Andreas Fanizadeh ist Feuilletonchef der taz. Ich weiss von meinem Freund und Mitautor Ingo Arend, dass er ein Guter ist. Umso mehr bin ich von seinem aktuellen Essay enttäuscht bis geschockt: Schräge Solidarisierungen – Die liberalen Demokratien sind unter Druck. Der hybriden Kriegsführung totalitärer Mächte sollte man gerade im Kulturbereich entschlossen begegnen.” Was ist da bloss in der Berliner Blase wieder los, dass die sich so wenig Zeit zum Denken und Differenzieren nehmen?

In Fanizadehs Kritik und berechtigter Beschimpfung des Islamofaschismus im Iran, bei der Hamas oder sonstwo, sowie ihrer irregeleiteten Fans hierzulande, stimme ich ohne Relativierung mit ein. Wenn er jedoch gleich beginnt “Wir alle hatten uns nach 1989 mit dem Ende der Sowjetunion eine andere, friedlichere Entwicklung gewünscht.” beginnen meine Mitgehprobleme schon: einerseits “gewünscht” ja, geglaubt Nein. Sein Begriff der “westlichen Demokratien” bleibt (bewusst?) wolkig und undefiniert. Aber vor allem benennt er keinen einzigen (Denk-)Fehler in ihrem Bereich. Und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Platzmangel nicht der Grund dafür ist.

Dabei müsste ihm mit seiner Bildung und Weltanschauung genauso klar wie die Bekämpfung des Islamofaschismus sein, dass die Verweigerung öffentlicher Räume durch deutsche Behörden an angeblich “antisemitische” weil das Netanjahu-Regime bekämpfende jüdische Oppositionelle (weil “Selbsthass”) nicht nur schräg ist. Sondern aktueller Ausdruck demokratiegefährdender deutscher Kontinuitäten. Frag’ nach bei Deinem Autor Andreas Zumach

Und nun zum Lob

Ich will ja nicht immer nur schimpfen, sondern durch Lob verstärken. Die folgenden beiden Beiträge habe ich mit weit grösserem Gewinn gelesen. Nicht weil ich in den Details übereinstimme, sondern weil sie mein Denken anregten. Sie gehören in den deutschsprachigen Diskurs unbedingt hinein, und keinesfalls aus ihm heraus.

Andrei Nekrasov/overton: Was Medien und Politik des Westens über Russland nicht verstehen – Der Westen könnte im Interesse der einfachen Ukrainer mehr Selbstkritik üben.”

Peter Vonnahme/nachdenkseiten: “Endspiel – Der Staat Palästina wird kommen”. Zweifellos gibt es kompetentere Perspektiven auf den Nahostkonflikt, als die eines deutschen Richters. Aber der Autor unterzieht sich immerhin einer intellektuellen Anstrengung, von der sich die übergrosse Mehrheit unserer Landsleute, ich nehme mich selbst davon nicht aus, lieber fernhält. Es mögen Andere beurteilen, ob das eher gut so, oder eher schlecht ist … Zum kritischen Abgleich gehen Sie gerne hier bei der regierungsfinanzierten SWP entlang, die ein weit pluralistischeres Angebot bereithält, als die deutsche Regierungspolitik.

And now s.th. completely different

Wie so oft am Sonntag korrigiert die Missing-Link-Kolumne von heise-online eins meiner festgefügten Weltbilder, und löst Fragen an meinen weit kompetenteren Mitautor Christian Wolf aus. Microsoft ist also gar nicht böse? Und das schon seit 10 Jahren? 10 Jahre CEO: Wie Satya Nadella bei Microsoft den Kulturwandel vollzog – Als CEO machte Satya Nadella Microsoft zum wertvollsten Unternehmen der Welt. Doch die Ära Nadella begann vor zehn Jahren mit einer herben Niederlage.​” von Autor Volker Weber. Habe ich meinem Anlageberater bei der Sparkasse also falsche Anweisungen gegeben?

Ich fasse meine Leseerkenntnis so zusammen: in der Wirklichkeit gibt es kein Gut und Böse. Farbfernsehen und Schattierungen fördern mehr Erkenntnis, als s/w. Das Schaufeln öffentlicher Etats auf Microsoft-Konten wird dadurch um keinen Pfennig, äh Cent, sinnvoller. (Daten-)Reichtum und Infrastruktur gehören in öffentliches Eigentum, nicht in Oligarchenhände, egal wie nett die privat sein mögen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net