Ich weiß ja nicht wer dem Bundesgesundheitsminister was genau verschrieben hat und was er einnimmt. Eines ist sicher. Das Zeug ist nicht gut. Nicht gut für ihn, und vor allem nicht gut für uns alle. Woran man das erkennt? An dem, was aus seinem Ministerium kommt und manchmal auch als Gesetzentwurf den Bundestag beschäftigt. Denn Spahn will nicht nur unser aller Gesundheitsdaten in einer großen Cloud oder auf einem Server speichern lassen und damit seinen Freunden von der Pharma- und der sonstigen Gesundheitsindustrie zugänglich machen, er hat einen weiteren Anschlag auf uns vor. Dieses Mal will er die freie Arztwahl erheblich einschränken.
Ein weiterer Spahnsinn
Inhaltlich geht es um die besonders in ländlichen Gegenden bestehende Unterversorgung mit psychotherapeutischen Praxen. Denn nicht jede Störung und nicht jedes Problem kann im Gespräch mit dem örtlichen Pfarrer gelöst oder im Karnevals- oder Schützenverein im Alkohol ertränkt werden. Bei vielen empfiehlt sich der Gang zum Psychotherapeuten. Weil es davon aber zu wenig gibt, sollen die Rat und Hilfe suchenden Menschen jetzt zunächst mal zu einem „Lotsen“ – wahrscheinlich einem Gutachter – gehen, um von ihm zu einem Psychotherapeuten geschickt zu werden, der noch was frei hat. Jede Wette, das, was da geplant wird, will keiner. Eigentlich erstaunlich, dass kaum darüber berichtet wird. Um über ihre psychische Probleme zu sprechen, werden sich Frauen bei ihrer besten Freundin, oder im Biolanden ihres Vertrauens, nach einem „guten“ Psychotherapeuten erkundigen – aber ganz sicher nicht beim „Lotsen“ von der Krankenkasse oder der Kassenärztlichen Vereinigung. Männer lassen sich da schon eher überweisen. Aber die etwas sensibleren unter ihnen werden sich fragen, warum es in der vom Lotsen empfohlenen Praxis noch freie Termine gibt. Im günstigsten Fall wurde die Praxis erst gerade eröffnet, was bei etwas älteren Menschen bedeuten kann, dass sie einem Therapeuten gegenüber sitzen, der etwas jünger ist als seine eigenen Kinder. Die „Lotsenregelung“ ist also leicht erkennbarer Unsinn. Im Rheinland würde man sagen „das ist Kappes.“ Andere bezeichnen die Ergüsse aus dem Bundesgesundheitsministerium schlicht als „Spahnsinn.“ Ich habe zwar gelernt, dass man mit Namen nicht spielen soll, aber ich finde den Ausdruck treffend. Doch zurück zu den Inhalten. Natürlich laufen die Pychotherapeuten Sturm gegen das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG).
Beim Bundestag wurde eine entsprechende Petition eingereicht. Zum ersten von insgesamt sieben Punkten, die gegen dieses Gesetz sprechen, heißt es „1. Dieses Gesetzesvorhaben diskriminiert im Entwurf zum § 92 eine ganze Patientengruppe. Den psychisch kranken Patientinnen und Patienten wird damit aufgebürdet, oftmals enorme, hoch schambesetzte seelische Belastungen gegenüber Behandlern darzustellen, die sie danach in der Regel nicht wiedersehen werden und die sie nicht selbst nach Vertrauensgesichtspunkten gewählt haben…“
Für Claudia Reimer, psychologische Psychotherapeutin im hessischen Frielendorf, ist klar: Jeder zusätzlicher Psychiatertermin stellt „bei fast jedem Patienten“ eine ernsthafte Belastung dar. Claudia Reimer weiß aus ihrer langjährigen Praxiserfahrung: „Wenn ich einen Patienten bitte, für die Beantragung der Therapie einen Konsiliarbericht mitzubringen. (das ist eine medizinische Bestätigung, dass es für die Psychotherapie keine Kontraindikationen gibt und die medizinische Seite im Blick ist), atmen sie erleichtert auf, wenn ich sage, das das auch der Hausarzt ausstellen kann. Dann brauchen sie nämlich nicht ihre Geschichte nochmal zu erzählen. Den Patienten ist es schon peinlich genug, zu leiden. Ihr leiden nochmal dokumentieren zu lassen, ist quälend und kann bei bestimmten Störungsbildern die Aufnahme einer PT verhindern.“ Claudia Reimer gehört zum „Kollegennetzwerk Psychotherapie“ in dem sich mittlerweile über 10.000 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bundesweit organisiert haben.
Kontroverse Diskussion auch in der Koalition
Im Bundestag und auch innerhalb der Koalition wird zumindest dieser „Spahnsinn“ kontrovers diskutiert. So erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar auf meine Fragen,
„Die von Ihnen angesprochene Regelung für einen sogenannten „gestuften Zugang“ zur psychotherapeutischen Versorgung wird aus unserer Sicht zu Recht kritisch kommentiert. Das haben auch die Gesundheitsfachpolitiker*innen der SPD-Bundestagsfraktion in der 1. Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung am 13. Dezember 2018 im Deutschen Bundestag bereits deutlich werden lassen. Eine vorgeschaltete Instanz als Hürde beim Zugang zur Versorgung, die zwischen dem Patienten und einem Psychotherapeuten steht, lehnen wir ab.“
Ihre ganze Rede kann man nachlesen und auch hören.
Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge findet das Vorhaben eher gut. Er freut sich über den Entwurf und erklärte auf meine Fragen: „Die Debatte um die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung nimmt an Fahrt auf, denn die Ausgangslage ist heikel: Bei einzelnen psychischen Erkrankungen verzeichnen wir in Deutschland deutlich steigende Betroffenenzahlen. Gleichzeitig werden die Wartezeiten auf den Beginn einer ggf. notwendigen Therapie immer länger, und die Belastungen für einzelne Psychotherapeuten vor Ort nehmen zu. In unserer Fraktion wird darum Handlungsbedarf gesehen, die psychotherapeutische Versorgung für die Zukunft aufzustellen und gesetzgeberisch nachzujustieren.“
Allerdings werde auch in seiner Fraktion noch diskutiert. Sorge weiter: „Natürlich würde eine Einstufung von Patienten dann, wenn sie mit Bürokratie und noch längeren Wartezeiten verbunden wäre, ihr Ziel verfehlen. Ebenso wäre es fatal, wenn die Versorgung durch eine Pflicht zum Kontakt mit „fremdem“ Personal für die Patienten eine neue Hemmschwelle erzeugen würde, überhaupt psychotherapeutischen Rat zu suchen. In den Beratungen zum TSVG wird unsere Fraktion dies berücksichtigen.“
Am 16. Januar wird der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eine Expertinnenanhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchführen. Da werden auch die PsychotherapeutInnen ihre Kritik äußern können. Es bleibt spannend und nichts, wirklich nichts, spricht dagegen, sich als Bürger an dieser Diskussion zu beteiligen und den jeweiligen Abgeordneten seines Vertrauens auf das anzusprechen, was dieser Jens Spahn in seinem Ministerium so treibt. Auch wenn kaum darüber berichtet wird, der Spahnsinn be- und trifft uns alle.
Sachdienliche Hinweise nimmt der Autor gerne persönlich entgegen: Helmut Lorscheid – Journalist; Adrianstr. 159; 53227 Bonn; Tel. 0228 675442; Mobil 0177 928 0926; HLorscheid@web.de
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