Die Welt da draussen ist zu kompliziert und zu schlecht fürs TV

Ich bin selbst meistens dabei. Wenn ich zuhause bin, läuft die 20-Uhr-Tagesschau. Nicht, weil ich ihrer Weltsicht glaube. Sondern weil ich sie für die wichtigste Meinungsbildnerin unserer Wahlbevölkerung halte, und wissen will, wie die beeinflusst wird. Aber natürlich prägt sie meine Weltsicht dadurch mit. Es sind immer rund 10 Mio., die sich so informieren, in den Coronajahren waren es noch rund 2 Mio. mehr. Doch es könnte sein, dass das Bretter sind, die uns die Sicht auf die Welt nicht öffnen, sondern zunageln.

Zunächst noch ein Tipp für Leute, die abends lieber unterwegs sind: die 17-Uhr-Ausgabe hat meistems schon alles, was um 20 Uhr kommt. Wenn die ARD um diese Zeit Dopingsport sendet, finden Sie die immer auf tagesschau24.

Wie ich aufs zunageln komme?

Das ist Ladislaus Ludescher schuld. Der forscht in Süddeutschland an in- und ausländischen Medienanalysen. Seine Studie “Vergessene Welten und blinde Flecken” (162 Seiten) lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und ist wenig schmeichelhaft. Hier eine Kurzdarstellung von ihm selbst.

Konsequenz?

Meine Fantasie würde bei ARD-Intendant*inn*en und Programmdirektionen zu Ohnmachtsanfällen führen, sicher auch zu Rücktritten. Aber keine Angst, so wird es nicht kommen.

Nach der Tagesschau folgt der Weltspiegeltäglich! Und weil die ARD zuwenig teure Korrespondent*inn*en hat, wird die Dreiviertelstunde mit Beiträgen ausländischer TV-Journalist*inn*en gefüllt, nach dem Muster, wie es vorbildlich kürzlich das ARTE-Projekt “Generation Africa” getan hat.

Wir sähen nicht nur mehr von der Welt, sondern auch andere Weltsichten. Das ist es, was wir nach Ansicht all dieser was-mit-Medien-Nasen nicht verkraften würden. Darum werden sie es auf gar keinen Fall darauf ankommen lassen. Denn von den 12 Mio. Tagesschau-Glotzer*inne*n würden allenfalls 1-2 Mio. dranbleiben. Da wären immer noch mehr, als die sog. Zeitung Bild täglich verkauft.

Die meisten deutschen TV-Glotzer*innen leben lieber so, würden zu “Inspektor Barnaby” oder “Mord mit Aussicht” umschalten. Lieber Schwerstkriminalität in idyllischer Landschaft als in der gefährlich unübersichtlichen Welt da draussen. Und wenn um 21 Uhr der Tatort käme?

Der wäre sonntags mit diesem Warnhinweis zu versehen: “Die ARD und die ihr angeschlossenen Sendeanstalten haben in dieser Woche bereits zehnmal mehr Morde gezeigt, als in Deutschland passiert sind. Es ist Fiktion, nicht Dokumentation, und lehnt sich nicht an die Wirklichkeit an.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net