Warnhinweis: der folgende Text verschlechtert Ihre Stimmung. Als Ausweichroute empfehle ich Ihnen die taz-Kolumne des großen Philosophen Küppersbusch.
Putins Wahl war nicht so demokratisch, “wie wir es kennen” hörte ich den Aussenminister eben sagen. “Von einem fairen politischen Wettbewerb” könne “nicht in allen Punkten die Rede sein”. Manche beklagten gar, Putin habe die Wahl mit “Propaganda beeinflusst” – boah, in Russland jetzt auch? Dass Politiker*innen Wahlen beeinflussen, das “kennen wir” jetzt so nicht, oder? Ich zweifle nicht, dass in Russland einiges faul ist, auch an seinen Wahlen. Aber alle Russland-Kritker*innen sollten sich auch mal um unsere EU- und Nato-Freund*innen in Spanien kümmern. Dort, hatte ich den Eindruck, kommen Wahlfavorit*inn*en, wenn sie katalanisch sind, vorsorglich in den Knast; manche flohen in andere EU-Länder ins Exil, Fluchtursachen made in Espana. „In allen Punkten“ freie Wahlen?

In Russland kann es mit dem Rechtsstaat nicht viel schlimmer sein als bei uns. Denn was zwischen manchen Bundesländern besonders schlecht klappt, mit Russland funktionert es super: z.B. der Datenaustausch über Fußballfans.

Und arbeiten “wir” nicht in Syrien vorzüglich zusammen? Erdogan und Assad teilen es sich militärisch auf, der eine mit “unserer”, der andere mit russischer Unterstützung. Die produzieren Flüchtlingselend, wir bezahlen sie dafür, dass sie es bei sich behalten. Sie kaufen “unsere” Waffen bei “unserer” Exportindustrie. Und produzieren so neuen Terrorismus. Massenmord und -totschlag, und “wir” machen fleissig mit – betäuben uns aber mit Placebo-Diskussionen (Heimat, Islam, Spahn), als wenn es uns nichts anginge.

Trump will jetzt, ganz wie sein scheinbares Vorbild Duterte, der das schon praktiziert, die Todesstrafe für Drogenhändler. Seine Wähler*innen bringen sich gerade massenweise selbst um, mit Medikamenten. Ich glaube nicht, dass es fünf Jahre dauert, bis das hier ankommt. Ja, die “Normalen” sind das Problem.

Ein weiser, heute fast vergessener Mann hat vor einigen Monaten noch vor den Gefahren der “asymmetrischen Demobilisierung” für “unsere Demokratie” gewarnt. Hier sehen wir ihre Ergebnisse.

Ich schätze, in unserem Land sind ca. 20-30 % der Bevölkerung von ausgeprägt humanistischer Gesinnung. Viele von ihnen engagieren sich ehrenamtlich, für Flüchtlinge, Demokratie, Menschenrechte. Das aktuelle systemische Problem ist, dass sie keine Repräsentanz mehr im öffentlichen politischen Raum finden. Kein grosses Medium, keine grosse oder mittelgrosse Partei. Manche nehmen pflichtgemäss an Wahlen teil, andere schon lange nicht mehr. Manche leben prekär, anderen geht es materiell gut, mental aber nicht.
Die asymmetrische Demobilisierung ist also erfolgreich, nicht nur bei Wahlen. Das ist jedoch nicht denen vorzuwerfen, die auf diese Weise ihre Herrschaft sichern. Denn es ist ja in deren Interesse. Vorzuwerfen ist das all denen, die es sich gefallen lassen, die zu dumm sind, dazu eine erfolgreiche Gegenstrategie zu entwickeln.
Frage an die SPD und ihre Regierungsmitglieder: für welche Alternative wollt ihr in Zukunft mobilisieren?
Frage an die Grünen: hättet ihr nicht im “Jamaika”-Bündnis, und habt ihr nicht im Bundesrat ganz ähnliche “Deals” gemacht, wie Merkel mit Erdogan?
Frage an die Linke: was wollt ihr über “haben wir doch gleich gesagt” und “auf uns hört ja keine*r” hinaus erreichen?

Sie merken schon: von dort wird die Lösung nicht kommen. Wir müssen selbst handeln. Wenn die 20-30% das tun, werden sie die Mehrheit gewinnen können. Sie wird ihnen aber nicht von alleine folgen, weil das irgendjemand für “selbstverständlich” hält. Streiten wir also, und nehmen wir Einfluss.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net