazu zu sagen? Fragen sie nun den Bundeskanzler, ob er diese geheimen Beurteilungen aus den USA teilt? Wie denn, wenn die Tagesschau ausgerechnet das in ihrer Berichterstattung weglässt?
Wird ihnen nicht bange, dass eine deutsche Außenministerin in China agierte, als stünde die Ukraine vor dem „Siegfrieden“, als säße sie, die Güterherrin, auf einem hohen Ross, berechtigt, ihrem chinesischen Reitknecht zu erklären, wo der nun langzugehen hat? Wie die Berliner Zeitung freundlich formulierte, war die China-Mission nur „mäßig erfolgreich“. Aber Frau Baerbock besuchte China nicht als Grünen-Politikerin, die reden kann, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, sondern in offizieller Mission, als Vertreterin des ganzen Landes.
Grundgesetz respektiert
Wegen der Leaks, nicht wegen der Tagesschau, wissen wir verlässlicher, dass Spezialkräfte aus NATO-Staaten in der Ukraine sind, wo sie nach offiziellen Behauptungen nicht sein sollen, und es also doch eine direkte Beteiligung von NATO-Staaten (3 Atommächte) am Krieg mit Russland gibt.
Nach US-Erkenntnissen befinden sich darunter keine deutschen Spezialkräfte. Das bedeutet, dass in dieser Schlüsselfrage das Grundgesetz respektiert wird und die deutsche Regierung (anders als die US-Regierung) in diesem Punkt ehrlich handelt. Das wiederum ist schon fast ein Grund zur Freude. Aber auch das ist der Tagesschau keine Zeile wert.
Die Sorge ist nicht vom Tisch, dass die miserable Lage der Ukraine die Vertreter von „Siegfrieden“ zu noch fataleren Schlussfolgerungen verleiten und es zum offenen militärischen Kriegseintritt von NATO-Staaten kommen könnte. Dem einen oder anderen gefällt eine solche Option längst viel zu gut. Dann wären wir vollends im Dritten Weltkrieg. Bei all der Desinformation und Propaganda der vergangenen Monate, dem Niedermachen alles Bemühens um Frieden und Ausgleich, ist noch nicht einmal sicher, ob der Bundestag dann in seiner Mehrheit widerstünde.
Es ist überfällig, dass deutsche Medien wieder sagen, was IST. Es ist ihre demokratische Pflicht.
Nebenbei. Kommunikativ lässt sich die ukrainische Seite vom Leak nicht beirren. Das Leak nütze nur den Russen, erklärte der ukrainische Geheimdienstchef im Interview mit ABC. Der wollte (verständlicherweise) nicht kommentieren, ob es stimme, was auch in geheimen US-Dokumenten steht: Dass die Ukraine sich auf tiefe Schläge in Russland vorbereite. (Eigentlich wollte der Westen das erklärtermaßen ausschließen.) Aber er antwortete auch auf die Frage, ob Russland zerbrechen sollte und sagte, dass es Zeit wäre, dass Russland kollabiert. Es sei ein „künstliches Konstrukt“. (ab Minute 1:55) Natürlich gehört die Demonstration von Stärke und Siegesgewissheit auch zu dessen Job-Beschreibung, genauso wie die Täuschung. Wollen wir also alle zusammen mal die Daumen drücken, dass der gute Mann nur log und die Vernichtung Russlands nur propagandistisch in den Raum warf.
Sonst müsste man es als weiteres Indiz nehmen, wo die Reise hingeht, wenn Wahrheit und Fiktion nicht mehr unterschieden werden: Stracks Richtung Tollhaus, voller gemeingefährlicher, völlig verrückter Leute, die nicht wissen, was sie tun.
Liebe Frau Erler,
vermutlich haben die Amerikaner (der Kongress) nach dem Terrorangriff von 9/11 auf das World Trade Center die Zugangsbeschränkungen zu Erkenntnissen der Geheimdienste stark ausgeweitet, eben weil man z.B. der CIA nach diesem Schock vehement vorwarf, dass sie ihre Erkenntnisse nicht oder nicht weitreichend genug mit den Sicherheitsbehörden ausgetauscht hatten. Sprich, dass sie damals tatsächlich nach dem Need to know Prinzip verfuhren. So habe ich es irgendwo gelesen, und da s macht Sinn. Der Personenkreis, der nach 9/11 Zugang zu Geheimdienstinformationen bekam, wurde damit sehr viel größer, und weil die USA panische Angst hatten, dass so was noch mal passiert, oder weil sie nach 9/11 so sehr mit ihren diversen Kriegen beschäftigt waren, haben sie unterlassen oder schlichtweg vergessen, das Ganze wieder rückgängig zu machen. Ab jetzt wird es für jeden Whistleblower sehr viel schwieriger sein und gefährlicher.
Außerdem hatte Teixeira angeblich eine hohe Sicherheitsstufe.
Erwarten Sie tatsächlich von deutschen Medien noch, zu sagen was ist? Es gibt meines Erachtens nur noch wenige, die dazu willens sind. Was z.B. soll man noch vom SPIEGEL halten, wenn dessen Chefredakteur vom Boulevard BILD kommt?
Dass der Chef des ukrainischen Geheimdienstes das Auseinanderbrechen der Russischen Föderation erhofft (und sicher sein Bestes dafür geben will, da bin ich sicher), wundert mich nicht. Besonders scharfe Falken in der ukrainischen Regierung haben ja wiederholt erklärt, dass die Ukraine erst Ruhe haben werde, wenn in Moskau der Aufstand gegen den Kreml losbreche. Dafür müssen man nicht einmal selbst in Russland einmarschieren.
Das dürfte zumindest ein der ukrainischen Regierung sein und wir müssen diese Äußerungen ernst nehmen, Olaf Scholz tut das ja immer noch.