In den USA gehört es schon zum Allgemeinwissen, und auch wir haben frühzeitig mit Hilfe der Otto-Brenner-Stiftung auf ähnliche Konstellationen hierzulande hingewiesen. Die politische Satire ist zur Einwechselspielerin für geschwächten und ermüdeten Journalismus geworden. Bei beiden stellt sich immer akuter die Frage: mit welchen Folgen?
Die jüngste heute-show war ein gutes Beispiel. Ich teile die gefühlsmässige Ablehnung von Extradienst-Gastautor Dieter Bott gegen den demonstrativen politischen Nihilismus von Oliver Welke. Dennoch war das Agendasetting der Redaktion und des Autor*inn*enteams hochpolitisch und auf der Höhe der Zeit: Waffenlieferungen an alle, vor allem in Krisengebiete; industrialisierte Landwirtschaft; Sprachkritik am Berliner Politsprech usw. Dass sie sich innerhalb der SPD-Debatte auf die Seite der GroKo-Gegner*innen schlagen, teile ich nicht, gehört aber zur selbstverständlichen redaktionellen Freiheit.
Politisiert und folgenlos
Doch was passiert beim Zuschauen? Es passiert danach genau: nichts. Der die Zuschauer*in hat Spass und fühlt sich wohl. Endlich wurde es mal ausgesprochen und gezeigt. Dann kann ich ja jetzt – mit besserer Stimmung – weitermachen, mit dem was ich die ganze Zeit mache, jedenfalls nicht: Politik. Zumal ich ja sowieso „keine Zeit“ habe.
Noch deutlicher, wie das Massenmedium funktioniert, trat es beim gleichen Sender bei “Illner” zutage. Alle Gäste spielten exakt die Rolle, die ihrem Geschäftsmodell entspricht und nützt, vor allem die Männer: der Intendant, der Chefredakteur, der Produzent – alle seeehr nachdenklich und ernst. Die Ex-Schauspielerin, die heute selbstständige und geschäftlich erfolgreiche Yoga-Lehrerin sein soll, ebenfalls: Tough, geradeaus, selbstbewusst, hatte sie glasklare Einschätzungen, was ihr damals widerfuhr, und wie heute dazu gehandelt werden müsste.
Talkshow-Rollenspiele
Aus der Rolle fielen Svenja Flasspöhler (Philosophie-Magazin) und Anne Wizorek (#aufschrei), die, obwohl sie politisch Ähnliches wollen, aggressiv aufeinander losgingen, dazwischen sitzend: Bellut, der Intendant. Flasspöhler konstruierte aus #metoo einen Diskurspopanz, der Frauen zu Opfern degradiere, statt ihnen zu mehr Empowerment (Selbstermächtigung) zu verhelfen, brachte sich so aber in die Rolle der “Verharmloserin”, gegen die Wizorek selbstverständlich andiskutieren musste, oder glaubte es zu müssen, weil Flasspöhler rollenstrategisch „die Böse“ gab.
Das Medium und die Moderatorin bekamen so endlich den für den Audience Flow erforderlichen “Zündstoff”, gegen den die in der Alltagswirklichkeit doch gewöhnlich so aggressiven Führungskräftemänner eine rätselhafte Allergie hatten. Das kann, so wie es war, ins aktuelle Programm der Stunksitzung integriert werden (oder der heute-show, extra3, Neomagazin royale – egal).
Und dem Boss hat wieder keine*r was gesagt?
Insbesondere ist dem Boss des Einschaltquotenmarktführers ZDF Thomas Bellut, der in seiner zehnjährigen Amtszeit als Fernsehdirektor den “charismatischen” Dieter Wedel kennenlernte, kaum abzukaufen – oder ein sehr schlechtes Arbeitszeugnis – dass er damals von nichts gewusst und nichts gemerkt hat. Und alles jetzt “rückhaltlos aufgeklärt” werden muss. Drei Wedel-Projekte wurden in Belluts Direktoren-Amtszeit realisiert. Wieviele Sinne musste er bei seiner Führungskraftarbeit denn da abstellen?
In der Livesendung traute sich kein Mann und keine Frau, daran Zweifel zu artikulieren.
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