Seehofer ist noch Minister, Merkel ist noch Bundeskanzlerin. Das ist nicht selbstverständlich. Er ist CSU-Vorsitzender (6%) und sie CDU-Vorsitzende (30%+). Was er und seine Kumpanen Söder und Dobrindt seit Wochen veranstaltet haben, war nichts anderes als das wiederholte öffentliche Vorführen der Kanzlerin – seit dem CSU-Parteitag 2016. In der Politik – ob regierungsintern oder international – gibt es einen ganz wichtigen Grundsatz: Raube niemals Deinem Gegenüber das Gesicht, denn damit verlierst Du Dein eigenes. Und: nutze niemals eine Position der Stärke gegen jemanden offen aus, denn Du musst immer damit rechnen, dass Du irgendwann in der selben Position der Schwäche sein könntest. Dagegen hat Seehofer verstoßen, indem er Angela Merkel auf seinem Parteitag öffentlich vorführte. Und damit hat er gegen jede Regel der Akzeptanz auf Augenhöhe verstoßen.

Machtspielchen einer autoritären Persönlichkeit

Als Franz-Josef Strauß 1980 die Bundestagswahl verlor, zog sich der nahezu allmächtige CSU-Vorsitzende nach Bayern zurück, obwohl er Kohl für unfähig hielt, Bundeskanzler zu werden. So vermied er eine Konfrontation, die gedroht hätte, wenn er 1982 in ein Kabinett Kohl eingetreten wäre. Es war ein Fehler von Seehofer, nach dem Verlust seines Ministerpräsidentenamts als Innenminister in Merkels Kabinett zu gehen. Denn er glaubt, dort den Verlust seiner Macht im Land kompensieren zu können, indem er Merkel brüskiert. Damit erweist er seinem Bundesland und seiner Partei aus gekränkter Eitelkeit einen Bärendienst. In der Sache ist das, was Seehofer fordert, ohnehin rechts- und verfassungswidrig – es widerspricht der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Dublin-Abkommen. Da mag er noch so viele fachfremde aber erzkonservative Verfassungsjuristen wie Di Fabio aus seiner Seite haben – sie vertreten abwegige Positionen. Darauf kommt es gar nicht an. Seehofer versuchte bis zuletzt nur, “Recht” zu behalten. Recht mit seiner Behauptung, die Kanzlerin habe 2015 die falsche Flüchtlingspolitik gemacht.

Merkel wiederum konnte nicht weichen, weil es Seehofer nicht um die Sache ging. Wer bei 64 Punkten in 63 überein stimmt, über diesen eine Punkt eine Staatskrise produziert, der handelt verantwortungslos. Er will allein Merkel demontieren, aber das funktioniert nicht, weil die Kanzlerin in solchen Kategorien nicht denkt. Er überzieht damit ständig sein Konto, denn Bemerkungen wie “ich unterwerfe mich keiner Kanzlerin, die das nur wegen mir ist” zeigen, wo das Problem liegt: Hier kann ein bajuwarischer Macho und Männerbündler nicht ertragen, dass eine kluge Frau, promovierte Physikerin und jeder Ideologie frei, Kanzlerin, ja, Chefin ist – und die Richtlinienkompetenz hat. Von der eine kluge Koaitionskanzlerin natürlich niemals Gebrauch machen würde. Sie kann Augenhöhe, er kann es nicht, er kann nur Über- oder Unterordnung, er ist eine autoritäre Persönlichkeit.

Seehofer wie eine entsicherte Handgranate

Seehofer hat verkannt, dass den Unionsfraktionen inzwischen die Einheit wichtiger ist, als Personen. Das Spiel, was er spielt, macht nur einen Sinn: Er wollte Merkel erniedrigen. Er zelebriert seit Tagen sein eigenes Ertrinken auf Raten, um sie dabei möglichst tief mit unter Wasser zu ziehen. Das Theater, fragen sich nun alle, kann jederzeit wieder aufbrechen, weil Seehofer sich für mächtiger als die Kanzlerin hält. Das wird sich nicht ändern und das wird sie sich auf Dauer nicht bieten lassen. Seehofer führte Scheingefechte, er läuft dabei Gefahr, die Union zu sprengen, sodass die CSU immer tiefer in Umfragen rutscht und die AfD immer stärker wird. Das wird ihm auf die Füße fallen. Die Wahrheit ist: Er ist persönlich verletzt, seit ihn Söder aus dem Amt gejagt hat, seit er als Landesvorsitzender der CSU sein Gnadenbrot fristet.

Ihm schien auch egal, ob ein Wechsel im Vorsitz der CSU schlecht für die Landtagswahl in Bayern sein könnte. Seehofer ist – wie schon in den 90er Jahren bei der Krankenhausreform und seit 2016 in der Flüchtlingsfrage – wie eine Handgranate, deren Sicherungshebel locker, aber noch nicht abgerissen ist, und die irgendwo herumkullert. Detonation nicht ausgeschlossen. Auch nach der Asyldebatte. Jetzt reden manche über den “Autoritätsverlust” der Kanzlerin – die unterschätzen sie. Ein Bundesminister, der der Kanzlerin “Ultimaten” stellt und von seiner Behörde rechtswidriges Handeln fordert, hat ohnehin nichts anderes verdient, als eine schöne Entlassungsurkunde des Bundespräsidenten. Merkel hat schon immer unangenehme Konkurrenten zu Tode integriert – die dauerhafte Gefahr, die von Seehofer ausgeht, hat sie erkannt und sie wird etwas dagegen tun.

Verlierer sind die Flüchtlinge -SPD nicht vorhanden

Sie ist die Siegerin des üblen Spiels, Verlierer sind Liberalität, Flüchtlinge und Menschenrechte. Denn im Windschatten des Theaters, das die Union aufgeführt hat, sind flüchtlingspolitische Beschlüsse gefallen, die eine Erhöhung der Mauern der Festung Europa darstellen. Denn wer glaubt, dass sogenannte freiwillige Plattformen in Libyen, wo die sogenannte “Küstenwache”, die – ausgerüstet mit Waffen und Booten sowie Geld der EU – mit kriminellen Schlepperbanden und Warlords zusammen arbeitet, die Lösung des Flüchtlingsproblems darstellen, der ist einer Märchenerzählung zum Opfer gefallen. Dass die SPD bei dieser flüchtlingspolitischen Katastrophe mitmacht, ist ein Armutszeugnis und zeigt, dass die Umfragen von 18% für die SPD gerechtfertigt sind.

Lesen Sie ergänzend dazu Matthias Dell im Freitag: warum unsere Ignoranz gegenüber Opfern rechter Gewalt Politik und Medien nach rechts treibt.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net