Eine Fehlkonstruktion unserer Demokratie ist die Tatsache, dass die Höhe der Wahlbeteiligung absolut keine praktischen Konsequenzen nach sich zieht. Bei der letzten Bundestagswahl war sie, zum zweiten Mal seit 1998 (dem Wahlsieg von Rot-Grün) wieder gestiegen: von 71,5% (2013) auf 76,2% (2017). Allgemein wurde diese Zunahme auf die AfD zurückgeführt; wenn sie auf diese 4,7% beschränkt geblieben wäre, wäre einiges weniger schlimm.
Bei den Landtagswahlen sind die Wahlbeteiligungen mittlerweile auf zwei Drittel bis unter 50% gefallen. Bei Kommunalwahlen in NRW liegen sie zwischen der Hälfte bis hinunter zu nur noch einem Viertel. Den Parteien ist es wurscht. Ihre Mandate und Ressourcen hängen davon nicht ab. Und ihre Parlamentsmitglieder sind die Einzigen, die was daran ändern könnten. Es wird sich also nicht ändern.
Es gibt jedoch einen guten Grund, das doch zu tun. Die abgelaufene “Maaßen-Woche” hat die Geschwindigkeit der Selbstdemontage der demokratischen Parteien erneut beschleunigt. Die Regierungsparteien bringen es in den aktuellen Umfragen nur noch auf 45% – diesen Wert hatte die SPD zu ihren besten Zeiten (1972) alleine. Grüne staunen über ihre hohen Werte; die Linke schmilzt trotz ihrer desaströsen inneren Bürgerkriege nicht; warum die FDP nicht steigt, darüber sollte die mal nachdenken.
Warum das rechnerisch so ist, ist einfach zu erklären. Die rechtssozialdemokratisch geführten Kolleg*inn*en von Forsa sind die Einzigen, die eine Rubrik “Unentschlossene/Nichtwähler” ausweisen.
Interessant wäre, zu erfahren, wie die zustande kommen. Ich persönlich beende bei Werbeanrufen am Telefon höflich und bestimmt sofort das Gespräch und lege auf. Werde ich also mitgezählt, wenn Forsa dran war? Ich glaube nicht; ich würde für nichts gezählt. Denn der absolute Wert in dieser Spalte bei Forsa kommt mir mit 31% merkwürdig gering vor – im Vergleich zu bisherigen tatsächlichen Wahlergebnissen. Entscheidend für die aktuelle Lage ist jedoch, dass allein die “Maaßen-Woche” diesen Wert bei Forsa von 25 auf 31% nach oben getrieben hat – Steigerung um mehr als ein Fünftel. Wenn ich konservativ schätze, dass der Anteil der Unentschlossenen/Nichtwähler*innen tatsächlich rund um 40% liegen dürfte (s.o. reale Wahlbeteiligungen), dann könnten sie jetzt schon knapp die Mehrheit haben.
Die Menschheitsgeschichte hat gelehrt, dass Demokratien nie allein von ihren Feinden zerstört werden konnten, sondern in erster Linie durch ihren Mangel an aktiven Verteidiger*inne*n. Wenn die demokratischen Parteien die Demokratie also ehrlich vor den Rechtsradikalen retten wollen, bleibt ihnen “auf dem Markt” kaum noch etwas anderes übrig, als sich um die zu kümmern: die Unentschlossenen/Nichtwähler*innen.
Ein erster Schritt wäre der hier. Ein zweiter Schritt wäre, umzubauen: Verzicht auf solche Performances, stattdessen ganz altmodisch wieder Verantwortung übernehmen und tragen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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