von Rainer Bohnet

In der Logistik- und Paketbranche geht es drunter und drüber. Prekäre Arbeitsverhältnisse, schlechte Bezahlung, Sozialversicherungsbetrug, illegale Beschäftigte, Ausbeutung, Sklavenhaltung. Zwangsläufig kommt die Frage auf: Was tun die Gewerkschaften? Gibt es Betriebsräte oder einen Tarifvertrag? Warum wehren sich die Betroffenen nicht?

Fragen über Fragen, die mich nicht ruhen lassen. Eine kurze Recherche verschafft etwas Klarheit, wirft aber neue Fragen auf. Zuständig für die Logistik- und Paketbranche ist die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Dort gibt es einen bundesweit aufgestellten Fachbereich. Eine Nachfrage ergibt, dass man sich um die “schwarzen Schafe” der Branche eigentlich nicht kümmert. Es gibt dort so gut wie keine Gewerkschaftsmitglieder und deshalb auch keine Betriebsräte. Da der Organisationsgrad verschwindend gering ist, kann sich in dieser Branche ohne jeglichen Widerstand ein unsozialer und zum Teil gesetzeswidriger Wildwuchs breit machen.

Die Einzelgewerkschaften, die sich die deutsche Arbeitswelt brachenmäßig aufteilen, kümmern sich zunehmend nur noch um Betriebe mit großem Organisationsgrad. Ihnen fehlt das Geld und das Personal für Menschen zu kämpfen, die am Rande unserer Gesellschaft vegetieren. Das wäre eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die die Einzelgewerkschaften an ihre Dachorganisation, den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), delegiert haben. Dort trifft man auf äußerst engagierte Kolleginnen und Kollegen, die aber fast alle am Limit arbeiten. Hinzu kommt, dass die Jobs bei den Einzelgewerkschaften besser bezahlt werden als die Jobs beim DGB. Und die finanzielle Leistungsfähigkeit des DGB ist bescheiden, weil er ausschließlich aus Beiträgen der Einzelgewerkschaften finanziert wird.

Die Konsequenzen dieses Szenarios sind ein schwindender politischer Einfluss der Gewerkschaften, obwohl alle DGB-Gewerkschaften zusammen immer noch über 6 Millionen Mitglieder haben. Aber über 80 Prozent aller abhängig Beschäftigten in Deutschland sind kein Gewerkschaftsmitglied. Und 91 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in der Privatwirtschaft sind ohne Betriebsrat.

Wollen die Gewerkschaften aufgeben, obwohl die Prekarisierung der Arbeitswelt ihr Engagement und ihren Kampfeswillen dringend braucht? Als jemand der seit über 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied ist und diverse ehrenamtliche Ämter hatte und hat, setze ich darauf, dass meine rhetorische Frage deutlich verneint wird. M.E. müsste insbesondere der DGB personell und organisatorisch nachhaltig gestärkt werden, wenn man ihn finanziell besser ausstattet und anschließend investigative Gewerkschaftsfunktionäre einstellt, die politisch den Kampf gegen Ausbeuter und Verbrecher aufnehmen.

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