Aufgrund meiner persönlichen Mediendiät ist es mir nicht gelungen, den Überblick zu behalten. Ist bei den Verhandlungen über diverse Sonderschulden an irgendeiner Stelle von Kindern, ihrem Wohl und ihrem Schutz die Rede gewesen? Bemerkt habe ich es nicht. Sie?

Es ist leider nicht allgemein bekannt, aber eine Tatsache, dass der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder zuhause ist. Der Gefahrenherd ist in 90% der Fälle der Gatte oder Lebensgefährte. Wo entsprechende Gefahren aktenkundig werden, was selten genug der Fall ist, müssen Jugendämter tätig werden. Die waren schon in den 70er Jahren zu schwach auf der Brust, als ich im Gladbecker Jugendamt mein Schülerpraktikum gemacht habe. Seitdem ist nichts besser geworden – im Gegenteil. Die Gefahr für Kinder, ihre körperliche und psychische Unversehrtheit, ist bis zu wachsender Lebensgefahr für immer mehr Kinder gross bis überlebensgross, und das, obwohl in Deutschland immer weniger Kinder heranwachsen.

Symptomatisch zeigt sich hier die radikalisierte Klassenstruktur unserer Gesellschaft, sowie das Desinteresse der Herrschenden und Entscheider*innen an den “Überflüssigen” am unteren sozialen Rand dieses reichen Landes. Entsprechend werden die Ressourcen verweigert für staatliche Institutionen, deren gesetzliche Aufgabe der Schutz der Schutzbefohlenen ist.

Das zeigte sich schon in der noch nicht abgeschlossenen Affäre um den Bonner Arzt Winterhoff. Die Systeme der Kinder-, Jugend- und Erziehungshilfe kamen ihrer gesetzlichen Aufgabe nicht nach. Eine ehemalige Siegburger Amtsleiterin legte vor der TV-Kamera ein entsprechendes Geständnis ab. Die Kinder waren nur noch ein Gegenstand, ein Instrument für den freien Fluss von Kapital von öffentlichen in private Kassen. Ein wichtiger Zweck sind sie nicht. Vergessen Sie die Liebe. Die ist bürgerlicher Kitsch.

Das zeigen Berit Kalus und Katharina Wolff in ihrer wütend machenden WDR-Story Jugendämter in Not – Kinder in Gefahr? – ‘So, wie es gerade läuft, läuft es nicht mehr lange, bevor dieses ganze System zusammenbricht und noch mehr Kinder zu Schaden kommen als ohnehin schon’, erzählt eine Jugendamtsmitarbeiterin in der WDR Story … Sie möchte anonym bleiben – aus Angst vor beruflichen Konsequenzen.” Das Fragezeichen im Titel können Sie streichen.

In dem Film öffnet sich das Jugendamt von Gelsenkirchen tapfer für die Dreharbeiten. Oft genug war es selbst Gegenstand schmerzhafter Affären und Missstände. Die Oberbürgermeisterin ebendieser Stadt und ihres Jugendamtes erklärte jüngst als Arbeitgebervertreterin in den Tarifverhandlungen: “Die Leute verstehen nicht, warum seit Wochen gestreikt wird.” Dabei ist die Antwort so einfach. Die Dame und die von ihr vertretenen Arbeitgeber haben immer noch kein Angebot gemacht. Und wenn sie keins machen, wird auch ihre Stadt Gelsenkirchen keine dringend benötigten Fachkräfte mehr finden, während die, die sie noch hat, ausbrennen und krank werden. Ist es das, was Gelsenkirchen und seine Kinder brauchen?

Die Antwort bekommt die Dame im September bei der Kommunalwahl.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net