Das Innenministerium eines Landes ist mehr als die Verteilstelle für kommunale Gelder. In Nordrhein-Westfalen ist der Innenminister der Minister, der über die Einhaltung der Verfassung wacht – anders als im Bund, wo diese Aufgabe der Justizminister wahrnimmt – das Innenministerium prüft nicht nur Gesetze der anderen Ressorts auf Verfassungskonformität, es ist auch Schlüsselressort für die Bürgerrechte. Datenschutz zum Beispiel und alle damit in Verbindung stehenden Zukunftsfragen wie die Sicherheit der Daten vor privaten Konzerninteressen, seien es Google, Facebook oder nationale Datenkraken. Hier ist Innovation und Sensibilität gefragt. Es sollte über die Ausstattung den Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit unterstützen, dessen Kompetenzen stärken und damit die Bürgerrechte gegenüber Datenklau der Privatwirtschaft besser ausstatten.

Bei der Umsetzung des IT-Sicherheitsgesetzes gilt es, an die hunderttausend Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes und der Kommunen zu schulen und für Datensicherheit und Datenschutz zu sensibilisieren. Die Verwaltung 4.0 könnte sonst ein Reinfall werden.
Informationsfreiheit und Transparenz zum Beispiel – über bessere Information der Bürgerinnen und Bürger, die – Stichwort Open Data – leichter Zugang zum transparenten Staat finden sollten, um diesen demokratisch zu kontrollieren. IT-Sicherheit der Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage etwa. Kleine und mittelständische Unternehmen werden nämlich immer häufiger von China oder Russland, dem Iran oder anderen elektronisch ausgespäht.

Humane Integrations- und Asylpolitik zum Beispiel, Altfall-Lösungen, Härtefallkommission, aber auch die Frage der Einstellung von mehr Migranten in die Polizei.
Gewaltprävention in sozialen Brennpunkten, Schutz und Probleme der Polizei, wenn sie in als “Feuerwehr” in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil eingreifen müssen.
Die seit Jahren in Dortmund offen agierende Szene von Neonazis, die Bürger am helllichten Tag einschüchtern und bedrohen, die immer wieder mit Übergriffen und Straftaten in Erscheinung treten, schafft dieser Innenminister nicht zu verschlagen oder wenigstens wirksam an ihrem Treiben zu hindern.

All diese Themen sind in der öffentlich wahrgenommenen Politik des NRW-Innenministeriums Fehlanzeige. Warum ist das so? NRW blickt in seiner Geschichte auf eine Reihe profilierter Innenminister zurück. F.D.P.- Innenminister Dr. Burkhard Hirsch drückte in den Siebziger Jahren durch seine weitgehend liberale Bürgerrechtspolitik – mit Ausnahme der Berufsverbote, bei denen er sich stur stellte – einen Stempel auf. Er war gegen ausufernde Sicherheitsgesetze des “Deutschen Herbst” und aus Sicherheits- und verfassungspolitischen Gründen gegen den “Schnellen Brüter” in Kalkar und riskierte einen Konflikt mit der Atomlobby und dem Koalitionspartner SPD. Aus heutiger Sicht mit Weitblick.
Sein Nachfolger der SPD, Dr. Herbert Schnoor setzte eine liberale und bürgerrechtlich orientierte Innenpolitik fort. Er unterstützte die “Deeskalationsstrategie” bei Demonstrationen und führte offene und bürgerfreundliche Kommunikation als Prinzip vor allen anderen Bundesländern in der NRW-Polizei ein. NRW war eines der ersten Bundesländer, in denen Frauen im Polizeidienst Karriere machen konnten. Er praktizierte eine liberale Migrationspolitik und leistete lange Widerstand gegen die Aushöhlung des Asylrechts, bevor er in sozialdemokratischer Parteisolidarität auf den Kurs der Parteispitze, das Asylrecht gemeinsam mit der CDU auszuhöhlen, einschwenkte.

Man muss nicht unbedingt Jurist sein. Franz-Josef Kniola war kein Jurist, aber er verstand es in der Koalition mit den Grünen, auch lange Jahre an bestimmte Gepflogenheiten gewöhnte Beamte mit Nachdruck daran zu erinnern, dass es jetzt einen Koalitionsvertrag über eine liberale Polizei- Datenschutz- und Migrationspolitik gab, die der Koalitionspartner mitbestimmte. Auch dies geschah mit Augenmaß und Rechtsstaatlichkeit. Die Kompetenzen und Stellen der Landesbeauftragten für den Datenschutz wurden ausgebaut und die zweigeteilte Laufbahn bei der Polizei eingeführt.
Im Gegenteil: Juristen, die keine Sensibilität für Verfassungsfragen aufbringen, wie Wolfgang Clement, können Verfassungsverstöße begehen, wie die Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium, die vom Verfassungsgericht aufgehoben wurde. Von da an ging es allerdings bergab – Innenminister Wolf FDP peitschte noch vor dem “Bundestrojaner” den NRW-Trojaner durch und wurde vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen.

Eine für Bürgerrechts- und Verfassungsfragen sensible Innenpolitik sind dem amtierenden Innenminister Ralf Jäger scheinbar fremd. Kein Ruhmesblatt war, was ihm seine Polizeiabteilung zum Love-Parade-Desaster geliefert hat. Jäger schaffte öffentlichkeitswirksam Streifenwagen an, in deren Fonds man allerdings keinen Festgenommenen über 1,75 m Größe unterbringen kann. Seine Hand im Zusammenhang mit den Kölner Übergriffen an Silvester war denkbar unglücklich. Anstatt für eine schnelle und koordinierte Aufklärung der Geschehnisse zu sorgen, geriet die Kommunikation intern zum Desaster und mit der schnellen Entlassung des Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers versuchte Jäger, sich von der Mitverantwortung zu distanzieren. Trotzdem ist es ihm bisher nicht gelungen, sich von der Mitverantwortung für den bis heute undurchschaubaren Vorlauf der Veranstaltung sowie für offensichtlich gewordene Fehleinschätzungen im Umgang mit dem Phänomen der massenhaften Alltagskriminalität illegaler Einwanderer abzusetzen.

Anstatt eine vernünftige Lageanalyse zu liefern und zielgerichtete Maßnahmen wie etwa die seit Jahren überfällige Einstellung von mehr Polizisten und Polizistinnen mit Migrationshintergrund engagiert anzugehen, um mehr Polizei in den öffentlichen Raum zu bringen, die das Sicherheitsgefühl der Bürger stärken, produziert man jede Menge heiße Luft.
Jäger beschränkt sich darauf, stattdessen vor allem Stärke durch Symbolhandlungen zu demonstrieren. Er weiht mit großem Tamtam die nun eingeführte zweite Maschinenpistole in jedem Streifenwagen und die Verteilung neuer schusssichere Westen für die Polizei ein. Er will in Köln großflächig mit Videoüberwachung Sicherheit schaffen – wohl wissend, dass Videoüberwachung nur dann einen Sinn hat, wenn es auch 24 Stunden besetzte Zentralen gibt, die Einsatzkräfte blitzartig schnell vor Ort schicken können. Er bleibt stumm, wenn Bundesinnenminister de Maizière wieder einmal Unmögliches verspricht, nämlich dass man mit biometrischer Gesichtserkennung in Ballungsräumen wie dem Kölner Bahnhofsvorplatz oder in öffentlichen Gebäuden Verdächtige identifizieren könne – die Technik ist noch lange nicht so weit, biometrische Gesichtserkennung hat selbst beim frontalen Gesichtsbild am Flughafen-Terminal nur eine Trefferquote von 80% – bei beweglichen Menschenmassen am Bahnhof völlig ungeeignet, ein politisches Placebo. Aber auch dem Koalitionspartner Grüne scheint das nicht sehr aufzufallen.

Jäger macht sich sofort als Partner anheischig, wenn Ursula von der Leyen in der Sommerpause verfassungsrechtlich äußerst fragwürdige Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der Terrorbekämpfung ausprobieren will – NRW ist vorn mit dabei, egal, ob so etwas sicherheitspolitisch überhaupt tauglich ist. Soldaten verstehen eben weder etwas vom Grundsatz ver Verhältnismäßigkeit, noch den Grenzen der Anwendung unmittelbaren Zwangs. Von verfassungsrechtlichem Innehalten, geschweige denn Nachdenken des NRW-Verfassungsministers keine Spur.

Sein neuester politischer Coup ist die Absicht, monatlich die Kriminalstatistik zu veröffentlichen, nachdem er bereits eine Art “Tageswohnungseinbruchs-Monitor” ins Internet gestellt hat. Bei beidem fragt man sich allerdings, was das bitteschön an Sicherheit für die Menschen, die in NRW leben, bringen soll. Wenn ich weiß, dass ich in einer Region lebe, in der neulich vermehrt Wohnungseinbrüche stattgefunden haben, werde ich zunächst einmal verunsichert, schlimmstenfalls verängstigt und vielleicht animiert, mir eine neue Haustür anzuschaffen oder Sicherheitsschlösser an den Fenstern anzubringen. Ob das nützt, ist zweifelhaft und damit ist noch kein einziger Polizist mehr auf der Straße. Im Gegenteil, sie müssen noch mehr Formulare ausfüllen und ihre Vorgesetzten Statistiken führen und interpretieren, anstatt gegen Straftäter tätig zu werden.

Wenn statt einmal im Jahr nun monatlich die Kriminalstatistik veröffentlicht wird, findet nichts statt, außer, dass Ralf Jäger nun monatlich über die Zahlen der angezeigten Straftaten schwadronieren kann. Die Zahl der aufgeklärten Taten wird sich dadurch nicht ändern. Ändern wird sich vor allem das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung, ohne dass die Bedrohung real wächst und ohne dass diese Bevölkerung gesagt bekommt, dass die Kriminalstatistik sowieso nicht viel aussagt, weil es eben nur die Zahlen der angezeigten Straftaten wiedergibt. Wirkliche Aussagen über Kriminalität erlaubt nur die Verurteiltenstatistik der Gerichte, Hier erfährt der Bürger etwas über die wirkliche Kriminalität und Bedrohung der Gesellschaft und manche Panikmache erweist sich dann als Vorurteil und nichts als politische Effekthascherei. Dies ist vor allem der Stoff, aus dem die Schwarzmalereien und Hetzreden der AfD und anderer Populisten gespeist werden. Herr Gauland und Frau Petry werden sich bei ihm nicht einmal dafür bedanken. Diese Erkenntnis scheint bei Ralf Jäger allerdings noch nicht angekommen zu sein.

Dafür stellt er allen Bürgerinnen und Bürger die Katastrophenschutz-App NINA vor, die alle Interessierten jederzeit über kleine und große Katastrophen auf dem Laufenden hält. Sie gehört zum selben zweifelhaften Paket von Katastrophenschutzvorsorge, das der Bund ausgeklügelt hat und scheibchenweise, wie auch die Anleitung zum Hamstern vor einigen Tagen, unter die Menschen bringt. Sie hat mit Terrorismus nichts zu tun, reiht sich aber leider ein in die verschiedensten Panikmeldungen der letzten Wochen. Außer Panikmache also nix gewesen – aber diese Form der Symbolpolitik ist syptomatisch für einen Innenminister, der nicht nur nichts von öffentlicher Sicherheit versteht, seine Rolle als Hüter der Rechtsstaatlichkeit und Verfassung verweigert und nicht ausfüllen will, weil er das Amt ohnehin lediglich als Durchlauferhitzer für eine Karriere als Nachfolger von Hannelore Kraft betrachtet.

Wäre da nicht als einiger Lichtblick ein kluger und weitsichtiger Chef des NRW-Verfassungsschutzes, der früher als andere die Salafisten und Terrorismus-Gefährdeten in den Blick genommen hätte und der mit den Präventions- und Aussteigerprogrammen für Islamisten landauf landab beispielhafte Initiativen gestartet hat, NRW wäre innenpolitisch das Schlusslicht aller Bundesländer. Und hätten sich nicht Einrichtungen wie die Konsumräume für Drogenkranke und von Polizei und Sozialarbeit gemeinsam betriebene Stellen wie die Bonner “GABI” bewährt, es gäbe noch viel mehr Baustellen im Innenministerium, auf denen die Arbeit ruht. Auch die aktuelle Diskussion, wie integriert Moscheen in die Kommunen sind, in denen sie stehen, wäre das Arbeitsfeld für einen Minister für Inneres und Kommunales. Stimmt es, dass “DITIB” die offiziellen Positionen des türkischen Religionsministeriums und damit im Sinne Erdogans indoktriniert? Dialog in den Kommunen zu organisieren, gemeinsam mit Fachleuten, sie sich auch um die “Aussteigerprogramme” kümmern und vor allem Prävention – das wäre ein Thema fürs Innenministerium.

Ebenso wie mehr Ordnungspartnerschaften zwischen Polizei und Kommunalen Ordnungsämtern, die Reaktivierung oder neue Einführung kriminalpräventiver Räte auf Initiative der Polizei in den Kommunen zum koordinierten sicherheitspolitischen Handeln. Das wären Maßnahmen, um sowohl die Besorgnisse der Bürger aufzunehmen und real die richtigen Schritte, wie den Rückgewinn des öffentlichen Raumes und die Vermeidung von Angstzonen gemeinsam mit den Kommunen zügig und effizient anzugehen. Auch hier Fehlanzeige.

Auch andere Bereiche müssten neue Wege denken und gehen. Wenn illegaler Drogenhandel, der Schwarzmarkt für Handys und illegale Beschäftigung und Vermietung von rechtlosen illegalen Einwanderern weiterhin wichtige Quellen der Alltagskriminalität bilden und teilweise auch zum Rückgrat der organisierten Kriminalität geworden sind, muss die Frage der Entkriminalisierung von Drogen wieder auf die Tagesordnung, denn nirgendwo sonst könnte ein illegaler Markt durch legalisierte Abgabe in Apotheken so kontrolliert trocken gelegt und viele Polizisten für andere Aufgaben frei werden. Aber Ideen und neue Impulse scheint es wohl auf absehbare Zeit in der NRW-Innenpolitik nicht geben. Mit einem “Weiter so” wird sich die SPD nicht von der AfD absetzen, sondern deren Angstmasche eher befördern.

Innenminister zu sein, erfordert eben ein Mindestmaß an Interesse und Leidenschaft für die öffentliche Sicherheit und mehr als die Verwaltung eines lange gut geführten Hauses. Das Amt darf nicht den Ruf eines Panikministeriums bekommen. Wenn Ralf Jäger einmal dieses Ministerium verlässt, wird er möglicherweise den Preis für den inhaltlich leidenschaftslosesten Amtschef der Geschichte mit den meisten Panikwarnungen in vielen öffentlichen Auftritten erarbeitet haben. Für eine SPD, die ohnehin ihren Standpunkt sucht und verunsichert ist, gibt er damit keine Orientierung.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net