Dem Weltfussballverband Fifa wird – auch von mir – alles Mögliche vorgeworfen, eine korrupte kriminelle Organisation (“Clankriminalität”). Aber einen Vorwurf gibt es – anders als z.B. beim deutschen DFB – nicht: dass er doof ist. So ist es ihm im Zusammenwirken mit den gastgebenden WM-Ländern Australien und Neuseeland gelungen, die Indigenen beider Länder zum zentralen Teil des Agendasettings der WM-Inszenierung zu machen. Vor jedem Anpfiff eines Spiels gab es für wenige Minuten ein Erinnerungsritual an die Opfer vergangener Völkermorde, ähnlich “penetrant” (= wirksam!), wie die bescheuerte “Börse vor 8” vor der deutschen “Tagesschau”.

Ich weiss nicht, wer sich das ausgedacht hat. Die*der hat sich was verdient. Ich gehöre zu den Fussball-Fans, die eine Allergie gegen die Inszenierungen der Medienanstalten haben. Nichts langweilt mich mehr als “Eröffnungs-” und “Abschlussfeiern”. Ich schalte erst zum Anpfiff an, und nach dem Schlusspfiff wieder aus (oder um). So läuft es auch in den Fankneipen. Vorher tosende Gespräche und hinterher auch – aber während des Spiels wird das Pay-TV lauter gestellt. So konnte ich den kurzen Erinnerungen an Aborigines und Maori nicht “entgehen”. Und das war gut so.

Alles nur aufgesetzte Inszenierung der Fifa? Ja, ganz sicher. Aber der Fortschritt liegt im Agendasetting. Der ganzen Welt ist es so ähnlich ergangen, wie mir oben beschrieben. Es ist nicht ignorierbar. Das schafft weit bessere Voraussetzungen für die zukünftigen politischen Kämpfe. Insbesondere in Australien und Neuseeland selbst, die jetzt vor einer riesigen Weltöffentlichkeit “im Wort” stehen, nicht nur zu inszenieren, sondern auch politisch und praktisch zu handeln.

Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht. Ich habe in meiner Erinnerung an Fussball-WMs in Deutschland gekramt: Männer 1974 und 2006, Frauen 2011. An eine vergleichbare Erinnerung an die Naziverbrechen kann ich mich bei diesen Turnieren nicht erinnern. Im Gegenteil: dem Bundeskanzler Schröder, der die WM 2006 nach Deutschland holte, die dann seine frischgewählte Nachfolgerin Merkel ausgiebig innerhalb und ausserhalb der Spielerkabinen geniessen durfte, ging es um das Abstreifen der bösen Erinnerung (und der Grüne Koalitionspartner machte es gerne mit). Mann wollte “wieder normal” sein, und ganz “unverkrampft” feiern und saufen. So ist es dann ja auch gekommen (bei den Männer-WMs).

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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