Erst in dieser Woche war ich, animiert durch eine gute Freundin, die dort arbeitet, in der Ausstellung “Wer wir sind” in der Bundeskunsthalle (noch bis 8. Oktober). In einem Schnelldurchgang suchte ich sie nach Ankern meiner persönlichen Erinnerung ab. Zu meiner eigenen Überraschung gab es für mich auch Überraschungen, die mir bislang nicht bekannt waren. Meine Grundeinstellung zur Ausstellung wurde positiv beeinflusst durch die Feststellung, dass Mark Terkessidis sie mitkonzipiert hat, von dem ich schon lange eine gute Meinung habe.

Neu für mich: erst 1969 wurde für die damaligen “Gastarbeiterkinder” die Schulpflicht eingeführt. Das erklärt, warum ich mich beim besten Willen nicht an ausländische Mitschüler*innen in der damaligen Volksschule erinnern kann. Bereits fünf Jahre später 1974 begannen die von Springermedien und den Rechten befeuerten Debatten über das “Zuviel” und die angebliche Notwendigkeit von Abschiebungen. In der Ausstellung hängt ein kleinformatiger Stadtplan von Köln, in dem die Stadtverwaltung der 70er Jahre, damals noch vollständig SPD-dominiert, die Stadtteile nach dem Grad der “Belastung” durch Ausländer*innen kartierte.

Die Ausstellung umfasst fast alle Bereiche deutscher Migrationsgeschichte (inkl. der DDR und ihrer “Vertragsarbeitnehmer*innen”, u.a. aus Vietnam und Mosambik), im Guten wie im Schlechten. Zum Guten gehört der von den Biodeutschen erst spät entdeckte Türkpop, den ich in dieser genial guten Dokumentation (“Aşk, Mark ve Ölüm”, ab 25.10. in der ARTE-Mediathek) schon im Kino gesehen habe. In ihm habe ich gelernt, was alles als damaliger Zeitgenosse komplett an mir vorbeigelaufen ist – immerhin waren auch Gesichter und Menschen dabei, an die ich mich erinnern konnte (z.B. die “wilden” Streiks bei Ford in Köln 1974).

Wie ein Begleitprogramm zu dieser sehenswerten Ausstellung, die Sie nicht verpassen sollten, funktioniert eine einstündige Studiodiskussion, die diese Woche auf 3sat lief, verfügbar ein Jahr: Die 80er-Jahre – das war Neue Deutsche Welle und Fönfrisuren, Gameboys und ‘Schwarzwaldklinik’. Es war aber auch die Zeit von Tschernobyl und Friedensbewegung, AIDS und Mauerfall.” Dass Barbara Vinken eine sehr kluge Frau ist, wusste ich schon vorher. Dass aber der Comedian, Kabarettist, Schauspieler (“Alles Atze”) Fatih Çevikkollu ein kluger weiser Mann ist – das erfahren Sie spätestens in dieser bestens informierenden Diskussion.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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