Die Personalentscheidung der sogenannten Deutschen Bank für Christian Sewing als nächsten Vorstandsvorsitzenden wird in der veröffentlichten Meinung der Börsenschwätzer*innen als Versuch zu mehr deutscher Solidität verkauft. Aber daran ist alles falsch.

Die Bank ist nicht “deutsch” – ihre grössten Aktionäre sind chinesisch und katarisch. Auf der weltweiten Suche nach Rendite haben sie Deutschland für eine gute Adresse gehalten. Und sind jetzt sauer. In deutschen Medien wird an der Legende gestrickt, das unseriöse, das undeutsch-gierige, das unausgesprochen typisch angloamerikanische (oder auch jüdische) Investmentbanking sei schuld am Niedergang der guten Deutschen Bank. Und der neue Chef (aus “Bielefeld“, gibt es das wirklich?) soll eine Rückkehr zu den gute alten Tugenden repräsentieren.
Tatsache ist aber, ganz wie beim deutschen Fußballmarktführer aus dem süddeutschen Raum: andere international Gesuchte wollten nicht. Herr Sewing ist geschätzt siebte oder achte Wahl.

Wichtig für Bonn: 3.500 Postbank-Arbeitsplätze

Für Bonn von Bedeutung: bisher soll er für die “Integration” der einst bundeseigenen Postbank in die Deutsche Bank verantwortlich gewesen sein. Börsenschwätzer*innen bezeichnen das als missraten. Die Postbank hat bundesweit ca. 18.000 Beschäftigte, 3.500 davon am Unternehmenssitz Bonn. Sewing wird als renditeschädlicher Fehler angekreidet, dass er Kündigungsschutzversprechen und seine Zustimmung zum Neubau einer Unternehmenszentrale in Bonn gegeben habe, während die Postbank doch unternehmerisch jetzt von Frankfurt aus geführt werden solle. Wenn die Stadtspitze von Bonn da segensreich Einfluss genommen hat, hat sie es gut geheim gehalten; gemerkt davon habe ich nichts.

Dass kein internationaler Kandidat – Frauen wurden nicht in Betracht gezogen – den Job wollte, und wie schlecht Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionärsvertreter als Repräsentanten der Bank öffentlich dastehen – das ist durchaus repräsentativ für das ganze Land.

Angst und Provinzialität

Die Diskurse, die bei uns die Öffentlichkeit bestimmen, sind von Angst und Provinzialität bestimmt. Wer talentiert und ideenreich ist, zieht hinaus in die Welt. Wir sind ein Zentrum von Reichtum und seiner Verteidigung. Für die Welt da draussen interessieren wir uns nur, wenn es uns noch reicher machen kann. Aus unserer Geschichte lernen wollen wir so wenig wie unsere befreundeten Brit*inn*en und Französinnen und Franzosen. Unsere gewählte politische und Verwaltungsführung kann fast nichts mehr: internationale Diplomatie, internationale Freundschaftsnetzwerke, Entwicklung neuer Industrien und Geschäftskonzepte, Export nicht nur von Waren sondern auch von Kultur, Demokratie, Bürgerrechten, freundschaftliche Aufnahme von Menschen in Not, wie es 33-45 den besten Deutschen überwiegend zuteil wurde – alles woanders als bei uns. Einst waren wir berühmt für unsere funktionierende Sicherheit, Ordnung und Infrastruktur – heute ein Quell der Bereicherung für private Dienstleister*innen und Konzerne aus aller Welt, die unserem Staat eine Aufgabe nach der anderen abnehmen. Meine Generation – ich bin jetzt 61 – ist die letzte, die noch praktisch erlebt, was soziale Sicherheit bedeutet.

Das alles repräsentiert die Deutsche Bank aktuell bis ins Detail, eine verängstigte männerdominierte Defensive. Während bei der Bank wenigstens noch ordentlich abkassiert wird, wird die prekarisierte Politik ratlos an die Frauen weitergegeben – ausser Horst Seehofer natürlich, der für die reaktionäre Marktnische des “früher war alles besser” verantwortlich ist.

Die Welt dreht sich weiter und zieht vorbei

Die Welt da draussen wundert sich, erschrickt auch ein bisschen, und zieht Konsequenzen. Der dumm-reaktionäre Teil der USA hat keinen Bock mehr, die Welt zu beherrschen. Sein schönes grosses Land ist ihm genug. Da sind wir Deutschen ganz anders. Unser Land ist klein. Die Idee mit der Mauer ist sogar von uns. Aber wir wollten immer mehr Raum für unser Volk. Andere haben das nicht vergessen und beobachten uns genau. Und ziehen Konsequenzen: Russland und China sind nicht blöd. Sie sind auch traumatisiert von ihrer Geschichte und nicht auf Wiederholungen aus. Für sie war früher nichts besser als heute. Das ist ungefähr die Stimmung der BRD in den 60er und 70er Jahren.

Beim Streben ihrer politischen Führungen nach Kontrolle über das unberechenbare Volk drohen sie – mit weit fortgeschrittenen revolutionären Technologien – schwere Fehler zu machen, die ihnen die Angst vor ihren Beherrschten nie nehmen sondern sie konservieren werden. Stellen Sie sich nur vor, die Nazis hätten damals den Schritt zur Atombombe vor den Alliierten geschafft – wir Demokrat*inn*en sässen jetzt alle im Gefängnis, alle als Nicht-“Arier*innen” selektierte wären versklavt. Was hätten die Nazis mit heutiger Technologie gemacht?

Anwendungen für mehr Demokratie – in Kontakt bleiben

Wir können die Antwort erahnen und denken. Hier wäre die “Marktlücke” für deutschen Erfinder*innen*geist, für spezifisch europäische Innovationen: die Anwendungen zu erfinden, die uns dafür ausrüsten, sowas für die Zukunft unmöglich zu machen. Nicht wiederholen, nur “besser”; anders, das Gegenteil. Wenn wir es nicht machen, werden es Andere tun. Darum wäre es besser für uns, wir bleiben in Kontakt, und sperren sie nicht aus.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net