Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Und die Strafe folgt sogleich

Die Ignoranz der handelnden Politik gegenüber oligarchischer Medienmacht bringt die bürgerliche Demokratie an den Klippenrand

Die Erde ist keine Scheibe, von der jemand runterfallen kann. Aber die Schwerkraft existiert wirklich. Und sie ist sehr kräftig.

Bürgerliche Grundrechte sind oftmals blind gegenüber sozialer Wirklichkeit. Nur in einer sehr kurzen Periode der West-BRD-Geschichte wurde das mal von klugen Liberalen und Sozialdemokrat*innen zusammengedacht. Heute geschieht das in öffentlichen Diskursen kaum noch. Materialistische Analyse gesellschaftlicher Prozesse kommt nicht mehr vor. Es dominieren wieder Schwarz-Weiss- und Gut-und-Böse-Darstellungen – hilf- und wirkungslos, ausser für das selbstrefenzielle Befinden derer, die sie ausstossen.

Als ich in der abgelaufenen Woche vernahm, dass die aktuell marktführenden Betreiber Künstlicher Idiotie (KI/AI, “Artificial Intelligence”) mit dem Imperium des greisen Oligarchen Rupert Murdoch, bzw. dem seiner Erben, eine Vereinbarung über die Fütterung ihrer KI getroffen haben, war ich hin- und hergerissen, was ich davon halten soll. Murdochs Vorteil ist gewiss, dass seine Sicht der Welt auf diese Weise in die KI einfliesst und Gestaltungsmacht behält. Andererseits überlegte ich, was an der KI-Entwicklung eine Qualitätssteigerung sein soll, wenn sie mit dem Trash von “The Sun” gefüttert wird. Wird sie damit nicht absichtsvoll doof? Murdoch verkauft Millionen Sun-Leser*innen für doof, damit sie seine oligarchische Milliardärsherrschaft nicht gefährden, sondern bestätigen. Wenn aber nun die KI als Herrschaftsinstrument genauso doof wird – gefährdet sie dann nicht ebendiese Herrschaft? So fragt der Laie in mir. Ich bin aus dem Alter raus, mich darin weiter vertiefen zu wollen.

Sehr wohl bin ich weiter bereit mich mit Fragen zu beschäftigen, die ein Historiker-Kongress aufwarf, den Stefan Reinecke, ein übriggebliebener kluger Kopf der taz, besucht hat: Diskussion über Zustand der Demokratie: Krise ist doch normal – Ruinieren die sozialen Medien die Demokratie? HistorikerInnen geben in Bielefeld Entwarnung. Der Soziologe Steffen Mau sieht das anders.”

Ich fürchte, er beschreibt auch die Defizite der Veranstaltung treffend. Aber immerhin beschäftigen sich hier mal ein paar Leute, die dafür bezahlt werden, mit einer gefährlich riesigen Forschungslücke: wie degenerieren die herrschenden Algorithmen politische und gesellschaftliche Diskurse? Wie können Demokratien zulassen, dass diese technischen Herrschaftsinstrumente im intransparenten Privatbesitz weniger Dutzend Oligarchen unkontrolliert eingesetzt werden und gesellschaftliche Kommunikation in Demokratien und Autokratien umwälzen und steuern können? Wen muss es angesichts dieser real existierenden Dystopie noch wundern, dass Verhandlungskompetenz, Bündnisfähigkeit, Diplomatie als Mittel der Politik verschwinden – von ganz “unten” (Kommunen, Stadtteile, öffentlicher Verkehr) bis ganz “oben” (Kriege und Aufrüstung, “Zeitenwende”).

Ich erwähnte schon mehrmals: in der schlechten alten Zeit der Festnetztelefone und elektrischen Schreibmaschinen hatte jede*r vor dem Ausstossen von Beschimpfungen und Beleidigungen ca. 20mal so viel Zeit zum Nachdenken, wie heute. In meiner politischen Jugend quälten wir uns sowohl in den Jungdemokraten als auch in den Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS) in nächtelangen Delegiertensitzungen und Flügelkämpfen – aber hinterher arbeitete die Organisation weiter und war nicht politisch in die Luft gesprengt. Nur unter diesen kommunikativen und organisationspolitischen Voraussetzungen konnte die BRD-Friedensbewegung der 80er Jahre überhaupt entstehen. Heute dagegen gelingt es, die lebensnotwendige Klimaschutzbewegung, vorwiegend getragen von unerfahrenen aber engagierten, radikalen und ideenreichen Kindern und Jugendlichen, mit ein bisschen “Antisemitismus”, ein auswechselbares aber in diesem Fall sehr wirkungsvolles strategisches Instrument, abzuschalten. Und alle, die daran mitgewirkt haben, bestätigen sich mit einem kraftvollen “Siehste!”

Ganz unten: der WDR

Unter solchen Vorzeichen ist die Machtfrage im Westdeutschen Rundfunk (WDR) imgrunde nur noch Realsatire. Aber gut, ein wenig weiss ich darüber, und will es Ihnen nicht vorenthalten.

Tatsache ist, dass der “Executive Producer” hinter dem “am meisten überforderten Intendanten” schon in der Vergangenheit bis heute der Kandidat Jörg Schönenborn war und ist. Als Chef des Kölner Büros der Tagesschau habe ich ihn in den 90ern sehr geschätzt. Er leitete ein starkes, unabhängig denkendes und arbeitendes Team, das vom Garzweiler-Konflikt bis zu den rassistischen Morden in Solingen keinem journalistischen Schwierigkeitsgrad aus dem Weg ging. Allerdings ist Schönenborn auch ein personifizierter Beleg für die berechtigte Frage, ob gute Journalist*inn*en auch gute Intendant*inn*en sind – eine Frage, die schon in der Regentschaft der heute fast vergessenen Intendantin Monika Piel durch die WDR-Flure geisterte. In Schönenborns Programmdirektorenzeit ist mir jedenfalls kein WDR-TV- oder Radioprogramm (und auch kein Internetangebot, das wurde sogar reduziert) mehr mit irgendeiner innovativen Idee oder gar aufsteigenden Programmleistung aufgefallen. Und das habe ich jetzt sehr höflich formuliert.

Von seiner mutmasslich stärksten Rivalin Katrin Vernau wird dagegen sehr viel Positives erzählt, vorwiegend von ihrer kurzen Interimsintendantinnenzeit in Berlin mit dem bisschen Brandenburg drumherum. Kein Vergleich mit dem Koloss WDR. Aber den kennt sie als Verwaltungsdirektorin ja noch besser. Ob das ein Vorteil ist? Ich würde erwarten, dass sie – mindestens – in den internen Bewerbungsgesprächen Rechenschaft über ihre geschäftlichen und persönlichen Beziehungen zu den Rhön-Kliniken und zu Brigitte Mohn, der Hauptaktionärin des WDR-Konkurrenten RTL, ablegt. Mit einem mittlerweile abgelegten Aufsichtsratsmandat ist das nicht erledigt, denn Netzwerke leben weiter. Aber mit welchem Inhalt?

Es gibt Einschätzungen, dass diese beiden Favorit*inn*en am Ende nicht gegeneinander antreten werden. Wenn sie klug sind. Denn wer gewinnt, muss mit dem*der Unterlegenen im Anschluss gut und professionell zusammenarbeiten. Ich kenne beide zu wenig, um einschätzen zu können, ob sie das schaffen. Die, die sie prüfen und wählen, müssen sich darüber aber Gewissheit verschaffen. Sonst wird es teuer – für uns alle. Denn wir bezahlen sie.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. w.nissing

    von hier geklaut: https://blog.fefe.de/
    Und dann kommt am selben Tag noch diese unfassbar großartige Nummer rein.

    Google hatte ja mit Reddit einen Deal gemacht, wo sie denen für mehrere Millionen Dollar die KI-Verwertungsrechte an ihren Archiven mit den User-Postings abgekauft haben. Auf Reddit gibt es jetzt, das wisst ihr sicher alle, eine Menge Shitposting. Das kann die Google-“KI” nicht von seriösen Meldungen unterscheiden. Als dann jemand Google fragte, was er beim Pizzabacken gegen abrutschenden Belag tun können, empfahl Googles “KI”, er soll eine halbe Tasse Klebstoff dazugeben. Das hatte vor 11 Jahren ein Reddit-User namens “Fucksmith” geshitpostet.

    Immerhin wies Googles “KI” auch darauf hin, man möge bitte nichttoxischen Klebstoff nehmen.

    soll ich jetzt weiter lachen, oder doch weiter an meiner Tischkante weiter kauen ?

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