Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Selbstreferenzialität bringt um

Medien und demokratische Parteien gehen allzu fahrlässig mit ihrer Lebensgefahr um

Wenn sich hier besorgte Töne mehren, liegt es dann an mir? Das ist angesichts meines Lebensalters (67) nicht auszuschliessen. Das müssen am Ende Sie als Leser*in selber wissen. Sie lesen hier freiwillig, Mit PR-Lärm verschone ich Sie (bewusst). Ihre Schlüsse aus dem Gelesenen ziehen Sie selber. Also bitte auch zum Folgenden: auf eigene Gefahr.

Die Süddeutsche Zeitung hatte ich mehrere Jahre in den 90ern und Nullern abonniert. Sie war im Besitz von fünf Verleger-Erbengemeinschaften. Keine konnte alleinherrschen. Alle hatten eine antifaschistische Familientradition – nur so kamen sie an die von den Alliierten erteilten Lizenzen. Vier dieser Erbengemeinschaften verkauften an den Medienkonzern SWMH in Stuttgart, nur die Familie Friedmann nicht. Ihre Bossin Anneliese Friedmann wurde in den 80ern kongenial von der kürzlich verstorbenen Ruth Maria Kubitschek gespielt, in der nicht minder genialen TV-Serie “Kir Royal” von Helmut Dietl. Frau Friedmann starb 2020.

Mit der Machtübernahme der schwäbischen Hausmänner der SWMH war die SZ für mich “gestorben”. Ihren erstklassigen NRW-Regionalteil stellte sie unterwürfig ein, weil die NRW-Zeitungsverleger gegen sie das Kriegsbeil ausgegraben hatten – sie fürchteten die SZ zurecht, weil sie journalistisch überlegen war. Aber im Krieg zählt das nicht.

Und nun spielt sich ein ähnliches Gemetzel innerhalb der SWMH ab. Mitleid ist nicht angebracht.

Öffentliche Medien – von Angreifern umstellt; Verteidiger*innen längst geflohen

Thomas Pany/telepolis macht auf einen begründeten Warnruf von WDR-Rundfunkrat Gerhart R. Baum aufmerksam: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Wie verfassungskonform ist er? – Streit um die Rundfunkbeiträge: Vielfalt vs. Einseitigkeit. Zweifel an der Aufsicht über den öffentlichen Rundfunk wachsen. Bundesverwaltungsgericht prüft.”

Der alte Baum weiss, was er tut, ebenso wie der attackierende Anwalt. Die Attacke kommt über das Bundesverwaltungsgericht, das, anders als das Bundesverfassungsgericht, über mindere Medienkompetenz verfügt. Das Urteil des BVG wird nicht günstig für die ÖRRs ausfallen, so dass sie bis zum BVerfG gehen müssen. Das zieht sich, kostet Geld und sehr viel Arbeitskraft.

Digitale Riesen und Zwerge

Zwei wichtige Erkenntnisse aus Christian Bartels’ MDR-Altpapier-Kolumne.

Erstens die Riesen. Das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) schreibt seit Jahrzehnten eine Umsatzliste der “100 größten Medien- und Wissenskonzerne” fort. Für das Schicksal demokratischer Politik überragt diese Liste jede Bundesligatabelle oder Weltrangliste. “Mit dem Mediengeschäft der großen europäischen Konzerne geht es bergab. 2014 hatte Europa einen Anteil von 17,5 % (oder 80,7 Mrd. Euro) an den 50 größten Medienkonzernen (Umsatz gesamt: 473,32 Mrd. Euro). 2023 hat sich dieser Anteil halbiert: Jetzt waren es noch 138,45 Mrd. Euro von insgesamt 1,55 Billionen – oder 8,93 %. Auch ein Beispiel für die neue bipolare Weltordnung, die sich im 21. Jahrhundert abzeichnet, mit den nicht nur im Bereich der Medien führenden USA und China.” Das erste europäische Monster steht auf Platz 15, Bertelsmann, früher mal auf Champions League-Plätzen, markiert Platz 18. Selbstverständlich markiert das keine Selbstbeschränkung, sondern strategische und Intelligenz-Unterlegenheit. Ganz wie unsere Regierung und unsere EU.

Nicht besser sieht es laut Bartels bei potenziellem demokratischem Widerstand gegen diese Sorte Monster-Grosskapital aus. Dort, in Bielefeld, sofern das existiert, zerlegen sie sich genauso, wie die linken Parteien.

Ich beharre auf meiner These: wer die Wirklichkeit mit 1 und 0 sortiert, in Schwarz und Weiss, in Gut und Böse, also von binärem Denken überwältigt ist, hat den Erwerb von Verhandlungskompetenz und Kompromissfähigkeit – beides notwendige Voraussetzungen für politische Organisation – aufgegeben.

Ich bitte um Widerspruch zu diesem Text – insgesamt, oder auch nur in Teilen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Bertelsmann hat seinen Sitz nicht in Bielefeld – dessen Existenz ich bestätigen kann, ich war schon mal dort – aber nicht weit von dort: in Gütersloh. In Bielefeld sitzen die Leute mit dem Backpulver und so was.

  2. Klaus Vater

    Wahrscheinlich lag Hans Matthöfer damals, vor gefühlten Generationen und noch vor olims Zeiten, bevor es handies und tiktok und alen möglichen Klimbom gab, richtig. Er sagte: Das was ich noch lese, das schreib ich mir selber.

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