„Er hat mich geschlagen“: Unsere Autorin flieht aus einer gewaltvollen Beziehungen. Als Schuldigen macht sie nicht nur ihren Ex-Partner aus, sondern ein System, das die Täter schützt.

Ich habe Gewalt erlebt. Psychische, emotionale und körperliche Gewalt. Es ist eine Tatsache, keine Metapher, keine Übertreibung. Wie viele andere Frauen, die durch die Abgründe ihrer Beziehungen gehen, habe ich lange geschwiegen. Nicht aus Scham, sondern aus einem merkwürdigen Zustand der Abspaltung. Die Gewalt war da, so konkret wie eine Hand auf meinem Arm, so real wie der Klang eines geschrienen Wortes. Aber ich war unfähig, sie zu benennen.

Am Anfang war sie klein, fast unsichtbar. Ein Satz, ein Blick. „Du bist zu empfindlich.“ „Warum machst du alles so kompliziert?“ Ich glaubte, es seien Floskeln, harmlos. Doch sie waren wie Tropfen, die Stein aushöhlen. Sie schufen eine innere Leere, die ich nicht verstand. Ich dachte, die Schuld liege bei mir, dass ich zu wenig Stärke hätte, zu wenig Geduld. So beginnt es: nicht mit einem Schlag, sondern mit einem Zweifel, der sich ausbreitet wie ein Virus.

Die Isolation kam leise, fast wie eine Erleichterung. Ich zog mich zurück, sah meine Freundinnen seltener, antwortete weniger oft auf Nachrichten. Es war einfacher, mich in die Beziehung einzuschließen, als immer wieder zu erklären, warum ich blieb. Der Blick von außen wurde zu einem Spiegel, den ich nicht ertragen konnte. Ich begann zu glauben, dass ich mich selbst verloren hätte. Aber vielleicht war ich nie „selbst“. Vielleicht hatte die Beziehung mir nur gezeigt, wie leicht es war, alles abzugeben – den Willen, die Stimme, den Körper.

Dann die Gewalt, die „echte“. Sie kam nicht plötzlich. Sie war die logische Folge all dessen, was vorher geschah. Es begann mit einem Stoß, einer Bewegung, die so beiläufig war, dass ich sie nicht einmal als Übergriff wahrnahm. „Das war nicht mit Absicht“, sagte er. Und ich glaubte es, weil es einfacher war, zu glauben als zu hinterfragen.

„Die Gewalt war nicht nur in den Schlägen“

Rückblickend sehe ich die Muster. Die Entwertung, die Isolation, die Abhängigkeit. Aber in diesem Moment war es nur ein Leben, das ich zu verstehen versuchte. Ein Alltag, in dem ich immer weniger Platz einnahm, bis ich selbst zu einer Randnotiz wurde. Die Gewalt war nicht nur in den Schlägen. Sie war in der Art, wie ich lernte, an seiner Seite zu stehen – immer ein Stück dahinter, immer mit Blick auf ihn, um sicherzugehen, dass ich keinen Fehler machte.

Es brauchte Wochen, bis ich die Worte fand, um zu sagen, was geschehen war. Worte sind trügerisch. Sie machen das Ungeheuerliche beschreibbar, aber sie können die Tiefe nicht erfassen. Ich sage: „Er hat mich geschlagen.“ Aber was bedeutet das? Es bedeutet, dass ich in diesem Moment nur ein Objekt war, dass er mich ansah, als hätte er das Recht, mich zu zerbrechen. Und ich, die ich so lange daran geglaubt hatte, dass ich stark sein müsste, fühlte mich so klein, dass ich nicht einmal weglaufen konnte.

Es war nicht die Stärke, die mich schließlich rettete. Es war die Müdigkeit. Ich war zu erschöpft, um weiterzuleben, wie ich gelebt hatte. Und es waren die Freundinnen, die geblieben waren, die ich nie ganz hatte abschütteln können. Sie waren die Brücke zurück in die Welt, in der ich mich an die Idee eines Ichs erinnerte, das mehr war als seine Worte, seine Hände, seine Gewalt.

Doch nichts endet wirklich. Die Trennung war kein Sieg. Sie war der Anfang eines anderen Kampfes. Schuld, Scham, die Erinnerung an die Momente, in denen ich dachte, ich hätte mehr tun können, ihn vielleicht ändern können. Ich sage mir heute, dass das eine Lüge ist. Aber selbst diese Wahrheit fühlt sich manchmal hohl an.

Die Gewalt ist nichts Persönliches. Sie gehört nicht nur ihm und mir. Sie ist ein System, eine Struktur, die uns alle betrifft. Die Täter leben weiter, oft ohne Konsequenzen, während die Opfer lernen müssen, mit den Narben zu leben, die ihr Leben in Stücke schneiden. Es ist nicht nur die Schuld der Täter. Es ist die Schuld einer Gesellschaft, die wegsieht, die schweigt, die glaubt, dass es nichts mit ihr zu tun hat.

Häusliche Gewalt ist ein strukturelles Problem

Häusliche Gewalt ist mehr als ein individuelles Schicksal. Sie ist ein Ausdruck der Strukturen, die in einer Gesellschaft unsichtbar scheinen und dennoch jede Bewegung durchziehen. Man nennt sie „privat“, doch sie ist alles andere als das. Jeder Schlag, jede Erniedrigung und jedes Schweigen ist ein Teil eines Systems, das Frauen auf ihren Platz verweist.

Jede dritte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer oder sexualisierter Gewalt. Das sind nicht nur Zahlen. Es sind Gesichter, Körper, Leben. Es ist die Frau in der Nachbarwohnung, die niemand zu kennen scheint, die Kollegin, die ihre Ärmel im Sommer nicht hochkrempelt, die Freundin, die plötzlich nicht mehr erreichbar ist. Diese Alltäglichkeit ist eine doppelte Verletzung: Die Gewalt selbst und die Gleichgültigkeit, die sie ermöglicht.

Die Gesellschaft hat gelernt, mit dieser Gleichgültigkeit zu leben, sie zu rationalisieren. „Das passiert nur in bestimmten Milieus“, sagt man. „Warum geht sie nicht einfach?“ Diese Fragen verschleiern, dass häusliche Gewalt kein Zufall ist, sondern ein Symptom eines tiefen Machtgefälles. Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, tragen die Last nicht nur der Taten, sondern auch der Narrative, die ihnen die Schuld zuweisen.

Der Feminismus versucht, diese Gewalt sichtbar zu machen. Er zwingt uns, die Fragen zu stellen, die unbequem sind: Warum ist die Gewalt gegen Frauen so tief in unsere Strukturen eingeschrieben? Warum wird sie so oft entschuldigt oder übersehen?

Aber Feminismus ist nicht nur Theorie, er ist Praxis. Die Praxis, sich gegen die Ungleichheit zu stellen, die Praxis, Frauen zu unterstützen, die Praxis, von Männern Verantwortung einzufordern. Feminismus sagt nicht: „Frauen gegen Männer.“ Er sagt: „Alle gegen die Gewalt.“

Häusliche Gewalt ist ein Punkt, an dem das Private und das Politische sich überschneiden. Es ist das Zuhause, das zum Ort der Gefahr wird. Es ist das Schweigen der Nachbarn, die wegschauen, das Versagen von Institutionen, die Frauen keinen Schutz bieten. Es ist die Gesetzgebung, die Täter schont und Opfer mit den Konsequenzen alleinlässt.

Die Schuld liegt nicht nur bei den Tätern

Es wäre einfach, die Verantwortung nur bei den Tätern zu suchen. Doch der Feminismus zeigt, dass die Gewalt nicht im Vakuum entsteht. Sie wächst aus den Erwartungen an Männlichkeit und Weiblichkeit und aus den stillen Übereinkünften, die Männer und Frauen in ungleichen Machtverhältnissen halten. Die Geschichten von Frauen, die Gewalt überlebt haben, sind keine Einzelfälle. Sie sind das Ergebnis einer Gesellschaft, die Gewalt toleriert, solange sie hinter verschlossenen Türen stattfindet.

Man trennt psychische von physischer Gewalt, als ließen sie sich sauber in Kategorien pressen, als sei Schmerz messbar, ordnend greifbar. Doch das Leben funktioniert nicht in solchen klaren Linien. Laut dem Lagebild Häusliche Gewalt 2023 des Bundeskriminalamts wurden im vergangenen Jahr 256.276 Fälle häuslicher Gewalt registriert – ein Anstieg von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 70 Prozent der Opfer waren Frauen, insgesamt 24 Prozent der Betroffenen erlebten psychische Gewalt: Worte, Blicke, Gesten, die keinen sichtbaren Abdruck hinterlassen, aber die Opfer Jahre später noch daran zweifeln lassen, wer sie sind. Diese Gewalt bleibt oft unsichtbar, fast beiläufig, wie ein Stachel, den die Gesellschaft nicht herauszuziehen wagt.

Das Gewaltschutzgesetz von 2002 war ein Erfolg, aber es war nicht genug. Wie sollte es auch genug sein, wenn die Gewalt bereits in den Gedanken und Blicken beginnt, lange bevor sie in einer erhobenen Hand endet? Der Feminismus weiß: Es genügt nicht, Gesetze zu ändern, wenn dieselben Strukturen bestehen bleiben, die Frauen zum Schweigen zwingen. Es geht auch um eine Kultur, in der Frauen keine Angst mehr haben müssen, Nein zu sagen. In der Männer nicht lernen, dass Dominanz gleich Männlichkeit ist. Aber es ist mühsam, diese Kultur zu ändern. Es ist ein langsamer Prozess, der an den Fundamenten rütteln muss – in Familien, in Schulen, in den Medien. Jeder Fortschritt ist ein kleiner Sieg. Doch jeder Rückschritt zeigt, wie tief die alten Muster verankert sind.

Feminismus fordert Gerechtigkeit, aber nicht nur vor Gericht. Er fordert, dass die Gesellschaft Verantwortung übernimmt, dass sie aufhört, die Täter zu schützen und die Opfer zu beschuldigen. Die Justiz allein kann die Wunden nicht heilen, aber sie kann ein Signal setzen.

Häusliche Gewalt ist kein privates Problem. Sie ist ein Spiegel der Gesellschaft, eine Erinnerung daran, dass Gleichberechtigung noch immer ein Ziel ist, das wir nicht erreicht haben. Der Feminismus lehrt uns, hinzusehen, nicht wegzuschauen. Er gibt den Opfern eine Stimme und fordert von uns allen, zuzuhören.

Es gibt keine einfachen Lösungen, aber es gibt einen Weg. Er beginnt damit, dass wir anerkennen, dass häusliche Gewalt nicht unvermeidlich ist. Sie ist gemacht. Und was gemacht ist, kann auch beendet werden. Gemeinsam. Ohne Schweigen. Ohne Ausreden.

Lea-Michelle Rothe ist eine angehende Journalistin aus Köln mit einer Leidenschaft für Kultur und Mode. Ihr Fokus liegt auf authentischen Geschichten und tiefgründigen Analysen, um aktuelle Themen präzise und zugänglich zu vermitteln. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

“Das Bonner Frauenhaus ist telefonisch rund um die Uhr erreichbar: 0228 63 53 69. Wir nehmen alle von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder auf. Nach Ihrem Anruf vereinbaren wir einen Treffpunkt. Von dort werden Sie – und Ihre Kinder – von uns abgeholt. Wichtig ist, dass Sie sich und Ihre Kinder schützen. Rufen Sie in gefährlichen Situationen die Polizei: 110″

Über Lea-Michelle Rothe / Berliner Zeitung:

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