Kann das Internet die klassischen Medien ergänzen oder gar ersetzen? Die früher durchaus übliche Mediennutzung erlebt seit dem Aufkommen des Internets geradezu einen Generationsumbruch
Seit der Verbreitung des World Wide Web in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts erleben wir einen Wandel des Mediensystems. Zwar weichen die Angaben über die Mediennutzung, über die Reichweite und über die Wirkung der einzelnen Medien je nach Untersuchung deutlich voneinander ab, aber die Tendenz ist eindeutig: Schaut man auf die nachfolgenden Generationen, so verlieren die klassischen Medien, insbesondere die Zeitungen, aber auch das programmgebundene, lineare Radio und das Fernsehen dramatisch an Bedeutung – zumal für die Verbreitung von Informationen – während das Medium Internet als Kommunikationsplattform sowohl im Hinblick auf die Nutzungsmöglichkeiten, die Nutzungszeit als auch hinsichtlich des Meinungsbildungsgewichts kontinuierlich zunimmt, ja inzwischen sogar die Führungsrolle übernommen hat.
Die tägliche Auflage der Tageszeitungen hat sich von 30,2 Millionen seit Mitte der fünfziger Jahre auf 14,61 Millionen Exemplare trotz eines leichten Anstiegs im letzten Jahr mehr als halbiert.
Nur noch die Hälfte der lesefähigen Bevölkerung greift täglich zu einer gedruckten Zeitung. Auch als Nachrichtenquelle hat sich die Reichweite der Printmedien in den letzten Jahren halbiert, und die Zeit, die für die Lektüre aufgebracht wird, ist kontinuierlich zurückgegangen.
Zwar hat sich die Auflage der sog. E-Paper seit 2011 auf insgesamt 2,5 Millionen verzwanzigfacht, die Vertriebserlöse der digitalen Zeitungen können jedoch – bisher jedenfalls – die sinkenden Erlöse bei den gedruckten Zeitungen nicht kompensieren und liegen insgesamt betrachtet noch im einstelligen Prozentbereich der Gesamterlöse der Verlage.
Gegen die weit verbreitete „Kostenlos-Mentalität“ der Internet-Nutzer haben es bezahlpflichtige Angebote noch schwer.
Die Zeitungsverlage strangulieren sich selbst
Je kleiner die Auflagen der Zeitungen, desto geringer die Werbeeinnahmen, desto kleiner die Redaktionen, desto weniger tiefschürfend die Berichterstattung, desto geringer die journalistische Qualität und – im Ergebnis – desto größer der Verlust an Glaubwürdigkeit und damit wiederum der Verlust an verkaufter Auflage.
Die Zeitungsverlage sind dabei, sich selbst zu strangulieren. Dabei wäre – wie das frühere Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, zurecht meint – die große Frage nicht, „wie schafft man Klicks, Reichweite, Auflage? Die große Frage lautet: Wie schafft man Vertrauen? Dann kommen auch Klicks, Reichweite und Auflage.“
In vielen europäischen Staaten gibt es inzwischen eine direkte oder indirekte Presseförderung, etwa über eine Förderung des Vertriebs oder einen reduzierten Mehrwertsteuersatz. Die in Deutschland geplante Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens konnte bislang jedoch noch nicht umgesetzt werden.
Großes Vertrauen in das öffentlich-rechtliche Fernsehen
Nach verschiedenen Umfragen haben um die 70 Prozent der Befragten Vertrauen in das öffentlich-rechtliche Fernsehen als Institution und etwa genauso viele halten die Programme für glaubwürdig.
Weitaus weniger glaubwürdig werden die Informationen in sozialen Netzwerken eingeschätzt, YouTube erreicht hinsichtlich der Glaubwürdigkeit nur 18 Prozent, und nur noch einstellige Prozentzahlen schaffen Twitter, Facebook oder Instagram.
Obwohl über 80 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar sei und einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung leiste, würden 42 Prozent der Bürger den Rundfunkbeitrag nicht freiwillig bezahlen.
Dem Vertrauensbonus des Fernsehens steht jedoch geradezu ein „Generationsabriss“ bei der Nutzung gegenüber. Die Mehrheit der Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist über 65 Jahre alt. Das Fernsehen bleibt zwar das Informationsmedium mit der höchsten Tagesreichweite, bei den unter 50-Jährigen wurde es allerdings vom Internet überholt. Im Hinblick auf die Bedeutung bei der Mediennutzung hat das Internet das Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Fernsehen sogar schon gewonnen. Für nur noch 28,7 Prozent der 14- bis 29-Jährigen ist lineares (das heißt programmgebundenes, zur selben Zeit gesendetes und empfangenes) Fernsehen wichtig, für 55,8 Prozent dagegen Video-on-Demand. Manche sprechen – jedenfalls im Unterhaltungsbereich – sogar von einer „Kannibalisierung“ des linearen Fernsehens durch die Streaming-Dienste vor allem beim jüngeren Publikum. 38 Prozent, also nahezu 4 von 10 Menschen ab 14 Jahren, geben an, dass ihnen das Internet am wichtigsten ist, um sich über das Zeitgeschehen in Deutschland und aller Welt zu informieren. (Dabei werden natürlich nicht nur originäre Onlineangebote genutzt, sondern auch Angebote der klassischen Anbieter.)
Informationskluft zur nachwachsenden Generation – die „News-Deprivierten“
Vor dem Hintergrund, dass eine funktionierende und lebendige Demokratie auf informierte Bürgerinnen angewiesen ist, sollte es Anlass zur Besorgnis sein, dass eine tiefe Informationskluft zwischen der nachwachsenden Generation und den Älteren zu beobachten ist: Die Hälfte der Jugendlichen hält es nicht für wichtig, sich über Neuigkeiten und aktuelle Ereignisse zu informieren.
Angesichts dieses Wandels im Medienkonsum stellt sich die Frage, ob das Internet die klassischen Medien ergänzen oder gar ersetzen kann?
Meine knappe Antwort ist: Ergänzen nur teilweise ja, ersetzen – bisher jedenfalls – nein.
Richtig ist: Durch das Internet bleiben wir mit beliebig vielen Menschen in Kontakt. Wir können Nachrichten, Bilder und Videos austauschen und zeitgleich empfangen. Wir erhalten Informationen und wir können recherchieren in einem Umfang wie nie zuvor. Wir können unser Wissen verbreitern und verbreiten, wir können uns Kampagnen anschließen und politischen Druck ausüben und für Meinungen werben. Nie zuvor war es so einfach, an eine so große Fülle von Informationen und Medieninhalten weltweit und jederzeit zu gelangen wie heute. Diese Potentiale sind nach wie vor gegeben.
Vielzahl von Blogs – „Influencer“ – Alternative Medien
Im Netz gibt es nach Schätzungen allein in Deutschland etwa 200.000 Blogs (das sind öffentlich einsehbare, häufig nicht-professionelle, aber häufig auch journalistische Tagebucheinträge mit einem eigenen Internetauftritt). Solche Blogs werden monatlich etwa 800 Millionen Mal aufgerufen.
Darüber hinaus gibt es eine nicht mehr überschaubare Zahl an sog. „Influencern“. Das sind überwiegend jüngere Personen, die meist eines der großen sozialen Netzwerke nutzen, um Lebensstile, Schönheitspflege, Mode, Hobbys oder Produkte anzupreisen.
Die Bandbreite reicht von kleinen privaten Chat-Rooms bis zu Netzangeboten, die ein Millionenpublikum erreichen, wie z.B. der Webvideoproduzent Rezo, dessen Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ vor der Europa-Wahl 16 Millionen Mal aufgerufen wurde. Neben den nach wie vor reichweitenstärksten professionell journalistischen Webangeboten (also etwa bild.de oder Spiegel.de), gibt es eine große Zahl sog. „alternativer Medien“, die häufig an den Rändern des politischen Spektrums liegende Inhalte ihrem Publikum anbieten.
„Soziale Medien“: Soziale Netzwerke – Instant Messenger – Video-Portale – Suchmaschinen
Neben solchen Blogs oder eigenständigen Websites findet der weitaus größte Teil der Internetkommunikation in den „Sozialen Medien“ (Social Media) statt.
Der Begriff „Soziale Medien“ wird sehr unterschiedlich verwendet und die Abgrenzungen der unterschiedlichen Dienste ist unscharf.
„Soziale Medien“ können nämlich unterschiedliche Formen annehmen. Man unterscheidet je nach Funktion:
– Soziale Netzwerke im engeren Sinne, also Onlinedienste, die Möglichkeiten zum Informationsaustausch und Beziehungsaufbau bieten, dazu zählen etwa der Onlinedienst „Instagram“ mit 11 Millionen Nutzern täglich in Deutschland – vor allem zum Teilen von Fotos oder Videos.
Für Nachrichten und Bilder ist Facebook führend, es hat 10 Millionen tägliche Nutzer. Es gibt auch noch kleinere Dienste wie LinkedIn, Tumblr oder XING, die einstellige Millionenzahlen täglicher Nutzer haben.
Auch der durch den Kauf des Multimilliardärs Elon Musk in die Kritik geratenen Mikroblog oder Kurznachrichtendienst Twitter mit bei uns 1,4 Millionen Nutzern täglich wird dazu gerechnet. Mit Twitter kann man sog. Tweets mit 280 Zeichen an seine „Follower“ versenden.
Über diese sozialen Netzwerke kann man sich mit einer unbeschränkten Zahl von Abonnenten vernetzen und Botschaften unterschiedlichster Art austauschen, man kann auch Nachrichten aus verschiedensten Quellen empfangen.
– Neben den altbekannten E-Mails von einem Internetzugang zu anderen (elektronische Post) und den Mitteilungen mittels SMS über das Mobil-Telefon haben sich Kurzmitteilungsdienste, sog. Instant Messengers etabliert, mit denen man sich an eine Vielzahl von Freunden wenden kann. Dazu zählen etwa WhatsApp, das 48 Millionen Menschen in Deutschland täglich nutzen; zu den Messengerdiensten rechnet man auch WeChat oder Skype, neuerdings auch Telegram, Snapchat oder der gemeinnützige Messenger Signal.
– Dann unterscheidet man noch Videoportale, dazu zählen z.B. YouTube mit in Deutschland wöchentlich 30 Millionen Nutzern, Vimeo, neuerdings auch Byte oder die schnell wachsende Video-Plattform TikTok (Douyin) mit schon 22 Millionen Nutzern in Deutschland.
Große Netzwerke in China sind Renren, die immer beliebter werdende App (Anwendungssoftware) WeChat oder Baidu und in Russland etwa VKontakte.
– Die größte Suchmaschine in Deutschland ist Google – mit weit über 90 Prozent Marktanteil, mit großem Abstand folgen Bing (mit knapp 6% Marktanteil), Yahoo (mit gerade 1%), Ecosia oder DuckDuckGo – letztere Suchmaschine zeichnet keine Suchverläufe auf (deshalb nutze ich sie gerne). Eine visuelle Suchmaschine ist Pinterest.
Soziale Netzwerke als „Intermediäre“
Unter dem Aspekt der Meinungsbildung werden Soziale Netzwerke unter dem Oberbegriff „Intermediäre“ zusammengefasst.
Sieben von zehn Personen ab 14 Jahren in Deutschland nutzen täglich Intermediäre. Sechs von zehn Personen nutzen täglich WhatsApp (60%) und/oder Google (60%), über ein Drittel YouTube (35%), fast jeder Vierte Facebook (23%) und gut jeder Fünfte Instagram (22%).
Für drei Viertel der 14- bis 29-Jährigen bestimmen die Medienintermediäre mit, welche Informationen zum Zeitgeschehen aus Deutschland und der Welt wahrgenommen werden. Dabei belegt Instagram mittlerweile die zweite Position hinter Google bei der informierenden Nutzung. YouTube und Facebook folgen auf Rang 3 und 4.
Hashtag-Trends (also mit dem Raute-Symbol markierte Stichworte), Twitter-Topics oder Google-Empfehlungen können nicht nur die öffentliche Meinungsbildung prägen, sondern umgekehrt wiederum inzwischen sogar den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen.
Auch der professionelle Journalismus bedient sich des Internets und der sozialen Netzwerke als Kommunikations- und Recherchemittel.
Der professionelle Journalismus hat seine Torwächter-Funktion verloren
Die Medienintermediären sind zu wichtigen Verbreitungsplattformen sämtlicher sonstiger Medien- oder Informationsanbieter und damit zu zunehmend wirkmächtigen Meinungsmultiplikatoren geworden. Sie sind, ähnlich wie die klassischen Medien, zu virtuellen Redaktionen und damit zu „Gatekeepern“ der veröffentlichten Meinung geworden, denn ihre Auswahl-Algorithmen entscheiden nicht unwesentlich darüber, welcher Medieninhalt wie viele und welche Nutzer tatsächlich erreicht.
Was in die News-Feeds, also die Nachrichten, die von ausgewählten Kontakten angespült werden oder in den Trefferlisten von Suchanfragen in Suchmaschinen an den ersten Plätzen steht, wird häufig unreflektiert als wahr und als nach vermeintlich objektiven Kriterien relevant eingeordnet. Vielen Nutzern ist das Wirken einer algorithmischen Sortierfunktion dabei gar nicht bewusst.
Soziale Netzwerke: Keine Basisdemokratie
Von der Utopie, dass über das World Wide Web jeder und jede unzensiert das Grundrecht auf Pressefreiheit wahrnehmen könnte und dass so eine basisdemokratische, herrschaftsfreie Kommunikation möglich würde, sind wir weit entfernt.
Empirische Studie haben herausgefunden, dass „die Erwartung, dass soziale Medien neue Räume für inhaltliche Debatten eröffnen“, sich nicht bestätigen lasse. Es handle sich eher um eine niedrigschwellige kurzfristige, problem- oder betroffenheitsorientierte, teilweise zwar sehr intensive, aber nicht nachhaltig und langfristig angelegte Beteiligung. Ein virtueller Raum „öffentlicher Beratschlagung“ entstand nicht.
Politische Bewegungen brauchen nach wie vor eine Organisation
Man kann über das Internet Unterschriften sammeln und Online-Petitionen oder spontane Zusammenkünfte, sog. „Flashmobs“ oder Demonstrationen organisieren, wie es z.B. die sog. „Querdenker“ gezeigt haben, um jedoch dauerhaft Themen in die öffentliche Debatte hineinzutragen, braucht es nach wie vor Organisationen, die Bewegungen strukturieren, also Parteien und Verbände oder NGOs. „Ohne ein Gefäß für Meinungsaustausch, das eine Autorität in der Öffentlichkeit besitzt, können Sie keine Meinung bilden. Im Netz gibt es im Grunde keine Öffentlichkeit“ schreibt Alexander Kluge.
Internetdienste als Datenkraken
Spätestens seit den Enthüllungen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden müssten alle wissen, dass die gewonnene Freiheit der Information mit einem Verlust an Anonymität und einer neuen privaten und/oder staatlichen Macht über persönliche Daten erkauft wird. Die angeblich „kostenfreien“ Internet-Dienste von Facebook und Co. sind vor allem auch Datenkraken, die mit dem Sammeln und dem Verkauf von Nutzerdaten Milliarden an Gewinnen machen.
Die fünf Tech-Giganten sitzen auf einem weltweit einmaligen Datensatz. Z.B. gibt es auf Google jeden Tag 3,5 Milliarden Suchanfragen.
Die chinesische Suchmaschine Baidu erkennt z.B., wo sich eine Menschenansammlung bildet. In China gibt es die ersten Modellversuche, wie Online-Daten nicht nur zur umfassenden Überwachung genutzt werden können, sondern – über ein Sozialpunkte-System – das soziale Verhalten der Bürger bewertet und mit Sanktionen oder Vergünstigungen gesteuert werden soll.
Auch in Frankreich, England und in den USA gibt es sog. Safe Cities mit einer automatischen Auswertung der Videoüberwachung.
Was in China der Staat treibt, machen in der westlichen Welt private Internetunternehmen
Nach dem Cloud Act und dem Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) sind die amerikanischen Tech-Unternehmen zur Herausgabe ihrer Daten an die amerikanischen Geheimdienste verpflichtet.
Die Harvard-Ökonomin Soshana Zuboff hat dafür den passenden Begriff „Überwachungskapitalismus“ eingeführt.
Militarisierung des Internets
Neben solcherart „privater“ Datenüberwachung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit seit geraumer Zeit eine Militarisierung des Internets statt. Rund dreißig Staaten verfügen über Cyberwaffen, Viren, oder mittels DDoS-Attacken (Distributed Denial-of-Service) können durch Überflutung computergesteuerte Infrastrukturen lahmgelegt werden, und viele andere Attacken mehr.
Die Online-Präsenz wird zur handelbaren Ware
Mehr und mehr wird den Internet-Nutzern bewusst, dass, wenn etwas nichts kostet, der Nutzer das Produkt ist. Das Betriebsmodell ist das der Beobachtung und des geschäftlichen Nutzens des Verhaltens der Nutzer. Die Online-Präsenz wird zur handelbaren Ware. Facebook sei „ein Werbenetzwerk unter einer altruistischen Tarnung“ sagt der Chefredakteur von netzpolitik.org. Markus Beckedahl. Die sozialen Netzwerke sind die größten Werbeagenturen. Nach Schätzungen der Boston Consulting Group soll der Handelswert persönlicher Daten allein im Jahr 2020 330 Milliarden Euro betragen haben.
Digitales Paradoxon
So groß die Ängste vor der Sammlung von Daten im Internet sind, so wenig schlägt sich das jedoch im Nutzerverhalten nieder. Man kann hier ein digitales Paradoxon beobachten, d.h. obwohl z.B. die Vertraulichkeit von persönlichen Daten von vielen sehr wichtig eingestuft wird, findet die Nutzung von Internetdienstleistungen weitgehend sorglos statt.
„GAFAM“ und „FANG“: Soziale Netzwerke sind zu ökonomischen und Internet-Oligopolen geworden
Soziale Netzwerke sind darüber hinaus zu Informations-Oligopolen geworden und sie beherrschen das Internet. Der Philosoph Boris Groys spricht von einem „digitalen Feudalismus“.
Der Internetzugang wird in der westlichen Welt von den „Big Five“ eröffnet, nämlich von „GAFAM“ (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft). Die „sozialen Medien“ werden von „FANG“ (Facebook, Amazon, Netflix, Google) dominiert. Mit einem Suchmaschinen-Marktanteil von über 90 Prozent beherrscht Google den Zugang zu den Netzinhalten. Amazon hat nicht nur einen Anteil von 36 Prozent am gesamten Online-Handel, sondern beherrscht mit fast zur Hälfte (47,8%) den Markt beim Cloud Computing, also bei externen Speicherplätzen für Rechen- oder Dienstleistungen. Unter den 20 größten Digitalkonzernen gibt es kein einziges europäisches Unternehmen.
Die Internetgiganten – Apple, Alphabet (Google), Microsoft, Meta –, die anfangs der 2020er Jahre die Marke von einer Billion Dollar Börsenbewertung übersprungen hatten, mussten allesamt inzwischen Börsencrashs mit Massenentlassungen hinnehmen. So haben bis zu Beginn dieses Jahres Apple, Google und Microsoft unvorstellbare über 800 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren und Zuckerbergs Meta-Konzern hat ein Minus von immerhin noch 725 Milliarden Dollar eingefahren.
Die Nettogewinne der Tech-Giganten sind parallel zu den Kursverlusten im Laufe des letzten Jahres deutlich gesunken – so etwa von Apple vom ersten Quartal 2022 mit knapp 35 Milliarden Dollar auf knapp 21 Milliarden Dollar, ähnlich auch bei Alphabet und Meta; eine Ausnahme stellt der Nettogewinn bei Microsoft, der binnen Jahresfrist von 61 auf knapp 73 Milliarden Dollar gestiegen ist.
Trotz der immer noch beachtlichen Gewinne sind diese nach wie vor bestverdienenden Konzerne mit die schlechtesten Steuerzahler. Durch Praktiken der Steuerumgehung liegen die faktischen Steuersätze in Europa teilweise unter 1%. Google gehört mit Ausgaben von über sechs Millionen zu den aktivsten Lobbyisten in der EU.
Endlich zeigt auch die neue amerikanische Regierung Aufgeschlossenheit für eine gemeinsame Digitalsteuer.
Der naive Glaube von der „Freiheit im Netz“
Die Bosse der fünf Internetoligopole, die zu den reichsten Menschen der Welt gehören, vertraten über lange Jahre unisono und penetrant die Ideologie, sie seien nur neutrale Dienstleister für ihre „User“ und könnten für die von ihren Nutzern verbreiteten Inhalte nicht als „Herausgeber“ zur Verantwortung gezogen werden. Die „Sozialen Medien“ seien demnach nur eine Art „digitales Schwarzes Brett“, auf dem Leute Zettel anhefteten, ohne dass der Aufsteller der Anschlagtafel eine Verantwortung dafür trüge, was dort „gepostet“ werde.
In den USA wurde dieser Grundsatz sogar in einem Gesetz verankert. Nach der sog. „Section 230“ sollte kein „Provider“ juristisch wie ein Verleger behandelt und für die geposteten Inhalte verantwortlich gemacht werden können. Die BigTech-Unternehmen haben bisher in den USA damit praktisch absolute Immunität.
Aus einer Mischung aus Technikbegeisterung, Staatsabwehr und dem naiven Glauben an die „Freiheit im Netz“ wird diese Ideologie der Netz-Oligopolisten vor allem von einem großen Teil der jüngeren Online-Community politisch mitgetragen und auf der Straße massiv unterstützt. Staatliche Regulierungen werden als freiheits- und fortschrittsfeindlich gebrandmarkt.
Private Zensur
Es ist „ein Treppenwitz der Geschichte“, dass ausgerechnet Trump, für den Twitter das wichtigste Kommunikationsmedium während seiner Präsidentschaft war, mit seinem Ärger über die Sperrung seiner persönlichen Benutzerkonten quasi als ungewollten Nebeneffekt auch in den USA eine Debatte darüber ausgelöst hat, wonach die Internetdienste doch für die geposteten Inhalte verantwortlich gemacht werden können sollten.
So schlimm man die Tweets von Trump auch gehalten haben mag, dass Facebook und Twitter einfach dessen Nutzerkonten gesperrt haben, hat mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nichts zu tun, sondern das ist nichts anderes als private Zensur. In dieser unregulierte Entscheidungshoheit der Tech-Giganten sehen viele einen autoritären Charakter der digitalen Revolution.
Politische Einflussmacht
Ein Beispiel für die „unheimliche Macht“ der Internet-Oligopolisten war ein Boykott von Facebook gegen ein in Australien geplantes Gesetz, das von den Plattformen verlangte, einen Teil ihrer Einnahmen aus der Verlinkung von Artikeln und Filmen an die Urheber, also an Verlage oder Künstler, abzugeben. Selbst behördliche Notdienste wie die Feuerwehr waren über Nacht gesperrt. Auch Google hatte gedroht, sich aus Australien zurückzuziehen. Der Druck war erfolgreich, statt eines staatlichen Schiedsverfahrens sollen nun die Konzerne mit den örtlichen Medienunternehmen Lizenzgebühren nach Gutdünken vereinbaren können.
Auch in Deutschland versuchen es die Konzerne mit „Schmieren statt Regulieren“. Um ein solches Gesetz in Deutschland abzuwehren, hat sich Google mit vielen Verlagen, wie etwa die FAZ, dem Spiegel, der Funke Mediengruppe, und vielen anderen mehr geeinigt und gibt ein wenig Geld ab. Diese Geldausschüttung erfolgt nach „Gutsherrenart“.
Algorithmen entscheiden, welche Inhalte bestimmte Nutzer in welcher Reihenfolge zu sehen bekommen
Die Vision des Internets war anfänglich geprägt vom Bild der Offenheit und Vernetzung in einer freien, nicht-kommerziellen Informationsgesellschaft.
Vom freien Informationsfluss im Netz kann jedoch keine Rede sein. Die Kontrolle über die verbreiteten Inhalte liegt nicht bei den Nutzern, sondern bei den Betreibern sozialer Netzwerke. Internetdienstanbieter sind nicht neutral. Es bleibt verborgen, dass die „geposteten“ Inhalte vor allem aufgrund von geheim gehaltenen Sortier- und Suchalgorithmen der Internetdienstleister gesteuert werden. Solche den Betriebsgeheimnissen der Tech-Giganten unterliegende Computer-Rechenprogramme kategorisieren, filtern und hierarchisieren die Angebote – milliardenfach und in Bruchteilen von Sekunden.
Über das Such- oder Klickverhalten wird nachverfolgt, welche Netzinhalte vom Benutzer gesucht werden und welche ihm wichtig erscheinen. Basierend auf diesen Daten entscheidet der neue Alleineigentümer von Twitter, Elon Musk, kritischen Journalisten von CNN, New York Times und der Washington Post den „Account“ zu diesem Kurznachrichtendienst sperren. und die geheimen Algorithmen der Intermediäre, welche Inhalte bestimmte Nutzer in welcher Reihenfolge zu sehen bekommen.
Gefahr des Verlustes der Meinungsvielfalt
„Unser Ziel ist es, mit dem Newsfeed die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt zu schaffen”, sagte Facebook-Gründer Zuckerberg, wohl ohne selbst zu erkennen, welches Problem für den Erhalt von Meinungsvielfalt er damit beschrieb. Die konsequente Personalisierung der Informationen zerstört die Grundfunktion der Öffentlichkeit, nämlich den offenen Austausch der vielfältigen und kontroversen gesellschaftlichen Meinungen.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 zum Rundfunkbeitrag auf die Gefahr hingewiesen, „dass – auch mit Hilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt“.
Der „Filterblasen“- oder „Echokammer“-Effekt?
Die Auswahltechnik, die den Internet-„Surfern“ das anzeigt, was sie ohnehin suchen oder meinen – egal was tatsächlich in der Welt vor sich geht -, wird häufig als „Filterblasen-“ oder „Echokammer“-Effekt bezeichnet. Obwohl diese Effekte plausibel erscheinen, sind die empirischen Nachweise dafür bislang dünn gesät.
Als einigermaßen gesichert gilt jedoch, dass bei zahlenmäßig durchaus beachtlich großen gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Opposition zu der in den klassischen Medien veröffentlichten Meinung verstehen, durch die personalisierten Nachrichtenströme Verfestigungen von Vorurteilen oder Ideologien beobachtbar sind.
Auch Menschen, die vom öffentlichen Diskurs abweichende, oftmals stark ideologisch begründete Überzeugungen haben, können durch die selektive Auswahl der Angebote im Internet zur Anschauung gelangen, dass ihre randständigen Auffassungen mit der „Volks“-Meinung übereinstimmen, sodass sich polarisierende „Gegen- oder Teilöffentlichkeiten“ mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen bilden. An die Stelle einer einzigen Öffentlichkeit, die die Gesellschaft zusammenhält, ist eine Vielzahl von Öffentlichkeiten getreten. Man spricht auch von einer Fragmentierung der Öffentlichkeit.
Ideologisch homogene Diskursräume führen zur Radikalisierung von Meinungen
Ideologisch homogene Diskursräume führen zur Radikalisierung von Meinungen und Positionen. So kann eine „Wir-gegen-die-Haltung“ entstehen, die Hass sähen und einen Nährboden für politische Radikalisierung bilden kann. Solche sektenartigen Phänomene lassen sich etwa bei den Corona-„Querdenker“-Demonstrationen beobachten.
Verrohung der Sprache im Netz
Eine Tatsache ist jedenfalls unbestritten: Im Netz ist eine Verrohung, ja teilweise sogar eine Vergiftung der Sprache beobachtbar. Die Verwilderung in der zwischenmenschlichen Kommunikation im Netz ist oft eng verbunden mit einem pauschalen Antielitismus, einer allgemeinen Skepsis, mit Homophobie oder Fremdenhass, mit Rassismus bis hin zu Aufrufen zur Gewalt. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche und antisemitische Hetze.
Hass im Netz
Es kursieren sogar Handbücher mit Anleitungen für „trollen, shitposten oder einfach nur verarschen“. Mehr als drei Viertel der Deutschen erleben Hass im Netz. Das zeigen die neuesten Zahlen einer forsa-Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW. 69% der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren waren schon einmal von Beleidigungen und Beschimpfungen im Netz betroffen. Vor allem Jugendliche werden mit „Cyber-Mobbing“, „Bullying“ (Mobbing im Umfeld der Schule), „Cybergrooming“ (d.h. einem Heranmachen an Kinder) oder „Sexting“ (d.h. einem Missbrauch erotischer Fotos) konfrontiert.
Hassreden gefährden die Meinungsfreiheit
Hassreden werden spätestens dann gefährlich für unsere Gesellschaft, wenn die Hetze des einen die Meinungsfreiheit des anderen einschränkt. Die vergiftete Diskussion kann dazu führen, dass Menschen sich aus Angst vor den hassvollen Reaktionen anderer nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern, Medienredaktionen ganze Themenblöcke meiden, weil sie sich der unzivilisierten Debatte nicht gewachsen fühlen. Der Kampf gegen Hassreden ist also auch ein Kampf für die Meinungsfreiheit.
Es gibt nur noch eine überschaubare Zahl meist privater oder staatlich geförderter Initiativen gegen Hass, Mobbing oder zur Aufklärung von Fehlinformationen oder Verschwörungsmythen.
Ob es dadurch wirklich zu einer „Abrüstung der Sprache“ im Netz kommen wird, ob der Kampf gegen Desinformationen erfolgreich sein kann, ist eine offene Frage.
Internet als „Radikalisierungsmaschine des 21. Jahrhunderts“ (NRW-Innenminister Herbert Reul)
Übereinstimmende Studien zeigen, dass sich Fake News weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen. Hinzu kommt: Falschmeldungen werden doppelt so häufig geteilt und haben eine um 70% größere Chance der Verbreitung als normale Nachrichten.
Diesen Verbreitungseffekt nutzen natürlich auch die Sozialen Netzwerke für sich selbst, denn die „Währung“ des Internets ist die Aufmerksamkeit – sie bringt Klickzahlen und Verweildauer und damit auch Werbeeinnahmen. Es geht um „Nutzertracking“ und um „Klickökonomie“, um die profitgetriebene Erzielung von Aufmerksamkeit sowie um Bindung an den jeweiligen Dienst, um möglichst effektiv personalisierte Werbung vermarkten zu können. So verdienen diese Unternehmen ihre Milliarden. Im Wettstreit um Aufmerksamkeit müssen sich die Einträge an sprachlicher Härte, an skandalisierendem Ton und auch an Aggressivität überbieten. Klassische journalistische Tugenden sind dem „Clickbaiting“ eher abträglich. Wut klickt gut. Hass bringt Klickzahlen. So werden soziale Medien zu asozialen Medien.Der NRW-Innenminister Herbert Reul sieht im Internet die „Radikalisierungsmaschine des 21. Jahrhunderts“.
Die politische Rechte hat besser verstanden, wie Soziale Medien funktionieren
Gerade Rechtspopulisten beherrschen dieses Spiel mit der Wut gekonnt. Sie liefern, was der Algorithmus belohnt. Die AfD oder andere rechte Bewegungen wie die Lega Nord in Italien nutzen solche „Infodemie“-Effekte für ihre politische Propaganda. Bei den Social-Media-Abrufen liegen die AfD und deren Politiker/innen mit weitem Abstand vor den anderen Parteien. Es gibt begründete Annahmen, die besagen, der Aufstieg der AfD als Partei wäre ohne das Medium Internet nicht so rasch erfolgt.
Das Internet als Einfallstor für Manipulatoren
Die Tatsache, dass die Internetdienste besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich weiß – jedenfalls als man sich bewusst macht –, kann nicht nur für Werbezwecke ausgebeutet werden, die Möglichkeit zur personalisierte Zielgruppenansprache, kann auch für Propaganda bis hin zu Wahlmanipulationen missbraucht werden. Das Internet kann so zu einem Einfallstor für Manipulatoren und für Meinungsbeeinflusser werden.
Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache ist etwa der relativ preiswerte Kauf von „Likes“ auf Facebook. Zu den Meinungsmachern zählen auch sog. „Trolle“ – also problematische einzelne Netzteilnehmer oder ganze Trollfabriken, die sich in Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und provozieren, Wut und Hass schüren oder in eine bestimmte (politische) Richtung zu lenken versuchen.
Es gibt auch automatisierte „Trolls“, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten (sog. Robots), die in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen. „Robots“ oder kurz „Bots“ können durch ihre schiere Masse gesellschaftliche Debatten beeinflussen, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik in München.
Desinformation verursacht Unsicherheit
92 Prozent der Social-Media-Nutzer geben an, im vergangenen Jahr bei Facebook und Co. auf Fake News gestoßen zu sein. Also auf falsche bzw. irreführende Informationen, die absichtlich dazu eingesetzt werden, um die Öffentlichkeit zu täuschen. „Staat zahlt Harem 7.500 Euro im Monat: Syrer lebt jetzt mit 2 Ehefrauen und 8 Kindern in Deutschland“ hat mehr Interaktionen auf Facebook erhalten als 50 der meistgelesenen Nachrichtenseiten, etwa von Bild, Spiegel, Focus etc.
Nach einer Studie der „Stiftung Neue Verantwortung“ gelang die richtige Einordnung einer Falschinformation auf Facebook lediglich 43 Prozent der Befragten, während 33 Prozent darin eine richtige Information sahen.
Unabhängig davon, wie man die Reichweite von Falschmeldungen einschätzt, Desinformation verursacht Unsicherheit und diese Unsicherheit nährt Zweifel an allem und jedem/r, was nicht Teil der eigenen, gefühlten Wirklichkeit ist. Mit Begriffen wie „alternative Fakten“ wird suggeriert, dass Tatsachen reine Ansichtssache seien. Wie kann eine Demokratie überleben, wenn viele Menschen ihr Vertrauen in die in die Wahrhaftigkeit von Informationen verloren haben?
Gemeinsam geteilte und geprüfte Informationen sind Voraussetzungen für eine funktionierende Öffentlichkeit in der Demokratie. Ohne einen Konsens in der Gesellschaft für die Unterscheidbarkeit von wahr und unwahr sowie von Tatsachen und Meinungen ist es jedoch „kaum möglich, im politischen Meinungskampf eine auf Argumenten basierende Auseinandersetzung konstruktiv zu führen.“
Die „Kalifornische Ideologie“: Die Technik löst alle Probleme besser als die Politik
Der Hauptberater der EU-Kommission in der Generaldirektion Justiz Paul Nemitz, der schon die Datenschutzgrundverordnung maßgeblich geprägt hat, spricht von der „Kalifornischen Ideologie“, dem Glauben nämlich, dass sich alle Probleme durch Technik lösen lassen, und vor allem, dass diese Technik alle Probleme besser löst als die Politik. Diese Ideologie sei unvereinbar mit den Grundwerten von Freiheit und Demokratie. GAFAM züchteten eine Kultur der Feindschaft gegen die Institutionen der Demokratie, ja eine Verachtung der Demokratie. Da wird suggeriert, nur die Selbstregulierung der Akteure und der Markt seien wirksame Mittel, um Ziele zu erreichen, die dem Gemeinwohl dienen, und deshalb sei jeder Eingriff in den Markt und jede Regulierung des Internets durch Gesetze abzulehnen. Diese Mischung aus Verabsolutierung der Technologie und neoliberaler Gedanken habe die strukturelle Unterregulierung des Internets bis heute zur Folge.
„Nicht die Digitalisierung der Demokratie, sondern die Demokratisierung des Digitalen ist die drängendste Aufgabe“ (Bundespräsident Steinmeier)
Viele Protagonisten der Digitalisierung in der Wirtschaft und auch in der Politik vertreten den Standpunkt, dass sich die Demokratie der Digitalisierung anpassen müsse, dass auch politische Prozesse durch Algorithmen gesteuert werden könnten, die auf die Optimierung des Gemeinwohls programmiert würden. Demokratie kennt jedoch kein Optimum, sie lebt vom mühsamen Aushandeln komplexer Probleme unter Einbeziehung unterschiedlichster Interessen und Werte in einem partizipativen Verfahren. „Nicht die Digitalisierung der Demokratie, sondern die Demokratisierung des Digitalen ist die drängendste Aufgabe“, stellte Bundespräsident Steinmeier als Forderung dagegen.
Regulierungsversuche auf dem Feld des Internets.
Es hat noch nie in der Geschichte ein Medium gegeben, das nicht reguliert wurde. Die Frage ist allerdings, ob die Politik überhaupt noch in der Lage ist, die Tech-Giganten zu zähmen. Facebook hat gegen jegliche Regulierung eine bislang erfolgreiche Strategie: „Verzögern, Abstreiten, Vortäuschen“.
Das Internet ist jedoch kein rechtsfreier Raum. Warum sollte die digitale Welt anders funktionieren als die analoge, mit genauso vielen Freiheiten, aber auch Pflichten?
Jede Regulierung müsste jedoch größtmögliche individuelle Meinungsfreiheit und Schutz vor staatlicher oder privater Zensur und darüber hinaus ein hohes Maß an Datenschutz gewährleisten.
Weder ist Hass noch jede Lüge strafbar und auch falsche Meinungen, sogar Widerwärtiges sind durch das Grundgesetz geschützt. Das Bundesverfassungsgericht garantiert der Meinungsfreiheit einen breiten Spielraum.
Die meisten Netzwerkbetreiber haben sich selbst sog. Gemeinschafts- oder Community-Standards zum Schutz vor schädlichen oder anstößigen Inhalten oder gegen Missbrauch auferlegt. Doch dieses „Hausrecht“ ist als private Zensur gefährlich und jedenfalls verfassungsrechtlich problematisch.
Es ist Aufgabe der Politik, die rechtlichen Parameter für die Ermöglichung freier und unabhängiger Berichterstattung sowie für den freien und offenen Willensbildungsprozess zu setzen und Plattformen Pflichten für die gemeinwohlverträgliche Ausgestaltung öffentlicher Kommunikationsräume aufzuerlegen.
Von der Haftung der Plattformen für Urheberrechtsverletzungen über die Anpassung des Wettbewerbsrecht, der „Datenschutzgrundverordnung“ (DSGVO), das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG), das „Telemediengesetz“ (TMG), den „Digital Services Act“ (DAS), den „Digital Market Act“ (DMA) bis hin zu mehreren Novellen des Medienstaatsvertrages der Länder und dem Aufbau einer Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten im Internet gibt es sowohl auf europäischer Ebene als auch als innerstaatliches Recht es zahlreiche Regulierungsmaßnahmen, die hier im Einzelnen nicht dargestellt werden können. Ob diese den rechtlichen und vor allem auch praktischen Rahmen bieten können für die Ermöglichung freier und unabhängiger Berichterstattung sowie für den freien und offenen Willensbildungsprozess und ob sie den Plattformen hinreichende Pflichten für eine gemeinwohlverträgliche Ausgestaltung öffentlicher Kommunikationsräume auferlegen können, wird sich erst noch erweisen müssen.
Das Internet als öffentliche Infrastruktur
Es gibt Stimmen, die ganz grundsätzlich in Frage stellen, dass die Netz-„Infrastruktur“ sich in privater Hand befindet. Wie beim Straßennetz müsse der Staat diese Infrastruktur zur Verfügung stellen, die dann unternehmerisch und privat genutzt werden könne.
Zunehmend werden auch Forderungen nach einer digitalen Souveränität wenigstens auf europäischer Ebene gegen die Digital-Oligopolisten aus den USA und inzwischen auch aus China laut.
Es mehren sich auch Stimmen, die nach einer „Plattform von Qualitätsangeboten im Netz“ gegenüber den amerikanischen Internet-Oligopolisten rufen.
Auf die Verschiebung der Mediennutzung zumal der jüngeren Generation hin zu Abrufdiensten, Plattformen und Sozialen Netzwerke haben inzwischen ARD und ZDF mit der Einführung des Jugendangebots funk reagiert. „Funk“ ist ein abrufbares nichtlineares Content-Netzwerk mit Inhalten für ein jüngeres Publikum.
Was spricht eigentlich gegen ein öffentliches Internetangebot?
Der Umbruch der Medienlandschaft wird sich nach aller Voraussicht in den nächsten Jahren beschleunigt fortsetzen. Ohne Gegenmaßnahmen werden sich klassische Medien im „Plattformisierungsprozess“ ökonomisch immer weniger behaupten können. ARD und ZDF könnten in eine Nische ohne größere publizistische Relevanz gedrängt werden und damit langfristig ein Legitimitätsproblem bekommen.
Warum also nicht eine öffentliche, beitragsfinanzierte Plattform? Warum nicht ein Wandel vom Public-Service-Broadcaster zur Public-Service-Plattform? Warum sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht dorthin gehen, wo sich die jungen Zielgruppen aufhalten?
Der Rundfunkrechtlicher Dieter Dörr fordert, dass die für die Gesetzgebung zuständigen Bundesländer auf die potenziell erhebliche Meinungsmacht der Intermediären reagieren müssten, da sie nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet seien, eine Medienordnung zu schaffen, die vorherrschende Meinungsmacht verhindere sowie die Vielfalt der bestehenden Meinungen vermittle. Eine vielfältige und umfassende Information bilde die Grundlage des Kommunikationsprozesses der Bevölkerung und sei damit, wie die Meinungsfreiheit der YouTuber, ebenfalls Voraussetzung der durch das Grundgesetz vorgegebenen freiheitlichen Demokratie.
Angesichts der oligopolistischen Macht und der Abhängigkeit von den intransparenten algorithmischen Funktionen der internationalen Plattformen bei der Auswahl der Inhalte sollte der Ausbau alternativer, unabhängiger, nicht-kommerzieller Plattformen mit demokratieförderlichem Content durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorangetrieben werden und in diesem Sinne auf die politischen Regulierungsvorhaben eingewirkt werden.
Die Rundfunkkommission der Länder will in einer Novelle zum Medienstaatsvertrag den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mehr Flexibilität einräumen, bisher lineare Programme ins Netz verlagern zu können. Laut eines Beschlusses vom 19./20. Januar 2023 müsse mittelfristig die Weiterentwicklung zu einer „gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Plattform“ erfolgen.
Bis es eine solche gemeinsame Plattform gibt, sollten ARD und ZDF mit den kommerziellen Digitalunternehmen enger zusammenarbeiten, um die nachrichtliche Aktualität und gesellschaftlich relevante Themen dort nutzerfreundlich und bevorzugt zu verbreiten. Letzten Endes sind allerdings die privaten Plattformen dabei die Gewinner, indem ihnen weitgehend kostenlos Inhalte (Content) geliefert werden und die eigene Marke der öffentlich-rechtlichen Angebote für die Nutzerinnen und Nutzer nicht nur unsichtbar wird, sondern auch noch der Eindruck entsteht, als würde es sich um Produktionen der Internetoligopolisten handeln.
Die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger fürchten allerdings die Konkurrenz einer Internetplattform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für ihre eigenen Netzangebote, denn damit könnten ihnen Werbegelder abgezogen werden. Dabei merken sie offenbar nicht, dass sie damit mit Kanonen nach Spatzen schießen, und sie sehen nicht den „Elefanten im Raum“, nämlich die privaten Internetoligopolisten, die schon jetzt den Löwenanteil des Werbekuchens an sich gerissen haben und immer gefräßiger werden.
Um die Verleger für ein solches Projekt zu gewinnen, wurde vorgeschlagen, dass sich auch die Zeitungsverlage an einer solchen Plattform beteiligen könnten, ob durch eine solche Private-Public-Partnership aber nur die Tür geöffnet würde, dass die Verleger an den von allen Haushalten erhobenen Rundfunkbeiträgen teilhaben könnten, ist eine offene Frage.
Demokratisierung des Internets
– Im Gegensatz, in Konkurrenz und in Ergänzung zu den privaten Sozialen Medien, aber auch im Unterschied zum privaten Rundfunk und zur Presse, die „Tendenzbetriebe“ und gewinnorientiert sind, könnte sich ein über eine „Demokratieabgabe“ – wie das Bundesverfassungsgericht den Rundfunkbeitrag genannt hat – finanziertes Internetangebot etwa auf der gesetzlichen Basis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dem kommerziellen Primat entziehen.
– Ein solches Public Value-Internetangebot könnte staatsfern von gesellschaftlichen Gruppen kontrolliert werden, demokratische Teilhabe ermöglichen und wäre nicht anonymen Shareholdern verpflichtet.
– Es könnte gemeinwohlorientiert, unabhängig und identitätsstiftend ausgerichtet und dem Wahrhaftigkeits- und Achtungsgebot sowie der Einhaltung journalistischer Grundsätze verpflichtet sein.
– Es könnte auf den Verkauf von Daten verzichten und wäre nicht auf die (Daten-)Ausbeutung der Nutzer angewiesen.
– Ein solcher öffentlich-rechtlicher Netzauftritt könnte gesetzlich auf Meinungsvielfalt, auf Pluralität des Angebots, Vielfalt der Akteure und der Themen, auf journalistische Darstellungsformen und auf inhaltliche Ausgewogenheit verpflichtet werden und durch einen gesellschaftlichen Integrationsauftrag der Spaltung der Öffentlichkeit durch „Filterblasen“- bzw. „Echokammer“-Effekte und darüber hinaus durch Hassreden und Verschwörungsdenken entgegenwirken.
– Eine solche Plattform könnte mit dem Versprechen an die Nutzer verbunden sein, dass die Daten geschützt und die Algorithmen transparent gemacht würden.
– Außerdem könnte im Sinne eines „kommunikativen Versorgungsauftrags“ zusätzlich für die Inhalte eine Creative Commons-Lizenz vergeben werden, sodass die Inhalte von den Usern beliebig (z.B. auch als schulische Lernmittel) genutzt werden könnten. – Es könnte auch Raum für eine nutzergenerierte Öffentlichkeit, für Foren etc. vorgehalten werden.
Ob ein solches Angebot ausreichend Nutzer fände, ist zwar ungewiss, aber immerhin bestünde eine Alternative zu den Internetoligopolisten und ein Angebot einer „medialen Grundversorgung“.
Kurz: Ein solches Angebot wäre ein immer wichtiger werdender Beitrag zur Stärkung der Meinungsvielfalt und damit zur Demokratisierung des Internets.
Wolfgang Lieb ist ein deutscher Jurist und Publizist. Nach dem Studium der Politik und Rechtswissenschaften an der FU Berlin, in Bonn und in Köln arbeitete er in der Planungsabteilung des Kanzleramtes in Bonn (Helmut Schmidt war Kanzler), wechselte als Leiter in das Grundsatzreferat der Landesvertretung NRW in Bonn, war Regierungssprecher des Ministerpräsidenten Johannes Rau und Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium. Zusammen mit Albrecht Müller war Lieb Mitherausgeber und Autor der politischen Website “NachDenkSeiten” und wurde mit dem Alternativen Medienpreis ausgezeichnet. 2015 gab er seine Mitherausgeberschaft wegen unüberbrückbarer Meinungsdifferenzen mit Müller über die redaktionelle Linie des Blogs auf. Heute arbeitet Wolfgang Lieb als freier Autor. Dieser Beitrag erschien zuerst im “Blog der Republik”. Dort finden Sie auch eine pdf-Datei mit zahlreichen Fußnoten zu diesem Text. Wir danken Autor und Redaktion für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.
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