NRW-Schulministerin Feller
Ob groß wie NRW und Bayern, klein wie Rheinland-Pfalz und Sachsen oder winzig wie das Saarland und Bremen: Alle 16 Bundesländer haben ein Schulministerium. Das in NRW erlebt seit der Gründung des Landes die 17. Führungskraft an seiner Spitze: Es handelt sich um das CDU-Mitglied Dorothee Feller. Den Namen der Ministerin sollte man sich merken. Erst seit dem 29. Juni 2022 im Amt, hat sie sich doch schon deutlich von den meisten ihrer 16 Vorgänger abgesetzt.
Weitere Skandale erwartet
Wegen IT-Pannen im Soester Landesinstitut für Schule Qua-Lis, das dem Schulministerium untersteht, mussten jüngst zum Unmut von Schülern und Lehrern Abiturprüfungen verschoben werden. Obendrein wurden Nutzerdaten von Lehrkräften und Mitarbeitern ungeschützt im Netz gefunden. Während die meisten Minister generell dazu neigen, die Leistungen ihres Ministeriums zu beschönigen, tat Feller das Gegenteil. Sie ließ sich öffentlich über den miserablen Zustand ihres Hauses aus.
„Ich finde im Ministerium Baustellen vor, da kann ich nur mit dem Kopf schütteln mittlerweile, das muss ich echt mal sagen“, entfuhr es ihr. Feller rechnet damit, dass demnächst in ihrem Wirkungskreis weitere Skandale hochkochen werden. Die Probleme im Schulministerium seien nur nach und nach zu lösen, meinte sie. „Die sind inhaltlicher Art, die sind organisatorischer Art.“ Vor allem seien sie nicht neu, betonte sie. Es gebe die Probleme schon seit Jahren.
Wer lange genug mit Politik zu tun hat, weiß, dass Minister gleich welcher Couleur Fehler und Skandale in ihrem Bereich gerne direkt oder indirekt an ihren Vorgängern festmachen, vor allem dann, wenn sie aus gegnerischen Parteien stammen. Will Feller mit ihrem Hinweis auf alte, lange verschleppte Probleme in der Schulbürokratie also nur von der eigenen Verantwortung für die jüngsten Skandale ablenken?
Konflikte auf Kosten der Schüler und Eltern
Ob es sich so verhält, wissen wir noch nicht genau. Die Skandale, mit denen Feller unter Druck geraten ist, sind noch nicht aufgeklärt. Die Ministerin lässt die anstößigen Vorgänge untersuchen – nicht von Kontrolleuren aus ihrem Ministerium, sondern von externen Kräften. Zu einer solchen Maßnahme greift man, um dem Vorwurf der Verschleierung vorzubeugen, um Transparenz herzustellen und dafür zu sorgen, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird.
Unter diesen Umständen ist zu erwarten, dass Feller, sobald die Ursachen der Fehler ermittelt sind, die Missstände behebt und auch ihre Verursacher benennt, ungeachtet deren Stellung in Politik und Bürokratie. Die Schulen und ihre Institutionen gehören den Bürgern, nicht Schulpolitikern, Verbandsfunktionären und Bürokraten. Das Eigenleben dieser Gruppen interessiert die meisten Bürger nicht. Sie erwarten, dass alle Beteiligten an der Schule deren Zweck dienen: Kindern die Freude am Lernen zu vermitteln, sie zu unterrichten und auszubilden.
Wer sich mit der NRW-Politik befasst, den dürften die aktuellen Skandale in der Schulszene nicht überrascht haben. Ihr hängt seit jeher ein fragwürdiger Ruf an. Über Jahrzehnte haben die Parteien und Interessenverbände in der Schulpolitik Konflikte gepflegt, meistens auf Kosten der Schüler und Eltern. Das Schulministerium und seinen Wirkungskreis als Haifischbecken zu bezeichnen, ist sicher übertrieben. Derart große Fische gibt es dort nicht. Doch auch kleine Fische können beißen. Barrakudas halten sich selbst in kleineren Aquarien.
Brückenköpfe in der Bürokratie ausgebaut
Mit diesen Zuständen hatte schon der SPD-Politiker Hans Schwier zu kämpfen, kaum dass er im Oktober 1983 seinen Parteifreund Girgensohn beerbt hatte. Der war fast 13 Jahre lang als Kultusminister für die NRW-Schulen zuständig gewesen. In seiner Amtszeit nutzten die damaligen Volksparteien SPD und CDU die Schulpolitik über viele Jahre als Schlachtfeld, um im Kampf um die unterschiedlichen Organisationsformen der Schule gleich auch noch ihre Vorstellungen zur Entwicklung der NRW-Gesellschaft gegeneinander durchzusetzen.
Die Vorgänger des Soester Landesinstituts Qua-Lis NRW bewegten sich in diesem Konfliktfeld. Das Institut hat eine wechselvolle Geschichte. Es wurde 1962 als „Landesinstitut für Schulpädagogische Bildung (Institut für Lehrerfortbildung)“ in Düsseldorf gegründet. 1978 zog es als „Landesinstitut für Curriculumentwicklung, Schule und Weiterbildung“ nach Neuss, ehe es Girgensohn am Ende seiner Amtszeit 1983 als „Landesinstitut für Schule und Weiterbildung“ nach Soest verpflanzte. Er war dort in den 30er-Jahren zum Gymnasium gegangen.
Unter Girgensohn konnten die Interessengruppen des Schul- und Kulturbereichs ihre Brückenköpfe in der Bürokratie kräftig ausbauen. Die Lager waren in Grabenkämpfe verhakt und lieferten sich unablässig ideologische Schlachten. Kaum jemand suchte nach sachdienlichen Kompromissen. Es wurde polarisiert, was das Zeug hielt. Die Kontroversen und Konflikte waren für Parteien und Verbände längst zum Selbstzweck geworden.
Zum Spielball der Parteipolitik geworden
Schwier gelang es im Laufe der Zeit, die Schulkonflikte zu entschärfen. Er ließ etwa die Forderung der NRW-SPD, die Gesamtschule flächendeckend einzuführen, über die Jahre ins Leere laufen. Dieses Vorgehen entsprach dem Bestreben von Ministerpräsident Rau, der um die vielen Wähler warb, die in den Jahren des heftigen Strukturwandels nach Stabilität verlangten. Rau war klar, dass im konservativ geprägten NRW Wahlen mit linken Konzepten nicht zu gewinnen waren.
Im Zuge der langen Schulkonflikte geriet das Soester Landesinstitut bei CDU und FDP in Verruf, eine linke Kaderschmiede zu sein. Es war deshalb keine Sensation, dass CDU und FDP, als sie 2005 die rot-grüne Koalition ablösten, das Institut kurzerhand schlossen. Sie begründeten diesen Schritt damit, dass die Lehrer, die im Institut tätig waren, dringend für den Unterricht in den Schulklassen gebraucht würden.
Nach der Landtagswahl 2010 bildeten SPD und Grüne eine Minderheitsregierung. Die grüne Politikerin Löhrmann wurde Schulministerin und Vize-Ministerpräsidentin. Als Rot-Grün bei der vorgezogenen Neuwahl 2012 bestätigt wurde, ermöglichte Löhrmann dem aufgelösten Institut die Wiedergeburt. Seither ist nicht mehr zu übersehen, dass die Einrichtung zum Spielball von Parteipolitik geworden ist.
Im Ministerium aufräumen
Seit Schwier nach fast zwölf Jahren aus dem Amt schied, sind ihm einschließlich der gerade erst etablierten Dorothee Feller sechs Frauen nachgefolgt. Alle fünf Vorgängerinnen Fellers – von Behler (SPD) über Schäfer (SPD), Sommer (CDU), Löhrmann (Grüne) bis zu Gebauer (FDP) – waren in ihrer Amtszeit heftig umstritten. Einige dieser Schulministerinnen galten als erfolglos, andere als Totalausfall. Keine schaffte es, als rundum erfolgreich eingestuft zu werden.
Mancher dieser Schulministerinnen sagt man noch heute mit guten Gründen nach, sie hätte dazu beigetragen, dass ihre Partei die Regierungsmacht verlor und zurück in der Opposition musste. Alle Schulministerinnen hatten mit Widerständen in der Ministerialverwaltung zu kämpfen. Aus dem Kreis jener Bürokraten, deren bevorzugte Partei gerade nicht die Spitze des Hauses stellte, wurde immer wieder unter der Hand auf die Schwächen der aktuellen Ministerin hingewiesen.
Das Soester Institut bringt sich mit seinen Pannen in schlechtes Licht. Sie fordern auch Schulministerin Feller heraus. Sie muss Ordnung schaffen, aber beachten, dass die heutige Institution in Soest eine Schöpfung der Grünen ist, mit denen Feller am Kabinettstisch sitzt. Ihr Hinweis auf alte Baustellen im Ministerium ist durchaus heikel. Feller steht vor der ersten Bewährung. Die Ministerin kommt nicht aus der Schulpolitik. Sie ist Verwaltungsexpertin. Lange war sie in der Bezirksregierung Münster tätig, zuletzt fünf Jahre lang als Regierungspräsidentin. Nun muss sie im Organisationsbereich des Schulministeriums aufräumen, ohne den Koalitionspartner zu düpieren. Sehr viele werden gespannt zuschauen, ob ihr dieses Kunststück gelingt.
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