Liebeserklärung an die Deutsche Bahn
Der Sommer-Newsletter des Demokratischen Salons für die Monate Juli und August 2024 erscheint zum zehnten Jahrestag des 74. Völkermords an den Êzîd:innen, der am 3. August 2014 im Sindschar-Gebirge des Iraks begann. Êzîd:innen wurden von Islamisten terrorisiert, ermordet, versklavt. Sie sind im Irak nach wie vor in Lebensgefahr, dennoch werden Êzîd:innen aus Deutschland in den Irak „abgeschoben“. Der Deutsche Bundestag hatte im Januar 2023 eigentlich etwas anderes beschlossen.
Das Editorial trägt die Überschrift „Und sie bewegt sich doch – Eine Liebeserklärung an die Deutsche Bahn“. Nach den Kurzvorstellungen der neuen Texte des Demokratischen Salons finden Sie Hinweise auf Veranstaltungen unter Beteiligung des Demokratischen Salons, unter anderem die Bonner Tage des Exils und die zweite Begleitveranstaltung zur Demokratieausstellung in der Bundeskunsthalle sowie Vorschläge zum Besuch weiterer Veranstaltungen, Ausstellungen und Wettbewerbe.
Die neuen Texte im Demokratischen Salon:
- Anastassia Pletoukhina sagt, am 7. Oktober 2023 habe sich „Die Büchse der Pandora“ geöffnet. Der 7. Oktober sei der „längste Tag“. Sie war von der anfänglich großen Solidarität in Deutschland überrascht, stellte jedoch mit der Zeit fest, wie alten Muster des Antisemitismus zurückkehrten. Sie berichtet von unterschiedlichen Diskursen in Israel und in Deutschland, von Veränderungen am Arbeitsplatz und Bedrohungen im Alltag. Eine grundlegende Frage lautet: „Ist Dialog noch möglich?“ (Rubriken: Jüdischsein, Antisemitismus)
- Viktoriia Kotenok, Iuliia Bentia und Pavlo Shopin dokumentieren „Kreative Solidarität im ukrainischen Theater“. Die ukrainischen Theaterensembles lassen sich von den ständigen Bombenangriffen nicht entmutigen, einige wechselten den Standort, alle führen weiterhin vor ausverkauften Häusern auf. Die Solidarität ist groß, es gibt Freikarten für Soldat:innen, Veteran:innen, Verwundete und Vertriebene, Tourneen in bedrohte Regionen des Landes und finanzielle Unterstützung des ukrainischen Widerstands. (Rubriken: Kultur, Osteuropa)
- Dilek Güngör präsentiert in „Vor dem Spiegel“ das Bild der Vielfalt einer Welt, in der alle versuchen, sich gegenseitig zu spiegeln, ohne genau hinzusehen, einfach nur in der Erwartung, man fände sich selbst im anderen, obwohl letztlich die Erkenntnis bleibt, dass die eigene Identität sich als „Insel“ erweist. Aber jede Insel hat auch ihren Kontinent. Dies ist Thema des Romans von Dilek Güngör „A wie Ada“. Sie ist eine Meisterin der Präzision, einer knappen Prosa, die die Vielfalt der Welten, in denen sich Menschen begegnen, auf den Punkt bringt. (Rubriken: Kultur, Migration)
- Johanna Adam, Kuratorin der Bonner Ausstellung (2025 auch in Dresden zu sehen) „Für alle! Demokratie neu gestalten!“ führt uns ins demokratische Fitnessstudio, denn es gilt: „Die demokratischen Muskeln trainieren!“ Künstler:innen zeigen ihre Sicht der Demokratie, vom „Kiosk der einfachen Antworten“ über die „Sturzlage“ der Stühle des Zentralen Runden Tisches der DDR bis zu einer Hommage an die Suffragette Mary Richardson. Thema sind auch Ansätze der repräsentativen, deliberativen und direkten Demokratie. (Rubriken: Liberale Demokratie, Kultur)
- Rolf C. Hemke, Künstlerischer Leiter des Kunstfestes Weimar, stellt Geschichte und Aktualität des Kunstfestes Weimar unter der Überschrift „Mit der Kunst für Freiheit und Demokratie“ vor. Das diesjährige Motto: „Wofür wir kämpfen“. Es ist gelungen, das Kunstfest finanziell zu sichern, seine Stärken sind Vielfalt und politische Setzung. Das Kunstfest beteiligt sich an der bundesweiten Kampagne „Die Vielen“. Rolf C. Hemke kommentiert auch die aktuellen politischen Entwicklungen, zu denen das Programm von Schorsch Kamerun passt: „Bevor wir kippen“. (Rubriken: Kultur, Liberale Demokratie)
- Sandro Witt stellt das von ihm geleitete und vom Bundesarbeitsministerium geförderte DGB-Projekt „Betriebliche Demokratiekompetenz vor: „Yes, we can“ – so könnte das Motto lauten, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung sind der Kern des Projektes, das Belegschaften kleiner und mittlerer Betriebe unterstützt, Abläufe im Betrieb mitzugestalten. Mit der Zeit lösen sich antidemokratische Einstellungen auf, ein harter Brocken ist allerdings der Antifeminismus. Betriebsräte und starke Gewerkschaften sorgen für Nachhaltigkeit. (Rubrik: Liberale Demokratie)
- Christina Morina erhielt für ihr Buch „Tausend Aufbrüche“ den Deutschen Sachbuchpreis 2024 und in der Tat: „History Matters“. Eine zentrale Frage: „Wie konnte aus der demokratischen Mobilisierung der Nährboden für eine anti-demokratische Revolte entstehen?“ Sie knüpft unter anderem an Jeffrey Herf, Jürgen Habermas, Martin Sabrow und die französische Schule der „Annales“ an. Eine wichtige Gruppe sind die „Bystander“. Fast alle wollen „Demokratie“, aber gleichzeitig ist „Demokratie“ Chiffre deutscher Protestkultur(en). (Rubriken: Liberale Demokratie, DDR).
- Norbert Reichel fragt in „Das Demokratieparadox“, warum autoritäre Politiker:innen so attraktiv wirken und warum sich Wähler:innen in Demokratien in geradezu atemberaubenden Tempo von denen abwenden, die sie doch gerade gewählt haben. Rollenmodelle der Autoritären sind Putin, Trump und Orbán, die sich als unterschiedliche Entwicklungsstufen auf dem Weg zur autoritären „illiberalen Demokratie“ beschreiben lassen. Demokratie muss jedoch immer zugleich liberal sein, sonst ist sie keine. (Rubriken: Liberale Demokratie, Treibhäuser, Weltweite Entwicklungen)
- Fritz Heidorn stellt in seinem Essay „Über Zeit und Veränderung – Ein nicht nur literarischer Reisebericht“ philosophische, physikalische und literarische Reflektionen über das Thema der Zeit vor, die sich nicht zuletzt in dem in der Science Fiction ständig präsenten Motiv der Zeitreise manifestieren. Der bekannteste Roman ist vielleicht „Time Machine“ von H.G. Wells, aber es gibt eine Reihe weiterer Romane, deren Lektüre lohnt und die zeigen, was Zeitreisen über unsere eigene Zeit aussagen. (Rubrik: Science Fiction)
- Fritz Heidorn porträtiert nach Kim Stanley Robinson und Arthur C. Clarke in „Kosmologische Science Fiction“ einen weiteren Großmeister der internationalen Science Fiction: Cixin Liu, Autor der Trisolaris-Trilogie. Die Trilogie darf als Werk der Climate Science Fiction und als historisch-kulturelles und politisches Werk gelesen werden. Man könnte auch auf den Gedanken kommen, Cixin Liu habe eine Allegorie auf reale Bedrohungszenarien und untaugliche Versuche der Gegenwehr geschrieben. (Rubrik: Science Fiction)
Weitere Leseempfehlungen und Hintergrundinformationen finden Sie zum Michael-Kleff-Archiv, zu einer Preisverleihung für das Puppentheater Bubales, zur Wissenschaftsfreiheit anlässlich der Debatte um anti-israelische Demonstrationen, zum Antisemitismus in der Kultur und auf Tiktok, zum Deutschen Widerstand, zum deutschen Staatsversagen in Afghanistan, zur Umleitung humanitärer Hilfen für Gaza und ihrem Ausbleiben im Sudan, zum Streit um die humanitäre Hilfe in der Entwicklungszusammenarbeit, zur Bedeutung des sogenannten „Wolfsgrußes“, zur Motivation migrantischer Wähler:innen der AfD und zu Rassismus als Pop, zur Befreiung aus Putins Gulag, zu einem aktuellen Memorandum mit der Forderung nach Aufarbeitung der Pandemie, zu umweltschädlicher Ausbeutung von Lithium und Kohle für den deutschen Bedarf und zu einem unerwarteten Plädoyer für die Gesamtschule. Last not least ein Hinweis auf Übersetzungen von Texten des Demokratischen Salons in das Ukrainische.
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