Ukrainische Neonazis, die Gewalt auf dem Maidan 2014 und warum die Verherrlichung von Bandera gefährlich ist und: ein schwerer Ausrutscher in der Süddeutschen Zeitung zu Wagenknecht und ihrer Wählbarkeit

Vor etwa 10 Jahren berichtete BBC über etwas, was nun nicht mehr wahr sein soll: “Ukraine über alles“ war ein Slogan der ukrainischen Rechten. „Slawa Ukrainii“ gehörte auch zum Repertoire. (s. auch hier)

Anmerkung: Die Fackelmärsche, die Asow inszenierte und die an Nürnberg erinnerten, sind mittlerweile von Youtube entfernt und auch aus dem Gedächtnis des Internets gelöscht.

Aber auf X (Lord Bebo) stieß ich auf eine Erklärung eines ukrainischen Soldaten aus dem Schützengraben in Adeewka, Sergeij Korotkikh. Er sei gebeten worden, zu kommentieren, was er von westlichen Stimmen hält, die sich siegesgewiss im Kampf gegen Russland geben. Er gab sich überzeugt, dass Russland nicht in der Ukraine stoppen wird. Danach kämen das Baltikum und Polen dran. Allein, „die Linken“ in Europa (und in den USA) hätten seit 60 Jahren ein verheerendes Männerbild befördert, Männlichkeit als „toxisch“ angesehen, die Männer falsch erzogen. Im Krieg zählten nicht Geld und Waffen, sondern „richtige Männer“. Die hätte der Westen nicht mehr, die hätten alle „geschrumpfte“ Eier, gerade mal tauglich, davonzulaufen, wenn überhaupt. Die Nato und Europa könne man vergessen.

Wer ist dieser Sergeij Korotkikh, der im Dreck in Adeewka sitzt und so redet?

Die Kyiv Post schrieb 2021 über ihn einen ausführlich recherchierten Artikel unter dem Titel „Mysteriöse Todesfälle unter Asow-Leuten bleiben ununtersucht“. Um es kurz zu machen: Korotkikh ist ein Neonazi, war in drei Ländern am Werk, erst in Belarus, dann in Russland und schließlich seit 2014 in der Ukraine. In Weißrussland übte er seinen Militärdienst im Geheimdienst aus, schmiss ein Studium beim Geheimdienst und wendete sich der Nazi-Ideologie zu. Leichen pflastern seinen Weg in allen drei Ländern. Immer war er irgendwie verdächtig, immer kam er davon. Es betraf Mitstreiter, aber auch Journalisten, Ausländer. Hatte er überall einflussreiche Gönner? Gehörte er noch immer zum weißrussischen Geheimdienst? Hatten ihn die russischen Geheimdienste angeworben, wie eine Videoaufnahme in einem Dokumentarfilm eines israelischen Regisseurs nahelegte. Korotkikh bestritt das vehement. Der FSB sei sein Feind. Die Kyiv Post wusste es auch nicht.

Klar war nur, dass er seit 2014 in der Ukraine aktiv wurde, zu den Gründern der Asow zählt und unter dem Schutz des langjährigen Innenministers Awakow stand. Declassified UK beschäftigte sich im Mai 2023 mit Korotkikh. Da ging es darum, dass er online mit britischen Waffen posiert hatte. Das störte den Autor. In Neo-Nazi-Hände sollten die nicht gelangen. Der Autor sah sich auch auf dem Telegram-Kanal von Korotkikh um und stieß dort auf unglaublich Bösartiges. Korotkikh veröffentlichte beispielsweise ein Foto eines abgeschnittenen Kopfes und schrieb dazu: „Im Gegensatz zum russischen Kommando versuchen die Ukrainer, Putins Soldaten zu ihren Familien zurückzubringen. Es ist nicht immer möglich, das Ganze zurückzugeben, aber trotzdem…” (eigene Übersetzung aus dem Englischen). Tschetschenischen Kämpfern drohte er an, mit ihre Köpfen Fußball spielen zu wollen. Dazu muss man wissen, dass Korotkikh während seiner Nazi-Präsenz in Russland verdächtigt wurde, an Morden von Zuwanderern beteiligt gewesen zu sein, denen 2003 die Köpfe abgeschnitten wurden. Laut Kyiv Post wurde er erst 2021 in Russland des Mordes angeklagt, also Jahre, nachdem er Russland verlassen hatte.

Militärisch gehört Korotkikh zu den Kommandeuren in der Dritten Angriffsbrigade. Er ist „Bot“. Mittels ihrer Webseite (auch in Englisch) wird aktiv rekrutiert. Diese Brigade steht unter dem Befehl von Andrej Biletzki, einem anderen ukrainischen Neonazi.

Vor ca. acht Monaten veröffentlichte die Sun ein Video dieser Brigade, die zu dem Zeitpunkt in Bakhmuth kämpfte. Das Video trägt das Asow-Zeichen. Denn Biletzki kommandierte das Regiment Asow, bevor er als unabhängiger Abgeordneter Mitglied der Duma wurde. Folglich bezeichnete ihn die Sun als „Politiker“.

Nicht so ideologisiert?

Der „Faktenfuchs“ des Bayrischen Rundfunk setzte sich 2022 mit der Frage auseinander, wie wichtig Asow in der ukrainischen Gesellschaft ist. Es ging selbstverständlich um die Entkräftung des russischen Narrativs, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes sei die kämpfende Truppe von Asow nicht so ideologisiert, die Bewegung dagegen schon. Summa summarum sei die Zahl der Leute überschaubar und begrenzt, nicht typisch für die ukrainische Gesellschaft.

Das ist meines Erachtens ein profundes Missverständnis. Wer die von mir erwähnten Artikel in der Kiyv Post liest, beginnt zu ahnen, dass wir in Sachen bestimmter Milieus in der Ukraine oder auch innerhalb der Opposition von Belarus nicht so genau wissen, wer mit wem warum verbandelt ist. Hinzu kommt, dass wir uns seit 2014 die Maidan-Ereignisse schönreden. Wir sehen sie gerne als ein Sieg der demokratischen, weltoffenen pro-europäischen Kräfte und seitdem schreitet die Ukraine quasi in eine lichte Zukunft…

Der Soziologe Ishenko, der zum Team der Freien Universität Berlin gehört, beschäftigte sich intensiver mit dem ukrainischen Maidan. Er analysierte über 3700 Protestaktionen im ganzen Land und deren treibende Kräfte zwischen dem 21. November 2013 und dem 21 Februar 2014. Seine Forschungsergebnisse präsentierte er unter anderem in einem sehr spannenden Artikel auf Vox Ukraine im Jahr 2018. Er fragte, wer war prominent im politischen Kampf (mit klassischen politischen Mitteln), wer konfrontativ und wer protestierte gewalttätig? Herauskam, dass die rechtsextreme „Swoboda“ vor allen anderen Bewegungen ganz klar den politischen Kampf dominierte und auch sehr konfrontativ agierte. Die Vaterlandspartei von Timoschenko kam an zweiter Stelle bei der Wahl klassischer Protestmittel. Der „Rechte Sektor“ wiederum dominierte bei den gewalttätigen Protestereignissen, gefolgt von Swoboda, der „Selbstverteidigung“ des Maidan und den Fußball-Ultras, sowie Veteranen des sowjetischen Afghanistan-Krieges. Swoboda gab viel Geld aus und hatte durch die Vertretung im Parlament sowie die örtliche Dominanz im Westen der Ukraine ein landesweites Netzwerk von „Aktivisten“.

Zudem verwies Ishenko auf die Ereignisse nach dem Umsturz: „Der Rechte Sektor, andere radikale Rechte und Maidan-Bürgermeister halfen während des Machtwechselprozesses mehrere Wochen lang dabei, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Ein Aktivist der Patrioten der Ukraine in Iwano-Frankiwsk sagte, dass sie nicht einmal aufgehört hätten, auf den Straßen zu patrouillieren, sondern diese Praxis institutionalisiert hätten, als das Bürgerkorps ‘Asow’ dem gleichnamigen rechtsextremen Regiment der Nationalgarde angegliedert worden sei. Hier liegen die Wurzeln der Nationalen Miliz – die Schwächung der staatlichen Strukturen, Ignoranz und Toleranz gegenüber der extremen Rechten während und nach dem Maidan.“

Wer sich nur mit Zahlenverhältnissen begnügt, versteht die Lage nicht richtig.

Ishenko schrieb abschließend, dass die oligarchische politische Maschinerie sowohl liberale als auch nationalistische Tendenzen opportunistisch aufgreife. Die könne finanziell und medial alles übertrumpfen. Wenn es aber um die Straße geht, dann übertrumpfen die gewaltbereiten, hochideologisierten extremistischen Kräfte alles: liberale Parteien, Nichtregierungsorganisationen. Wer sich nur mit Zahlenverhältnissen begnügt, so Ishenko, verstehe die Lage nicht richtig.

Sergei Sivokho

Das erinnerte mich an einen Nachruf im Responsible Statecraft auf den „letzten ukrainischen Friedensaktivisten“, Sergei Sivokho. Er starb im Jahr 2023, womöglich an gebrochenem Herzen, wie im Nachruf zu lesen war. Sivokho gehörte zu den langjährigen Freunden des ukrainischen Präsidenten Zelenskyj und bat sich aus, nach der Wahl 2019 beim Nationalen Rat für Sicherheit und Verteidigung als Berater arbeiten zu können. Sein Thema war die nationale Versöhnung. Er wollte eine nationale Gesprächsplattform schaffen („Platform for Reconciliation and Unity“). Zunächst wäre auch Zelenskyj von der Idee ganz angetan gewesen. Die öffentliche Präsentation der Plattform im März des Jahres 2020 währte kaum 20 Minuten. Etwa 70 Asow-Leute störten die Veranstaltung. Später warfen sie – laut Artikel – Sivokho zu Boden. Er war in ihren Augen ein Verräter. Zwei Wochen danach verlor Sivokho seinen Job beim Sicherheitsrat. Sivokho, so der Nachruf weiter, gab seinen Kampf nicht auf. Er wollte Verständigung und Versöhnung mit dem Donbass. 2021 widersprach er offen einem ukrainischen Gesetz, wonach die Bevölkerung des Donbass wie „eroberte Menschen“ behandelt werden sollten.

Für ihn war das Virus des Hasses viel gefährlicher als das Corona-Virus. Im Artikel-Text ist ein Video verlinkt von jenem Tag seiner Präsentation. Man muss die Sprache nicht verstehen, um die aufgeheizte Stimmung zu begreifen. Strana.ua, die darüber berichtete, gibt es heute nicht mehr in der Ukraine.

Ein Papier eines US- Forschers, Serhij Kudelja, zum Gebrauch von Gewalt während des Maidan kam zum Schluss, dass Gewaltbereitschaft den Ausgang eines Protestes beeinflussen kann. In dem Sinne, dass die Regierung zögert, nun zu massiver Gegengewalt zu greifen. Aber man bekäme diesen Geist, ist er einmal geweckt, nicht mehr in die Flasche. Seine Studie suggerierte auch, dass im letzten Monat des Maidans ab dem 19. Januar die Gewalt vom Rechten Sektor ausging und westliche Verurteilungen nur Lippenbekenntnisse waren. Die blutigen Ereignisse vom 20. Februar auf dem Maidan gingen ebenfalls von ihnen aus.

„Die Avantgarde der weißen Zivilisation“

Das Papier von Kudelja enthält auch einen kurzen Abriss (ab S. 508), wie sich die verschiedenen rechtsextremistischen Kreise in der Ukraine, die sich Anfang der 90er Jahre gebildet hatten, aber lange untereinander in ideologische Kämpfe verstrickt waren, 2013 informell zum „Rechten Sektor“ verbündeten. Auch die Swoboda habe längst dazu gehört. Alle im Rechten Sektor verbündeten Kräfte beriefen sich auf das Erbe von Bandera bzw. der ukrainischen Unabhängigkeitsarmee. Ihre ideologischen Unterschiede hatten mit der Frage zu tun, was ein „echter“ Ukrainer ist – bestimmte das die Sprache oder das Blut? Biletzki, der ursprünglich vom „Trident“ (Symbol der Ukrainischen Unabhängigkeitsarmee) kam, sich dann abgespalten hatte, hatte eine klare Vorstellung, was die Bestimmung der Ukraine war: „die Avantgarde der weißen Zivilisation“. Sie sollte das „Schwert des weißen Europas“ sein, das die weiße Rasse vorm Aussterben bewahrte. Alle diese Kräfte waren zudem russophob.

Das alles scheint eine Kommentatorin der Süddeutschen Zeitung, Angelika Slavik, auch nicht zu wissen. In der gestrigen Druckausgabe der Zeitung erklärte sie, warum man auf keinen Fall Sahra Wagenknecht und ihr neues Bündnis wählen könnte: „…wenn sie aber, wie auf dem Parteitag, fast nebenbei erwähnt, dass ja in der Ukraine der Rechtsextremist Stepan Bandera noch als Nationalheld verehrt werde, dann kokettiert sie mit der russischen Propaganda: mit Putins Erzählung, wonach die Ukraine von einem Nazi-Regime befreit werden müsse. Für jeden, der nicht bereit ist zu ignorieren, dass die Rolle des Aggressors in diesem Krieg sehr eindeutig bei Wladimir Putin liegt, wäre Wagenknecht mit so einer Position unwählbar. Für jene, die für russische Propaganda empfänglich sind, wäre die Partei dagegen besonders interessant.“

Man weiß gar nicht, womit man anfangen soll, um Frau Slavik zu helfen, ihren Kopf klarzukriegen. In der Ukraine wird Bandera nicht „noch“ als Nationalheld verehrt, sondern wieder. Das ist ein großer historischer Unterschied. 2011 war das Europäische Parlament deswegen noch – hier passt das Wort – sehr besorgt (vgl. Ziffer 20). War das EP damals auch schon der Russenpropaganda erlegen oder war es noch ehrlicher?

Die Bandera-Anhänger gestern und heute waren nie Demokraten. Viele von ihnen wünschten zu Zeiten des Hitlerfaschismus, hätten es ihnen die deutschen Nazis erlaubt, in einem deutsch regierten Europa zu leben, wenn sie nur ihr kleines ukrainisches Reich regieren könnten, unter der Kontrolle des „Führers“. Bandera-Anhänger haben für Hitler gekämpft, und sie haben gemordet, Polen, Juden, Sowjetbürger. Nach dem Zweiten Weltkrieg führten sie unter Anleitung der USA und Großbritanniens subversive Aktionen gegen die Sowjetunion aus. Nichts davon ist ehrenvoll, nichts gedenkwürdig, nichts taugt zum Vorbild für jüngere Generationen.

Die heutigen ukrainischen „Banderisten“ waren die, die am willigsten waren, 2014 in den Kampf (sogenannte Anti-Terror-Operation) gegen die eigenen Landsleute im Donbass zu ziehen. Weil sie sie nicht als Landsleute ansahen. Das waren nur Russen, Kartoffelkäfer, Orks. Diese Leute sind wie ein Krebs in der Ukraine, der wuchert. Er konnte wuchern, weil wir im Westen bereit waren, ihn 2014 zu übersehen oder dachten, die Russen übertreiben und machen nur Propaganda. Wir betrieben und betreiben keine klare Politik der Distanzierung nach extrem rechts in der Ukraine. Wir sehen auch nicht, dass in der aktuellen Ukraine die Demokratie verkommt, obwohl der einstige deutsche Held des Maidan, der Kiewer Bürgermeister Klitschko, inzwischen ziemlich laut warnt und autoritäre Entwicklungen beklagt. Ist das nur die verspätete Rache eines Oppositionellen gegen Janukowitsch, der von den Amerikaner 2014 in der Thronfolge übergangen wurde, weil Frau Nuland Klitschko nicht in der Regierung haben wollte?

Auch heute halten wir das rechte Problem in der Ukraine ausschließlich für russische Propaganda. Denn die Leute haben westliche Waffen in der Hand, kämpfen gegen den russischen Aggressor. Also gilt: der Feind meines Feindes ist mein Freund.

2022 twitterte Die Welt

“Asow ist jetzt das ganze Land“.

Fragt sich nur, was aus diesen „Freunden“ wird in der Zukunft, egal, wie der Krieg ausgeht. Was passiert mit den kampferprobten Asow & Co. Leuten? Wer sich mit Hunden ins Bett legt, wacht mit Flöhen auf, sagt ein Sprichwort. (Es tut den Hunden unrecht, aber das nur nebenbei.) Wer ukrainische Neonazis nicht sieht oder kleinredet, ist ganz schnell dort, wo er nie sein wollte, ihr Steigbügelhalter. Dazu braucht man keine putinsche Propaganda, keine Grundsatzdebatte über die russische Aggression. Das kann man alles selbst versauen. Aber, wie heißt es so schön und in dem Sinn schrieb ich auch für Frau Slavik all die vielen Zeilen: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“

Anm. d. Red.: lesen Sie ergänzend auch Hans Christian Hoffmann/Blog der Republik “Darf die Ukraine den Krieg gegen den Aggressor Russland nicht gewinnen?”

Über Petra Erler / Gastautorin:

Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.