Birgit Schönau ist eine Italien-Korrespondentin, von der ich mir wünschen würde, dass mehr Politikredaktionen als nur das Studienräteblatt Die Zeit sie mit Schreibaufträgen eindecken. Weil sie schon so lange dort lebt, sich als Deutsche in Italien gut integriert hat, gelingen ihr die am wenigsten oberflächlichen Reportagen und Analysen. Seit dem Tod von Werner Raith ist sie die beste deutsche Korrespondentin im südlichsten Stadtteil von Köln. Aktuell gelingt ihr mit einer Bestandsaufnahme des italienischen Vereinsfussballs gleichzeitig eine geopolitische ökonomische Analyse, wie das chinesische Businesskapital sich Eingang in mittel- und vielleicht auch langfristig Sonderrenditen versprechende kapitalistische Branchen verschafft. Und wie unideologisch und wenig zimperlich es dabei zugeht. Ökonomisch klug von der chinesischen Seite ist, dass sie sich als Zielgebiet Bereiche mit günstigen Einkaufspreisen ausgesucht hat, nämlich die sportlich seit einiger Zeit heruntergewirtschafteten aber über eine große globale Anhängerschaft verfügenden Mailänder Klubs, und nicht die überhitzte Premier League oder die Bundesliga. In Spanien sind nicht die überteuerten Aushängeschilder Real oder Barca das Ziel, sondern Atletico; in Frankreich ist man am Überraschungsspitzenreiter Nizza beteiligt und dreht den arabischen (PSG) und russischen (Monaco) Investoren von oben eine lange Nase.

Der Trick der chinesischen Okonomie-Strategen ist, dass sie als angebliche “Kommunisten” am wenigsten ideologisch vernagelt sind, sondern streng pragmatisch, nicht kurzfristig effekthascherisch, sondern mittel- und langfristig strategisch denken. Als möglicherweise Immer-noch-Marxisten verstehen sie mehr von kapitalistischen Gesetzmässigkeiten, als ihre oftmals kolonial, rassistisch und ideologisch vernagelten Konkurrenten in Nordamerika und Europa. Ihre Zugänge in Südamerika und Afrika sind längst gelegt, dort und in Zentral-Eurasien ist es China, das in moderne Infrastrukturen investiert, statt in ökonomisch und sozial widersinnige Militäroperationen. Das ist effiziente Herrschafts- und Profitsicherung.

Im Gegensatz zu den Marktwirtschaftsideologen in Deutschland, USA, bei IWF und Weltbank vergisst man auch die Ankurbelung der Inlandsnachfrage nicht. Auf aus unserer Perspektive wundersame Weise hat man so bisher jeglichen Crash der permanenten chinesischen Wachstumsökonomie vermieden, so dass unsere Medien uns Wachstumsraten von über 6% bereits als “Krise” weismachen müssen.
Die Schürfung von Datengold, dem Öl der Zukunft, wird auf dem größten Markt der Welt streng nationalisiert. Für die Bürgerrechte und Datenschutz bleibt das gleich schlecht. Denn in Kontrollwut, Paranoia und Verlustangst sind die Herrschenden aller Länder sich sehr ähnlich. Apple, Google, Facebook, Microsoft u.a. versuchen zwar bei den chinesischen Kommunisten unter der Türritze durchzukriechen und den Fußboden mit der Zunge eigenhändig sauberzulecken, aber China will einfach im Gegensatz zu Europa keine Datenkolonie Kaliforniens werden. Ich wette, dieses “Problem” war das Hauptthema beim Treffen der kalifornischen Weltverbesserungsmilliardäre mit dem zukünftigen Präsi Trump.

Die tatsächliche Krise Chinas besteht, neben den wie überall auf der Welt radikal wachsenden sozialen Unterschieden, in Überhitzung, und zwar sowohl ökonomisch als auch buchstäblich. Dem chinesischen Immobilienmarkt möchte man aus unserer Erfahrungswelt heraus nicht in der Hölle begegnen. Und den dortigen Auswirkungen des Klimawandels, der Umweltverschhmutzung und anderer ökologische Katastrophen, auch nicht. Bemerkenswert, gerade auch im Vergleich zu den hiesigen Dösbaddeln allerdings, dass die chinesische Führung, die weit davon entfernt ist, demokratisch legitimiert zu sein, die Probleme immerhin erkannt hat und radikal umzusteuern versucht: Kohlekraftwerke und -bergbau werden dichtgemacht, in der E-Mobilität wird die weltweite Führung übernommen, der Markt der erneuerbaren Energien ist schon so gut wie erobert.

Die aktuelle Umweltverschmutzung in weiten Regionen Chinas geht den Menschen in einer Weise auf die Gesundheit und die Nerven, dass sie ein ernsthafterer revolutionärer Faktor werden könnte, als irgendwelche kulturell-subversive Westpropaganda. Das wissen die “Kommunisten” ganz genau und jetzt wird sich bald entscheiden, ob sie schneller handeln und umsteuern können, als es sonst die Geschichte mit ihnen machen wird.

Das wird die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden: wenn eine atomare Großmacht in einen Abstiegsstrudel gerät.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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