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Erfolg

Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht: Staatstrojaner-Einsatz wird eingeschränkt

Digitalcourage hat erneut Rechtsgeschichte geschrieben: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat heute entschieden, den Einsatz von Staatstrojanern deutlich zu begrenzen. Damit war eine von Digitalcourage initiierte und von zahlreichen Menschen unterstützte Verfassungsbeschwerde erfolgreich – mit weitreichenden Folgen für staatliche Überwachungsbefugnisse.

Das höchste deutsche Gericht hat heute gleich zwei Verfassungsbeschwerden von Digitalcourage entschieden. Die umstrittenen Überwachungsbefugnisse im Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen erklärte das Gericht für grundrechtskonform. Die Klage gegen den Staatstrojaner dagegen hatte Erfolg.

padeluun, Mitbeschwerdeführer, sieht in der Entscheidung einen wichtigen Schritt: „Ich freue mich, dass der Einsatz von Staatstrojanern jetzt eingeschränkt wurde. Das Gesetz wurde in Teilen für nichtig erklärt, der Straftatenkatalog stark begrenzt. Unsere Grundrechte wurden geschärft – und damit gestärkt.“

Eingriff in die Grundrechte in Teilen gestoppt

Der Beschluss zieht eine klare Grenze: Staatstrojaner dürfen künftig nur noch bei besonders schweren Straftaten eingesetzt werden. Für Delikte mit einer Höchstfreiheitsstrafe von bis zu drei Jahren erklärte das Gericht den Einsatz für verfassungswidrig, auch rückwirkend. Darüber hinaus ist die Online-Durchsuchung von Smartphones und Computern teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie darf aber bis zu einer Neuregelung weiter angewendet werden.

Begründet wird die Entscheidung mit der Schwere des Eingriffs sowohl in das Post- und Fernmeldegeheimnis als auch in das IT-System-Grundrecht. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass es sich beim Einsatz solcher Späh-Software um einen massiven Grundrechtseingriff handelt. „Ausgehend von dem sehr hohen Eingriffsgewicht“, so das Gericht, müsse die Maßnahme auf besonders schwerwiegende Fälle beschränkt bleiben.

Auch Prof. Dr. Frank Braun, einer der beiden Prozessbevollmächtigten der Beschwerde gegen den Staatstrojaner, sieht in dem Beschluss eine Klarstellung mit Signalwirkung: „Konsequent wurden entsprechende Vorschriften für verfassungswidrig erklärt und neue klare Maßgaben zur Beurteilung der Schwere von Straftaten verbindlich festgelegt.“ Damit wird gewährleistet, „dass IT-Systeme nur noch beim Verdacht wirklich schwerwiegender Delikte von staatlichen Ermittlern gekapert werden. Und auch wird verhindert, dass uns der Gesetzgeber künftig weiterhin ‚Alltagskriminalität‘ als ‚schwere Straftaten‘ verkauft und eingriffsermächtigende Straftatenkataloge durch die gesetzgeberische Hintertür stetig ausweitet, wie dies seit Jahren zu beobachten ist.“

Eine zukunftsweisende Entscheidung

Der zweite Prozessbevollmächtigte, Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp, bezeichnet den Beschluss als wichtigen Teilerfolg: „Das heimliche Auslesen von Smartphone und Co. ist ein heftiger Eingriff in Grundrechte. Die vom BVerfG vorgenommenen Einschränkungen sind richtig und wichtig.“

Rena Tangens, politische Geschäftsführerin von Digitalcourage und ebenfalls Beschwerdeführerin, freut sich über den Erfolg, merkt aber an: „Ein zentraler Kritikpunkt bleibt: Das Gericht hat sich nicht mit der grundsätzlichen Problematik von Staatstrojanern befasst. Denn um Staatstrojaner einzusetzen, müssen Sicherheitslücken ausgenutzt werden – und diese Schwachstellen gefährden die IT-Sicherheit von uns allen. Statt diese zu melden und zu schließen, hält der Staat sie offen, um sie selbst zu nutzen.“ Der Nutzen von Staatstrojanern ist sehr begrenzt, das Risiko jedoch enorm. Durch solche Schwachstellen sind Angriffe auf unsere Endgeräte oder kritische Infrastrukturen möglich. Ein Staat, der Sicherheit für seine Bürgerinnen und Bürger will, muss solche Sicherheitslücken den Herstellern melden, damit sie geschlossen werden.

Trotzdem gibt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Anlass zur Freude, denn die Entscheidung wird unmittelbare Auswirkungen auch auf laufende Gesetzgebungsverfahren haben. Der aktuelle Entwurf für ein neues Bundespolizeigesetz sieht etwa vor, dass Personen präventiv mit Staatstrojanern überwacht werden dürfen, um Gefahren abzuwehren – auch wenn „noch kein Tatverdacht begründet ist“. Die heutigen Vorgaben des Gerichts stehen dem klar entgegen. Digitalcourage wird das weiter wachsam beobachten. „Wenn die Politik aus der heutigen Entscheidung nicht lernt und weiter Gesetze beschließt, die nicht verfassungskonform sind, wird Digitalcourage wieder vor Gericht ziehen. Wer unsere Freiheit angreift, muss mit Widerstand rechnen“, erklärt Rena Tangens.

Digitalcourage engagiert sich seit 1987 für Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter. Wir sind technikaffin; doch wir wehren uns dagegen, dass unsere Demokratie „verdatet und verkauft“ wird. Wir klären auf und mischen uns in Politik ein. Seit 2000 verleiht Digitalcourage jährlich die BigBrotherAwards. Digitalcourage ist gemeinnützig, finanziert sich durch Fördermitgliedschaften und private Spenden und lebt durch die Arbeit vieler Freiwilliger.

Über Digitalcourage:

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Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    Martin Böttger

    In Frankreich wurde auch gewonnen:
    https://taz.de/Nach-Protesten-in-Frankreich/!6105771/
    Doch was sagt es über die Qualität der Gesetzgebung, wenn Verfassungsgerichte die Notbremse ziehen müssen? Darum auch die Agressivität der Rechten bei der Richterinnennominierung.

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