von Bettina Gaus
Schon vor dem Wahlausgang steht fest: Völkische werden im Parlament sitzen und das rot-rot-grüne Lager ist eine Illusion.
Die gute Nachricht zuerst. Jetzt ist der Wahlkampf wirklich fast vorbei. Endlich. „Bedeutungslos“ ist noch die freundlichste Bezeichnung, die ihn charakterisiert. Für die vorhersehbaren Ergebnisse der Bundestagswahl gilt das jedoch nicht.
Sie läuten in mehrfacher Hinsicht eine Zeitenwende ein – so paradox das zu sein scheint angesichts dessen, dass alle Spekulationen über einen möglichen Wechsel im Kanzleramt bestenfalls albern genannt werden können.
Das erste folgenschwere Ergebnis der Wahlen, das den meisten sofort einfällt: Erstmals seit der Frühzeit der Bundesrepublik werden wieder Rechte im Bundestag sitzen. Wenn es ganz schlecht läuft, dann wird die völkisch-nationalistische AfD sogar stärker als Linke, Grüne und FDP.
Aber so deprimierend diese Entwicklung auch ist, es besteht – noch – kein Anlass zur Panik. Rechte, Populisten und Bauernfänger gibt es in nennenswerter Zahl in fast allen parlamentarischen Demokratien. Zehn Prozent, acht Prozent, sogar zwölf Prozent der Stimmen gefährden das System nicht. Sie bedeuten nämlich zugleich, dass etwa 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler den Rechten ihre Stimme eben nicht gegeben haben. Und sie hatten dafür, wie anzunehmen ist, gute Gründe.
Wenn das doch mal jemand den Führungsspitzen demokratischer Parteien und zahlreichen Fernsehleuten so erklären könnte, dass sie es verstehen! Hätten sie nämlich nicht den Wahlkampf über Wochen hinweg vorwiegend mit AfD-Themen bestritten – erst gegen Ende zu änderte sich das allmählich –, dann hätten es die Völkischen nie so weit gebracht.
Soziale Probleme, Bildung, Energiewende, Militärpolitik, die Zukunft der EU: All das und mehr wurde unter „ferner liefen“ abgehandelt. Stattdessen: Flüchtlinge, innere Sicherheit, Terrorismus, Kriminalität. Drama. Die AfD hat die politische Klasse vor sich hergetrieben. Warum hat die das mit sich machen lassen?
Es steht zu befürchten: weil sie dem, was die AfD „das Volk“ nennt, nicht traut. Studien belegen, dass rechtspopulistische Ansichten bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein geteilt werden. Das ist wahr und betrüblich. Aber das bedeutet nicht, dass die Bevölkerung insgesamt rechts steht – wie das Wahlergebnis zeigen wird. Oder dass es angebracht wäre, jede Wahlsendung in einen Volkshochschulkurs zu verwandeln.
Herablassung und Misstrauen gegenüber der sogenannten schweigenden Mehrheit beherrschten lange Zeit hindurch den Wahlkampf. Und hätten nicht Teile dieser Mehrheit irgendwann nicht mehr geschwiegen, sondern vernünftige Fragen in Fernsehsendungen gestellt, dann wäre wohl überhaupt nicht über das geredet worden, was weite Teile der Bevölkerung beschäftigt. Den Pflegenotstand, um nur ein Beispiel zu nennen.
Der Verlauf des Wahlkampfs war ein Armutszeugnis für viele Spitzenpolitiker und Starjournalisten. Dieses Ergebnis steht unabhängig vom Ausgang der Wahlen fest.
Die Unmöglichkeit von Rot-Rot-Grün
Es gibt noch ein weiteres Ergebnis der Bundestagswahl, das feststeht und langfristig weitreichende Folgen haben wird. Die bei Linken, Grünen und sogar in der SPD weit verbreitete Überzeugung, „eigentlich“ stehe man doch auf derselben Seite und gehöre zum selben „Lager“, hat sich endgültig als Illusion erwiesen.
Selbst wenn – und das grenzte an ein Wunder – rechnerisch erneut eine rot-rot-grüne Mehrheit möglich wäre, wird es dennoch unter keinen Umständen zur Bildung einer entsprechenden Koalition kommen. Keiner der drei Partner wünscht nämlich ein solches Bündnis. Stimmen, die im Hinblick auf entsprechende Hoffnungen abgegeben werden, wurden und werden stets gern genommen. Grundsatzdiskussionen, woran eine rot-rot-grüne Koalition scheitert, finden jedoch nicht statt.
Wer trägt die Schuld daran, dass es niemals zu einem solchen Bündnis auf Bundesebene gekommen ist? Alle Beteiligten. Die Grünen mögen ihren bürgerlich-konservativen Realo-Flügel umso lieber, je länger es sie gibt, und sie wollen ihn nicht verprellen. Mit einer Ausgrenzung der Linken in ihrer Partei hatten und haben sie mehrheitlich weniger Probleme. Es ist an der Zeit, sich von der Vorstellung zu verabschieden, die Grünen hätten irgend etwas mit „linker“ Politik zu tun.
Die SPD wird ihr Trauma, sie sei allzu nachgiebig gegenüber linken Positionen, wohl nie mehr loswerden. Sie orientiert sich seit Jahren dahin, wo sie die Mitte vermutet und wo ihrer festen Überzeugung nach allein Wahlen gewonnen werden können. Dass sie dennoch Wahl um Wahl verliert, ist ihr gänzlich unbegreiflich. Lernfähigkeit ist eben nicht allen gegeben.
Und die Linkspartei? Ach ja, die Linke. Sie war es vor allem, die über Jahre hinweg verhindert hat, dass sich die rechnerische Mehrheit für eine linke Koalition in Deutschland in konkrete Politik hätte umsetzen lassen.
Alle politischen Gruppierungen müssen die Gratwanderung bewältigen, einerseits Kompromisse einzugehen und andererseits nicht von den eigenen Leuten als Verräter gebrandmarkt zu werden. Für die Linkspartei war und ist der Stolperstein das Thema Sicherheitspolitik.
Konsequent, aber unpolitisch
Spätestens seit die Grünen 1999, gerade erstmals auf Bundesebene in Regierungsverantwortung, dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien zugestimmt hatten, stand für die Linke fest: Niemals und unter keinen Umständen würde sie im Hinblick auf friedenspolitische Ziele wanken und weichen. Diese Chance, sich als redliche Alternative zu den opportunistischen Grünen zu präsentieren, wollte sie sich nicht entgehen lassen.
Verständlich. Aber in dieser Form auch rational? Die Linke lehnt alle Auslandseinsätze der Bundeswehr, auch solche mit UN-Mandat, ab und fordert den vollständigen Abzug der Bundeswehr aus allen Einsatzgebieten.
Das ist konsequent, ohne Frage. Und erschütternd unpolitisch. Es schafft keineswegs all jenen, die sich für das Thema interessieren und gegen die Militarisierung von Außenpolitik sind, eine neue Heimat. Im Gegenteil.
Was genau spricht eigentlich gegen den Einsatz der Bundeswehr in Mali, der auf Bitte der malischen Regierung, im Rahmen der EU und auf Grundlage von UN-Resolutionen erfolgt? Wäre es nicht sinnvoll, den Unterschied zwischen dem Angriff auf Jugoslawien 1999 und der Beteiligung an dem Einsatz in Mali zu definieren? Diese Mühe spart sich die Linkspartei. Und mit dieser starren Haltung erspart sie es zugleich SPD und Grünen, ihre jeweiligen sicherheitspolitischen Zukunftsvorstellungen definieren zu müssen. Das ist bedauerlich.
Die Linke ist eine erstaunliche Partei. Auf Landesebene regiert sie gern und auch oft erfolgreich, auf Bundesebene stellt sie Bedingungen, von denen sie weiß, dass sie unerfüllbar sind. Das gibt es selten: eine Partei, die gar nicht wirklich die Schalthebel der Macht bedienen will. Fürchtet sie um ihre Existenz? Glaubt sie, dass sie nur im geschützten Raum der Landesebene überleben kann?
Inzwischen ist das auch schon fast egal. Denn die Chance auf Rot-Rot-Grün, jahrelang vertan, wird es künftig und auf lange Sicht nicht einmal mehr theoretisch geben. Welche Möglichkeiten bleiben? Jamaika, Große Koalition und – ja, vielleicht – Schwarz-Gelb.
Europa? Hat die SPD schon mal gehört
Über Schwarz-Gelb muss man nicht lange reden. Union und FDP dürften sich schnell auf einen Koalitionsvertrag verständigen. Pech für das Prekariat, für Familien, für arme Kinder, für arme Alte, für Leute, die auf die Bildungsinitiative der SPD gehofft hatten.
Jamaika? Umweltpolitik würde dank der Grünen in einem solchen Bündnis an Bedeutung gewinnen, vielleicht gäbe es sogar Hoffnung auf Wachsamkeit im Hinblick auf die Verletzung von Bürgerrechten. Falls sich die FDP in einem lichten Moment auf ihre eigene Vergangenheit besinnt. Was – leider, leider – völlig unter den Tisch fallen würde: die soziale Frage. Wer gut und gerne hierzulande lebt, dem oder der kann’s egal sein. Und die anderen sind dann eben den Regierenden egal.
Große Koalition. Warum ist die SPD so unbeliebt, warum war der Hype um den neuen Kanzlerkandidaten Martin Schulz so kurzlebig? Weil all das, was er als Qualifikation hätte einbringen können, sorgfältig versteckt worden ist, ebenso wie sein Wunschthema. Die soziale Gerechtigkeit.
Kann man einen Wahlkampf noch weniger professionell führen, als die SPD das getan hat? Es gibt einige Themen, von denen Martin Schulz wirklich etwas versteht. Von Europa beispielsweise. Und was geschah? Der SPD-Kanzlerkandidat hat sich als ehemaliger Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Würselen präsentiert.
Warum wohl. Weil die SPD nicht ernsthaft glaubt, dass das Thema Europa wahlentscheidend sein könnte. Geht ja auch um nichts. Allenfalls um einen Marsch nach rechts – Ungarn, Polen –, um die Bedingungen für den Zusammenhalt – Brexit –, um eine mögliche neue Finanzkrise und die Reaktion darauf, um europäische Außenpolitik im Zeitalter von Trump und Putin. Wer einen Kenner der Materie zum Spitzenkandidaten kürt und seine Expertise dann nicht nutzt, hat jede Niederlage verdient.
Eine letzte Bemerkung: Dieser Text ist ohne die Erwähnung von Angela Merkel ausgekommen. Ist das jemandem aufgefallen? Wurde sie vermisst? Falls nein: Es gibt kaum einen besseren Nachweis für die Beliebigkeit der politischen Haltung der Kanzlerin. Was auch immer geschieht – sie wird sich schon anpassen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.
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