Donald Trump ignorieren – Aufmerksamkeit ist ein hohes Gut in der Politik. Was, wenn man es dem US-Präsidenten entzieht? Stell dir vor, Trump twittert, und niemand schaut hin.

Die Szenen sind zu einem grausigen Ritual verkommen. Irgendwo in den USA findet ein Massaker statt, der Präsident reist an den Ort des Geschehens und macht mit geschmacklosen Tweets und Gockelei eine Farce aus Gesten der Anteilnahme und des menschlichen Anstands. Demonstranten sowie politische Gegnerinnen und Gegner zeigen sich empört, was Donald Trump und seine Gefolgsleute erkennbar freut.

Die Teilnahme an diesem Spiel – und für den Präsidenten und seine unbeirrbaren Fans scheint es ein Spiel zu sein – nutzt nur Zynikern, die angesichts der Trauer anderer zu Häme und Schadenfreude fähig sind.

Eine menschenverachtende Haltung bei Donald Trump aufzudecken ist ungefähr so sinnvoll, wie dem Ku-Klux-Klan vorzuwerfen, er sei rassistisch, oder islamistischen Terroristen, sie seien gewaltbereit. All das lässt sich ja nicht bestreiten, es bedarf keiner weiteren Beweise. Schlimmer noch: Je größer das Entsetzen und die Wut auf der einen Seite, desto fester schließen sich die Reihen auf der anderen Seite.

Das ist kein Zufall, dahinter steckt eine kühle Strategie. So haben Redner aus dem Lager der Rechten, die von Protestierenden an Auftritten in US-Universitäten gehindert wurden, damit mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ihnen das mit einem Vortrag je hätte gelingen können. Nun ist Aufmerksamkeit eines der kostbarsten Güter, die eine Mediengesellschaft zu vergeben hat. Das sollte nicht verschenkt werden.

Der Traum vom Ignorieren

Zugegeben: den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu ignorieren, ist nicht einfach. Aber möglich. Verletzte Opfer des Amoklaufs von El Paso haben es vorgemacht. Sie haben schlicht erklärt, Trump nicht treffen zu wollen. Und Dee Margo, der Bürgermeister der Stadt, dachte offenbar zumindest darüber nach, es ihnen gleichzutun. Er erklärte, der Respekt vor dem Amt des Präsidenten gebiete es ihm, diesen zu empfangen. Er hielt eine Begründung also für nötig.

Wer etwas ändern will, muss bereit sein, über neue Wege des Widerstands nachzudenken

Verständlich, aber schade, dass Dee Margo sich so entschieden hat, wie er es tat. Eine große Wirkungsmacht wäre davon ausgegangen, wenn Donald Trump in El Paso gelandet wäre und niemand sich bereit gefunden hätte, die protokollarischen Höflichkeitsregeln zu beachten. Und wenn sein Besuch zwar vermeldet worden wäre, was zur journalistischen Sorgfaltspflicht gehört, aber keine Analysen und Kommentare seiner Tweets und anderen Äußerungen erfolgt wären. Wenn keine Demonstranten am Wegesrand protestiert hätten, sondern die Bevölkerung zu Gedenkveranstaltungen gegangen wäre, ohne sich einen Deut darum zu scheren, ob der Präsident dort herumsteht oder nicht.

„Stelle dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“: Das war einer der populärsten Slogans der Friedensbewegung in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Nein, auch damals hat das niemand für eine realistische Möglichkeit im Konfliktfall gehalten. Aber der Satz wies die Richtung: Es ging darum, sich vermeintlichen Sachzwängen nicht mehr beugen zu wollen.

Es ist an der Zeit, auch im Hinblick auf Provokationen durch Extremisten – warum sollte Trump eigentlich nicht als Extremist bezeichnet werden? Nur weil er US-Präsident ist? – darüber nachzudenken, ob die eingefahrenen Wege des Protests gegen den Flirt mit Gewalt eigentlich noch ihren Zweck erfüllen. Das gilt übrigens nicht nur für die Vereinigten Staaten.

„Stell dir vor, Donald Trump twittert und niemand schaut hin“: Vielleicht wäre das ein Anfang. Die bis­herigen Formen des Widerstands waren nicht erfolgreich. Gegenwärtig stehen die Chancen für Donald Trump gut, erneut gewählt zu werden. Und es bedarf keiner prophetischen Gaben, um Triumphe der AfD bei den ­anstehenden Landtagswahlen vorherzusagen.

Wer das ändern will, muss bereit sein, über neue Wege des Widerstands nachzudenken. Schweigen kann eine mächtige Waffe sein. Bisher wird sie nicht oft genug genützt.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.