Der Wind für Privatisierung öffentlicher Aufgaben (“Daseinsvorsorge”) hat sich wieder gedreht – zu Rekommunalisierungen

In den vergangenen Jahren hat es eine Reihe bemerkenswerter Vorgänge gegeben, die die Überzeugung auf den Kopf stellen, Privatisierung sei ein Allheilmittel. Die öffentliche Hand erwirbt ihr früheres Eigentum zurück. Wobei Re-Kommunalisierung ein zu eng gefasster Begriff ist. Akteure sind nicht nur Städte und Gemeinden, sondern auch Bund und Länder: Besonders aktiv ist das Land Berlin:

Es hat 2021 für 2,1 Mrd. € dem Schwedischen Staatskonzern Vattenfall das Stromnetz abgekauft. Jetzt will man auch das Fernwärmenetz von Vattenfall übernehmen. Im Herbst 2021 kauften drei landeseigene Gesellschaften von den Konzernen Vonovia und Deutsche Wohnen 14.750 Wohnungen und 450 Gewerbeeinheiten) und zahlten dafür 2,46 Mrd. €. Dieser Betrag entspricht dem Ertragswert der Immobilien. Ein Teil der Wohnungen war schon einmal in kommunaler Hand. Diese Immobilien machen jedoch nur etwa 10% des Bestandes der beiden Wohnungsunternehmen aus und entsprechen nicht dem Volksentscheid von 2021, der sich mit fast 60% Zustimmung für die Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen ausgesprochen hatte.

Jahrzehntelang war Privatisierung die vorherrschende Ideologie und Handlungsmaxime in den Wirtschaftswissenschaften. Anfang des 20. Jahrhunderts überwog die Skepsis gegenüber zu viel staatlicher Tätigkeit. „Laissez faire“ war geboten, der Staat sollte nur ausnahmsweise wirtschaftlich tätig werden. Weltwirtschaftskrise und Weltkrieg schufen dann mehr Raum für ein öffentliches Engagement bis hin zur Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. Nach dem Zweiten Weltkrieg forderten Neoliberale – insbesondere die sogenannte Chikagoer Schule – eine weitgehende Verschlankung des Staates und seinen Rückzug aus dem Wirtschaftsgeschehen. Margret Thatcher und Ronald Reagan folgten solchen Ideen.

Auch in Deutschland erklang immer wieder der Ruf nach Privatisierung. 1991 bekannte sich die Bundesregierung (Kohl, Genscher) ausdrücklich dazu: „In der sozialen Marktwirtschaft gebührt grundsätzlich privater Initiative und privatem Eigentum Vorrang vor staatlicher Zuständigkeit und staatlichem Eigentum. Privates Eigentum und privatwirtschaftliche, durch Markt und Wettbewerb gesteuerte und kontrollierte unternehmerische Tätigkeit gewährleisten am besten wirtschaftliche Freiheit, ökonomische Effizienz und Anpassung an sich verändernde Marktverhältnisse.“

Privatisierungsbefürworter behaupteten, dass private Unternehmen/r die anstehenden Tätigkeiten schneller, billiger, besser, unbürokratischer und zuverlässiger erledigen könnten. Sie haben Vorteile bei der Spezialisierung, der Rationalisierung und den Betriebskosten. Und sie sind nicht an die staatlichen Vergaberichtlinien gebunden.

Also wurde privatisiert, oftmals nicht aufgrund rationaler Überlegungen und Berechnungen, sondern weil es empfohlen wurde und weil andere es auch machten. Dass private Unternehmen und Investoren – anders als die öffentliche Hand – eine ordentliche Gewinnspanne einkalkulieren, wurde allzu leicht übersehen bzw. vernachlässigt. 2011 ergab eine Studie in den USA, dass das Outsourcen von Dienstleistungen in 33 von 35 untersuchten Fällen teurer war als bei staatlicher Aufgabenwahrnehmung.

Eine echte oder „materielle“ Privatisierung liegt vor, wenn sich der Staat aus einem Tätigkeitsfeld zurückzieht und es dem Markt überlässt. Zumeist erfolgt dies durch die Veräußerung öffentlicher Unternehmen oder anderem öffentlichen Vermögen. Von unechten oder „funktionalen“ Privatisierungen spricht man, wenn der Staat zwar für seine öffentlichen Aufgaben verantwortlich bleibt, sich zu deren Erfüllung jedoch privater Unternehmen bedient.

Bei der „formellen“ Privatisierung (auch unechte, Organisations- oder Scheinprivatisierung genannt) verbleibt die Zuständigkeit für die öffentlichen Aufgaben beim Staat, lediglich die Rechtsform wird geändert. Diese Eigengesellschaften bleiben im Eigentum der öffentlichen Hand, die einen entscheidenden Einfluss behält. Bekannteste Beispiele sind die Umwandlungen der Bundespost und der Deutschen Bahn sowie verschiedenste Wohnungsbaugesellschaften.

Unechte Privatisierungen sind auch die sogenannten ÖPP-Modelle, also eine öffentlich-private Partnerschaft, in der Behörden und Privatunternehmen vertraglich geregelt in einer Zweckgesellschaft zusammenarbeiten. Solche ÖPP-Konstruktionen gibt es noch immer (z.B. die Autobahn A7 in Niedersachsen), obwohl der Bundesrechnungshof mehrfach darauf hingewiesen hat, dass sie wirtschaftlich oft keine Vorteile bieten, aber die öffentlichen Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten einschränken und Schattenhaushalte aufbauen..

Vielfach verbleibt nach einer Privatisierung die Notwendigkeit, dass die öffentliche Hand noch ein gewisses Maß an Fachpersonal und Sachkompetenz vorhalten und regulierend oder vertraglich in das Marktgeschehen eingreifen muss. Dies gilt insbesondere, wenn nach der Privatisierung weiterhin ein Monopol besteht (z.B. Trinkwasserversorgung) oder wenn vermieden werden soll, dass der Investor nach der Privatisierung nur die lukrativsten Teile des Geschäfts wahrnimmt, die Versorgung in der Fläche vernachlässigt. Oder er verzichtet auf die Übernahme weiterer Dienstleistungen im Querverbund, weil er diese als verlustbringend einstuft. Eine umfassende und rechtsfeste Regulierung ist also Bedingung für den Erfolg einer Privatisierung.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es eine Welle von Privatisierungen. Die Kommunen verkauften Sozialwohnungen, Krankenhäuser, Verkehrsbetriebe, Strom- und Wasserwerke, Fernwärmenetz, Stadtreinigung und Müllabfuhr, teilweise sogar Infrastruktur. Sie versprachen sich damit nicht nur Effizienzsteigerungen, Kostensenkungen und Entlastung von Verwaltungsaufgaben, sondern durch die Verkaufserlöse auch eine Minderung der Haushaltsprobleme. Gleichzeitig entfielen allerdings dauerhafte Einnahmen wie Mieten oder Gebühren.

Nun hat sich offenbar der Wind gedreht. Nach ernüchternden Erfahrungen mit Privatisierungen ist die Entwicklung gegenläufig. Das Misstrauen gegen Privatisierungen ist im Zuge der Globalisierung und Finanzkrisen stetig gestiegen. Erkennbar ist eine Trendwende mit stärkerer Betonung der öffentlichen Verantwortung. Vielerorts besteht Unzufriedenheit mit der Kundennähe und dem Service privater Dienstleistungsunternehmen. In Umfragen hat die Bevölkerung stets der Erledigung der öffentlichen Aufgaben durch die Kommunen den Vorrang gegeben.

Die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft in Berlin berichtete 2023: „Rekommunalisierungen in der Aufgabenerfüllung zur Daseinsvorsorge und insbesondere bei der Wasserwirtschaft liegen im Trend. In den Jahren 2000 bis 2015 wurden 235 Fälle von Rekommunalisierung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in 37 Staaten festgestellt. Nach drei Jahrzehnten enorm negativer Auswirkungen, wie Preissteigerungen, Standardabsenkung und Investitionsvermeidung, die den kurzfristigen Gewinninteressen privater Unternehmern geschuldet waren, schließen viele Städte, Regionen und Staaten das Kapitel der Privatisierung von Wasser.“ Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass in den vergangenen Jahren in der Abfallwirtschaft mehr Rekommunalisierungen als Privatisierungen erfolgten.

Die Gründe für Rekommunalisierungen sind vielfältig. Manchmal weist die Qualität der Leistungen Mängel auf, manchmal liefert der Private nicht zum vereinbarten Preis, manchmal bezahlt er Dumpinglöhne, und manchmal hat die Öffentliche Hand gemerkt, dass die soziale Verpflichtung, der sie unterliegt, und die Beachtung gemeinwirtschaftlicher Aspekte nicht erfüllt werden. Wichtige staatliche Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten gehen verloren, z.B. bei der Verkehrspolitik, der Energiewende oder dem ökologischen Stadtumbau. Von der Rekommunalisierung erhoffen sich die Kommunen hier eine deutliche Verbesserung:

– Intensivierung einer regionalen Standort- und Arbeitsmarktpolitik, einschließlich des Angebots von Ausbildungsplätzen

– bessere und unmittelbare Reaktion auf Bürgerwünsche und Anliegen der Wirtschaft

– Erzielung von Größen- und Verbundvorteilen, wenn z.B. der kommunale Stromlieferant weitere Versorgungsleistungen anbietet

– Vergabe von Aufträgen an Klein- und Mittelunternehmen der einheimischen Wirtschaft und Stärkung der lokalen Wertschöpfung. Die Bevorzugung lokales Zulieferer birgt allerdings die Gefahr, dass preiswertere Dritte übergangen werden.

Natürlich haben die Kommunen gemerkt, dass sich mit eigenen Versorgungsgesellschaften Geld verdienen lässt. Da die hoheitliche Aufgabenerfüllung nicht der Steuerpflicht unterliegt, sparen sie zumindest diese Ausgaben. Die Gewinnerzielungsabsicht muss zugunsten einer bürgerfreundlichen Aufgabenerledigung zurücktreten. Daher bedarf eine Rekommunalisierung einer gründlichen Kalkulation, um die Finanzierung des Kaufpreises (und der Netzentflechtungskosten) sicherzustellen. Auseinandersetzungen über die Höhe des Netzkaufpreise sind nicht selten. Oft sind langjährige Verhandlungen nötig. Dabei ist es hilfreich, wenn eine Konzession ausläuft.

Die Wahrnehmung kommunaler Leistungen durch die Öffentliche Hand kann „beruhigend“ auf den Markt, die Angebote und die Preise wirken. Dies zeigt sich zum Beispiel im Finanzbereich durch die Sparkassen, im Wohnungsbereich durch die kommunalen Wohnungsgesellschaften und im Energiebereich durch die Stadtwerke. Bei Bedarf kann mit anderen Kommunen ein gemeinsames Engagement vereinbart werden, um die Risiken zu verteilen und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Zu vermuten ist, dass eine Reihe von Rekommunalisierungen unterbleibt, weil die Finanzkraft der Kommunen zu schwach ist, um diese bezahlen zu können bzw. weil keine Einigung über den Kaufpreis erfolgt.

Grundsätzlich können Überschüsse aus Stadtwerketätigkeiten für kommunale Aufgaben wie Energiepolitik, Nahverkehr, Fernwärmenetz, Breitbandausbau u.a. genutzt werden (Quersubventionierung). Dies muss jedoch demokratisch legitimiert sein. Bei Quersubventionierung innerhalb eines Stadtwerkes taucht das Problem der fehlenden Transparenz auf. Die demokratische Kontrolle dürfte deutlich geringer sein als bei einer Finanzierung ohne solche Umwege. Eine Rekommunalisierung allein aus dem Grund, defizitäre andere Kommunalbereich zu finanzieren, ist grenzwertig.

Es gibt keinen Grundsatz „Privat vor Staat“. Schon lange wird die Überzeugung vertreten, dass Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Bildung, Verkehr, Gesundheit, Energie und Wasser nicht den Kräften des Marktes überlassen werden dürfen, da für sie nicht die üblichen Umsatz- und Renditemaßstäbe gelten. Art. 33 Abs. 4 der Verfassung setzt der Privatisierung weitere Grenzen. Danach liegt die Ausübung hoheitlicher Rechte generell bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Zudem gilt, dass Aufgaben, die dem staatlichen Gewaltmonopol unterliegen, nicht privatisiert werden können (Art. 20 GG). Dies betrifft vor allem Justiz, Militär, Polizei, Zwangsvollstreckung und Währungswesen. Andererseits sehen Art. 14 und 15 GG ausdrücklich Enteignungen und Vergesellschaftungen vor.

Rekommunalisierung ist allerdings ebenso wenig ein Allheilmittel wie es die Privatisierung war. Entscheidend ist, was aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Sicht sinnvoll und im Interesse der Bürger/innen angebracht ist. Jede Rekommunalisierung ist eine Einzelfallentscheidung und kann strategische Bedeutung haben. Sie bedarf daher einer sorgfältigen und soliden Prüfung der Chancen und Risiken und entsprechender politischer Beschlüsse. Das bedingt eine Abhängigkeit der Entscheidung von politischen Einschätzungen und Mehrheiten. Allerdings waren es in der Vergangenheit keineswegs nur progressive oder linke Entscheidungsträger, die Aufgaben und Institutionen zurückgeholt haben.

Rekommunalisierung darf nicht der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand dienen. Kommunale Unternehmen sollen nicht in Konkurrenz zu privaten treten. Die öffentliche wirtschaftliche Aktivität soll sich auf die Infrastruktur und auf Bereiche mit Marktversagen und natürlichen Monopole beschränken. Dort kann es ohnehin keine rein marktwirtschaftlichen Lösungen geben. Aber auch dann bleibt es möglich, einen privaten Unternehmer zu beauftragen, sofern dessen Aktivitäten hinreichend reguliert werden. Wenn die Regulierung vertraglich fixiert und gerichtlich überprüfbar ist, können private Organisationsformen sogar vorteilhaft sein.

Abschließend ein Kommentar des Verbandes Kommunaler Unternehmen: „Kommunale Energieversorgungsunternehmen sind wichtige Arbeitgeber und vergeben Aufträge und Investitionen überwiegend an Unternehmen der Region. Außerdem können Stadtwerke ihre Kommunen bei der Realisierung strategischer Ziele unterstützen, beispielsweise beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel oder beim Ausbau des Breitbandnetzes. Die Gewinne aus dem Netzbetrieb fließen nicht mehr an Dritte, sondern an die Eigentümerkommunen.“

Fallbeispiele:

Berlin: Nach jahrelangem Streit mit Vattenfall beschloss das Abgeordnetenhaus, das Stromnetz für 2,14 Mrd. € zurückzukaufen. Im Juli 2021 ging der Betrieb mit 1.600 Beschäftigten an das Land über. Seitdem laufen Bestrebungen, eine Genossenschaft von Bürger/innen („BürgerEnergieBerlin“) daran zu beteiligen, wie es Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag verankert war.

Bereits Ende 2013 hatte Berlin den 49,9%-Anteil an den Wasserwerken zurückgekauft, den RWE und Viola hielten. Ein Volksentscheid hatte sich mit 98% dafür ausgesprochen. Seitdem sind die Wasserpreise so niedrig wie lange nicht. Der Kaufpreis betrug 1,2 Mrd. €, beim Verkauf im Jahre 1999, der wegen eines Haushaltsdefizits erfolgte, waren knapp 1,7 Mrd. € erzielt worden.

Vattenfall will nach dem Stromnetz auch die Fernwärme verkaufen. Neben anderen Interessenten hat auch Berlin im Juni 2023 ein verbindliches Angebot eingereicht. Wie hoch der Kaufpreis letztlich sein wird, hängt vor allem vom Investitionsbedarf und von der Einschätzung der fossilen Zukunft der Wärmeerzeugung ab.

Seinen 31,6%-Anteil an der Berliner Gasag bietet Vattenfall ebenfalls an. Berlin will ihn übernehmen und verhandelt mit den anderen Gasag-Eigentümern EON und Engie über Anteile, Kaufpreise und Kompetenzen.

Spannend ist die Lage im Wohnungssektor. Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ erhielt 2021 eine Zustimmung von fast 60%, hatte allerdings nur Aufforderungscharakter. Der aktuelle schwarz-rote Senat ist gegen eine Enteignung, wird jetzt jedoch durch ein Gutachten unter Druck gesetzt. Ein Jahr lang hatte eine vom Senat eingesetzte Expertenkommission beraten, ob und wie die Bestände großer Wohnungsbestände vergesellschaftet werden können. Ende Juni hat sie ihren 150 Seiten starken Abschlussbericht vorlegt, der die Enteignung durchaus positiv bewertet.

Für die Kommission ist unstrittig, dass eine Vergesellschaftung gemäß Art. 15 GG zulässig ist. Mit großer Mehrheit wurde eine solcher Eingriff ins private Eigentum als zulässig bewertet. Keine einhellige Meinung gab es zur Höhe der Entschädigung. Das Grundgesetz sagt ziemlich vage, dass „die Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“ ist. Das bedeutet zunächst nur, dass Entschädigungen unterhalb des Verkehrswertes zulässig wären.

Die Regierungsparteien halten eine Vergesellschaftung für einen falschen Weg und betonen, dass dadurch keine neuen Wohnungen geschaffen werden. Andererseits dürfte es ihnen schwer fallen, den positiven Volksentscheid und das zustimmende Gutachten zu ignorieren Sie planen nun ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, das die Vergesellschaftung von Wohnungen, aber auch von anderen Objekten der Daseinsvorsorge ermöglichen soll. Die Initiatoren des Volksentscheid sehen darin eine Verschleppungstaktik.

In Hamburg wurde 2013 wurde erfolgreich ein Volksentscheid zugunsten des Rückkaufs des Stromnetzes vom Energiekonzern Vattenfall durchgeführt. Rund 600 Mio. € musste das Land dafür aufwenden. 2019 wurden auch das Gas- und das Wärmenetz rekommunalisiert. Seit 2016 macht die kommunale Gesellschaft Gewinne, die an Hamburg fließen. 2021 dokumentierte das Unternehmen in einer Standortbilanz seine Rolle als wichtiger Wirtschaftsfaktor. Genannt werden nicht nur die Gewinn- und Steuerabgaben, sondern auch die Einkommens-, Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekte sowie die Impulse für die örtliche Wirtschaft. 2020 wurden 92 Mio. € Gewinn abgeführt und 112 Mio. € Steuern bezahlt.

Auch in Dresden waren standort- und wirtschaftspolitische Erwägungen ausschlaggebend für die Rekommunalisierung der Energie-Holding. Zur Zeit läuft noch ein Streit mit der Thüga AG um den Kaufpreis für den letzten Kapitalanteil an den Stadtwerken.

Thüringen: Hier gab es gleich mehrere Rekommunalisierungen: Die Thüringer Städte und Gemeinden übernehmen EON Thüringen vollständig in kommunales Eigentum.- Im Ilmkreis führt ein Bürgerentscheid mit 73% Ja-Stimmen dazu, dass die Abfallwirtschaft künftig wieder vom Landkreis wahrgenommen wird. – Zudem kommunalisiert der Ilmkreis den Öffentlichen Personennahverkehr. – Gera kauft die vor einigen Jahren privatisierten Wohnungsbestände zurück. – Jena übernimmt von EON deren Stadtwerksanteile. 7)

Hier noch andere gelungene Beispiele: Bielefeld kaufte 2012 für 187,5 Mio. € 49,9% seiner Stadtwerke zurück. Minden erwarb 2012 sein Stromnetz von EON. Im Münsterland übernahm eine Gruppe von Kommunen die Stromversorgung von RWE. Greifswald kaufte 2012 von EON 49% seiner Gasversorgung. Cottbus zahlte 2014 26 Mio. € für 74 % seiner Stadtwerke.

Bei Uniper ist die Lage anders. Hier geht es nicht um eine RE-Kommunalisierung, sondern um die erstmalige Übernahme durch die öffentliche Hand. Dieses Energieunternehmen war der größte Importeur von russischem Gas und durch den Ukrainekrieg in akuter finanzieller Notlage. Daher hatte die Bundesregierung Uniper Ende 2022 zwecks Sicherung der Energieversorgung zu 99% Prozent übernommen, finanziert aus einem 200 Mrd. € starken Abwehrschirm. Sinnvollerweise wurde dies an ein Verbot von Boni- und Dividendenzahlungen geknüpft. Seitdem hat sich Uniper positiv entwickelt, erwartet für 2023 Milliardengewinne und erwägt eine Teilrückzahlung der Staatshilfe.

Als misslungenes Beispiel einer Privatisierung gilt die Autobahn GmbH des Bundes. Sie wurde 2018 gegründet, wozu die Verfassung geändert werden musste. Der Bund ist vollständiger Eigentümer; ein Verkauf bzw. eine Beteiligung Dritter ist ausgeschlossen. 2021 übernahm die Gesellschaft Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung des deutschen Autobahnnetzes. Schon Ende 2020 musste die Zuständigkeit aus vergaberechtlichen Gründen auf einen begrenzten Anteil der Autobahnprojekte reduziert werden. Anders als satzungsmäßig festgelegt bleibt die Autobahn GmbH auch über 2023 hinaus auf eine Unterstützung durch die Länder angewiesen.

Schon jetzt wird ein neuer Chef gesucht. Dies passt zu der schwierigen Gründungsgeschichte: „Sie erzählt von IT-Problemen, unbezahlten Rechnungen und streikenden Bauunternehmen, einem riesigen Genehmigungsstau bei Großraum- und Schwertransporten bis hin zu Dauerfehden unter den Geschäftsführern … wie auch Kritik des Bundesrechnungshofs an dem geplanten Gesellschaftervertrag.“ 8)

Offenbar ist der Autobahnsektor besonders empfänglich für misslungene Privatisierungen. Immer wieder hört und liest man, dass der Verkauf der Autobahnraststellen an „Tank & Rast“ eindeutig zu Lasten der Verbraucher/innen ging. Die Preise sind deutlich höher als früher, der Sanitärbetrieb läuft vertragswidrig, und die Eigentümer erwirtschaften hohe Gewinne. Ganz nebenbei bietet eine Privatisierung auch die Chance, verdiente Parteifreunde zu befördern: Der Autobahnchef verdient 360.000 €/a, der Bahnchef 968.000 €/a. Staatssekretäre der Bundesregierung erhalten zwischen 190.000 und 260.000 €/a, Abgeordnete 185.000 €/a einschl. Kostenpauschale.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.