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Vorverurteilung durch Tagesschau24?

Vor einigen Monaten wurde ein Terroranschlag in Solingen politisch instrumentalisiert, um eine rassistisch motivierte Kampagne gegen Flüchtlinge und Migranten zu fahren. Friedrich Merz plusterte sich als Ober-Abschieber auf, aber auch “Sicherheitsgesetze” der Ampel wurden in Bundesrat und Bundestag diskutiert, die Union wollte die Regierung  im Bundesrat vorführen, hatte aber die Geschäftsordnung nicht richtig gelesen, sodass es ihr nicht gelang, das “Sicherheitspaket” der Bundesregierung zu verschärfen – ein Eigentor. Es dauert an, und ist schwer für die CDU/CSU oder AfD-Karikatur,  auch den Anschlag von Magdeburg gegen Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Obwohl die Faktenlage eine ganz andere ist, begannen Tiraden gegen Flüchtlinge bereits während der Sondersendung der Tagesschau24 HD am Abend des 20.12.24:

Während der naturgemäss dünnen Informationslage kurz nach dem Anschlag des unbekannten Täters in Magdeburg spielt der Sender eine Dokumentation über sämtliche islamistische Anschläge in Deutschland seit 2010 ab. Was anderes sollte damit erreicht werden, als Stimmungesmache? Den gespannt auf erste Ergebnisse wartenden Zuschauern wurde schon einmal  signalisiert, dass Islamisten eine tödliche Gefahr sind und deshalb gegen sie vorgegangen werden muss. Eine deutlichere Art der öffentlichen Vorverurteilung eines mutmaßlichen Täters, über den zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts bekannt war, ist kaum möglich. Eine journalistische Fehlleistung, die an politische Stimmungsmache im Stile der AfD erinnert.

Das Muster folgt dem Drehbuch der Reaktionen auf die Morde des Täters in Solingen, der sich erst einen Tag danach als islamistischer Terrorist entpuppt.  Nur: was bitte hat die bedauernswerte und unmenschliche Straftat eines durchgeknallten islamistischen Mörders mit der Frage von Asyl für afghanische oder syrische Frauen und Kinder zu tun, die sich vor Taliban oder erst Assad und möglicherweise vor neuen Islamisten versuchen, in Sicherheit zu bringen? Was ist die Ursache und wer sind die Verantwortlichen, dass in einem auf Nachrichten und Fakten besierenden öffentlich-rechtlichen Medium wie Tagesschau24 eine derartige Entgleisung und öffentliche Vorverurteilung möglich ist? – Was ist los in diesem Land? Wer verteidigt wirklich die Grundrechte? Wenn es die Bürger*inn*en nicht tun, die Politik tut es maximal halbherzig. 2025 fängt nicht gut an.

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

3 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Der Marktanteil – nicht gemessen an der Gesamtbevölkerung, sondern an denen, die überhaupt TV glotzen – von Tagesschau24 betrug zuletzt 0,6%.
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1267400/umfrage/zuschauermarktanteile-der-nachrichtensender-monatszahlen/
    Er dürfte also kaum meinungsbildend sein. Das von Dir dargestellte Problem bleibt damit “lediglich” verräterisch über das Welt- und Menschenbild derer, die mit der massenwirksamen 20h-Tagesschau sehr wohl Meinungen bilden.
    Hier ihr Selbstbild:
    https://www.tagesschau.de/ueber-uns

    • Roland Appel

      Das ist mir zuwenig. Redakteur*innen, die das einstellen, haben im besten Sinne Stroh im Hirn oder sind so hohlköpfig, dass sie sich für diesen Beruf nicht eignen. Es ist völlig irrelevant, wie mies ihre Quoten sind, es ist zu befürchten, dass sie irgendwann bei der “Tagesschau” oder anderen erntzunehmenden Medien oder auch wo auch immer so arbeiten und wieder so einen Dreck produzieren.

  2. Norbert Reichel

    Roland hat recht.
    Das Problem liegt darin, dass Presse – auch seriöse Medien – sich leider zu oft nur an den ersten Reaktionen orientieren, die sie dann unreflektiert weitergeben. Das war im Falle des Sturzes von Assad zum Beispiel Jens Spahn mit seiner Äußerung zur Abschiebung aller Syrier:innen, denn jetzt wäre ja alles ok. Inzwischen haben einige protestiert, zum Beispiel das deutsche Handwerk, das aber nicht mehr so breit in der Presse verbreitet wird, weil das Thema irgendwie auch schon wieder durch war beziehungsweise sich bei einer Reihe von Menschen so gefestigt hat, dass keine weitere Differenzierung Aufmerksamkeit erregt hätte.
    Ich denke auch, dass es nicht darauf ankommt, wie viele Menschen Tagesschau 24 schauen, sondern wer das schaut. Das sind viele Multiplikator:innen und Menschen, die Meinungen machen. Da verfestigt sich auch schon das ein oder andere.
    In einem anderen Punkt möchte ich um Vorsicht bitten. Bitte auf keinen Fall AfD und CDU/CSU in einem Atemzug nennen. Da gibt es erhebliche Unterschiede. Wenn man so argumentiert, könnte man im Falle der Migration und der inneren Sicherheit möglicherweise sogar fast alle Parteien in einem Atemzug mit der AfD nennen (oder vielleicht gleich die sozialdemokratisch geführte dänische Regierung mit). Das Problem ist, dass die demokratischen Parteien immer wieder auf das Agendasetting der AfD hereinfallen und dass Einzelne wie z.B. Jens Spahn, den ich für einen der gefährlichsten Politiker halte, es immer wieder schaffen, die Presse zu dominieren. Wir müssen darüber nachdenken, warum es die AfD schafft, die Agenden anderer Parteien zu bestimmen, sodass diese als (fast) einziges Argument haben, bitte keine Rechten wählen. Das geht schief, siehe auch Präsidentschaftswahlen in den USA.

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