von Prof. Bernd Gäbler
Impuls-Referat, OBS-Tagung, Berlin 19.11.2018

Kurzfassung (Es gilt das gesprochene Wort)

Die AfD ist rechts, nationalistisch und populistisch. Daraus ergibt sich ihr Verhältnis zu den Medien.
Wer von sich selbst behauptet: Wir – und nur wir (!) – sind das Volk. Wir sind seine authentische Stimme. Ihm gegenüber steht eine selbstsüchtige, korrupte Elite, der wir die Macht entreißen wollen, dem sind alle „intermediären Instanzen“ der Gesellschaft ein Dorn im Auge.
Nach dieser Logik sind alle redaktionell geführten Medien, die auswählen und erklären wollen, manipulativ, elitär, korrupt oder staatlich gesteuert. „Enemy of the People“, sagt Donald Trump; von „Lügenpresse „und „Staatsfunk“ spricht die AfD, die in den erregten Teilöffentlichkeiten des Netzes ihr eigenes mediales Zuhause gefunden hat.
Die AfD ist zur ersten Internetpartei geworden. Dass man sich davon nicht treiben lassen darf, mussten die redaktionellen Medien lernen. Es ist besser geworden: Die Berichterstattung erfolgt kontinuierlicher, weniger sprunghaft, mit eigenen Themen, weniger dem Reiz-Reaktions-Muster folgend.

Die Live-Interviews sind besser geworden

Es gab eine Fülle guter Portraits und wichtige Enthüllungen: zum fragwürdigen Finanzgebaren (gerade wieder), zu personellen Querverbindungen hinein ins rechtsradikale Lager. Die Live-Interviews sind besser geworden. Ich meine nicht nur das schon fast legendär gewordene ZDF-Sommerinterview von Thomas Walde mit Alexander Gauland, sondern genauso Philipp Menns halbstündiges Gespräch mit Alice Weidel für die WDR-Sendung Eins zu Eins.
Noch genauer kann darauf geschaut werden, wie die AfD versucht, ihren Einfluss zu organisieren, welche Berater sie hat, wie sie versucht Brücken zu bauen hinein etwa in Kreise der Union.

Große Schwächen in der Regionalpresse

Auf große Schwächen bin ich gestoßen, als ich mir jeweils für 3 Monate die AfD- Berichterstattung der Nürnberger Nachrichten und der Oberhessischen Presse angeschaut habe. Die Politikberichterstattung ist stark zentralisiert, findet fast nur im Mantelteil statt, es fehlt an Neugier auf das eigene regionale Umfeld. Typisch scheint mir: Vom im benachbarten Gießen stattfindenden Landesparteitag der hessischen AfD liest man in Marburg nur einen dpa-Bericht. Weder über das Wahlprogramm noch über die Kandidaten wird informiert. Vereinzelte kraftvolle Kommentare hängen dann völlig in der Luft. Schaut man nicht allein auf die Leuchttürme, sondern auch ins Kellergeschoss, dann merkt man: Die deutsche Printlandschaft schwächelt an der Basis.

“Ich” sagen kann jede*r

Als eine Schwäche empfinde ich auch eine Tendenz, die besonders bei jugend-affinen Medien zunehmend zu beobachten ist: den „Ich“-Journalismus. Typisch dafür ist der WDR-Film „Ich und die AfD“. So geht er los: „Und das bin ich, Franziska.“ Es heißt nicht etwa: „Ich bin Ihre WDR-Reporterin, die jetzt für Sie die AfD erkundet“ – nein, es soll unbedingt alles ganz persönlich, ja privat wirken. Im Film sehen wir immer wieder Franziska, wie sie nachdenkt, zuhört, mit den AfDlern spricht. Am Ende ist sie ganz erschöpft. „Trotzdem fühlt es sich gut an, offen zu reden“, sagt sie. „In den letzten Monaten habe ich so viel über Politik diskutiert, wie selten in meinem Leben.“
Aber wie sahen diese Diskussionen aus? Ein Kölner AfDler erklärt, die Weltbevölkerung steige sprunghaft an, also werde auch die Migration weiter zunehmen. „Wie die Zukunft in 15 Jahren aussieht, weiß ich auch nicht“, entgegnet Franziska, „aber mir macht das auch keine Angst.“ Einer hält den Koran für „ein Handbuch zur Weltvernichtung“. Franziska sagt, warum sie dieser Satz stört: „Ich habe total viele muslimische Freunde. Das ist Hetze.“ Was wäre, wenn sie diese Freunde nicht hätte?
Das ist das Problematische dieses Films: Es geht nie um die Klärung von Sachverhalten oder von Begriffen, sondern um Gefühle und Ängste, die nachvollziehbar sind oder auch nicht, um Bekenntnisse, die Franziska den AfD- Positionen entgegenhält. Am Ende steht das Grundmuster aller Soaps: Gut, dass wir drüber geredet haben.

Rekonstruktion des Allgemeinen ist Zentrum des Politischen

Nun mag Selbstvergewisserung ein Anker in unruhigen Zeiten sein, aber die eigene Subjektivität zum Schlüssel zur Wahrheit zu erklären, ist auch eine Begrenzung. Es greift zu kurz, nur mit der eigenen Identität den Identitären entgegentreten zu wollen.
Andreas Reckwitz hat darüber in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ sehr anregend geschrieben: Noch immer ist „die Rekonstruktion des Allgemeinen“ das Zentrum des Politischen.
Auch der US-amerikanische Historiker Daniel T. Rodgers beobachtet in „Age of Fracture“ sorgenvoll eine generelle Entwicklung von groß zu klein, von Keynes zu Friedman, an deren Ende dann – auch bei Wohlmeinenden, die nicht ausgrenzen wollen, sondern universelle Toleranz im Sinn haben – Maggie Thatchers Votum steht:„There is no such thing as society“.
Achtsamkeit ist modern, es gibt eine große Sensibilität für die kleinen Unterschiede, aber das Nachdenken darüber, wer wir sind und was uns glücklich macht, darf sich nicht darauf beschränken, unseren Wohlstand nur möglichst hyggelig auszustaffieren. Ulrich Brand und Markus Wissen werfen viele Fragen auf, wenn sie beschreiben, was sie unsere „imperiale Lebensweise“ nennen. Damit beschreiben sie die Dimension, über die vorausschauend nachzudenken ist: Über die großen Unterschiede auf der Welt. Anders wird im Zeitalter globaler Migration dem Nationalismus nicht entgegenzutreten sein.

Junge Journalist*inn*en häufig historisch ahnungslos

Die jungen Journalisten von heute, mit denen ich es zu tun habe, sind in der Regel sehr freundlich, weltgewandt, tolerant, meist gesundheitsbewusst und stammen aus einem ähnlichen urbanen Milieu – und sie sind ziemlich ahnungslos, wenn es um deutsche Kultur und deutsche Geschichte geht. Sie wissen nicht, dass auf dem Hambacher Fest nicht nur für nationale Einheit, sondern auch für Freiheit demonstriert wurde. In Übungs-Interviews kann man ihnen Gustav Stresemann als Nationalisten und Bismarck als Friedensengel verkaufen, weil sie nicht mehr wissen, dass der Weg zur deutschen Einheit über drei Kriege führte. Ohne Kultur und Geschichte lässt sich aber schlecht zivilisiert argumentieren – die Erbschleichereien der AfD sind dann nicht zu widerlegen.
Konkurrierende Politiker wollen den Einfluss der AfD oft eindämmen, indem sie durch Sozialpolitik die unzufriedenen Wähler zu befrieden trachten. Substanzieller aber ist die Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Bewusstseinsinhalten. Wenn es einen Kulturkampf von rechts gibt, dann nutzt kein ausweichen. Stilistisch gilt dafür das einst von Michelle Obama ausgegebene Motto: „When they go low, we go high“.
Journalisten berichten, Journalisten erklären, aber Journalisten schimpfen nie zurück. Am Dialog führt kein Weg vorbei.
Aber man muss auch nicht jedes Angebot annehmen oder selbst unterbreiten. Dass Kai Gniffke für die ARD und Peter Frey für das ZDF auf eine AfD-Veranstaltung gegangen sind, ist nachvollziehbar. Aber es darf keine Vorzugsbehandlung geben. Ich hätte mindestens auf eine paritätisch besetzte Diskussionsleitung bestanden. Auch inhaltlich gibt es rote Linien.

Grenzziehungen

Wer die Gleichwertigkeit aller Menschen attackiert, den Holocaust leugnet oder unsere Erinnerungskultur an den Zivilisationsbruch umkehren will, disqualifiziert sich. Dabei ist die Grenzziehung nicht einfach. Denn dass die AfD die Grenzen nach Rechtsaußen aufweicht, hat einen systematischen Grund: In der deutschen Geschichte gibt es keinen demokratischen Nationalismus, sondern der Nationalismus war Zuträger und Steigbügelhalter für die nationalsozialistische Diktatur. Darum kann als „demokratisch“ nur gelten, wer sich davon glaubwürdig und nicht nur kosmetisch abgrenzt. Aber die AfD baut auf die Mobilisierungskraft rechtsradikaler Aktivisten.
Ist da nicht der Verfassungsschutz gefragt? Das mag von symbolischem Wert sein, aber ich bin skeptisch. Es würden ein paar Stellen geschaffen zum Sammeln von Zeitungsausschnitten, und ein paar halbseidene Gestalten würden doppeltes Gehalt beziehen. Die Auseinandersetzung ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und gerne auch der parteipolitischen Konkurrenz. Mit der rechts-populistischen Herausforderung müssen wir schon selber fertig werden! Das können wir auch. In diesem Sinne darf sich ein erklärender Journalismus auch als Teil einer größeren kulturell-geistigen demokratischen Bewegung verstehen.

Hier finden Sie die gesamte Studie von Prof. Bernd Gäbler “AfD und Medien II” für die Otto Brenner Stiftung zum Download.
Hier als erster Eindruck Bestandteile des Inhaltsverzeichnisses

Einleitung – Was sich verändert hat
Grundlagen
1.1 Populismus – der politische Kern der Sache
1.2 Populismus – Ursachen, Wirkung, Wählerschaft, Soziales und Kultur
1.3 Eine kulturell-geistige Rechtsverschiebung
2 Das Netz als Erregungsmaschine – Wo die AfD medial zuhause ist
2.1 Filterblasen und „filter clash“
2.2 Facebook als „girardeske“ Firma
2.3 Twitter – ideal für Wutbürger
2.4 Krise der Wahrheitsfindung
2.5 AfD: Ein „Newsdesk“ als „War Room“
3 Aus der Praxis für die Praxis – vom journalistischen Umgang mit der AfD
3.1 Beatrix von Storch und Wolfgang Gedeon
Werden in der Berichterstattung über die AfD die richtigen Schwerpunkte gesetzt?
3.2 Hohes Haus oder Quasselbude?
Aufputschmittel oder Abklingbecken? Neulinge im Bundestag
3.3 Integration oder Ausschluss?
Vom FC Bundestag bis zum Christopher Street Day – mitmachen lassen oder ausgrenzen?
3.4 Wenn‘s um Geld geht – ’ran an die Töpfe!
Mit Stresemann oder Erasmus? – Berichte über Finanzen und die Parteistiftung
3.5 Gute Fragen, schlechte Fragen
Von Kleber bis Walde – Interviews als vergebliche Mühe oder wilder Tanz?
3.6 Wer seid Ihr? Und wenn ja, wie viele? Portraits und Berichte
3.7 Entgrenzung, rechter Rand und rote Linien. Von der Kraft der Gegenrede
3.8 „Ich“ sagen kann jeder
Moral statt Politik, Bekenntnisse statt Argumente
3.9 Fazit – Was bedeutet das alles für das journalistische Handwerk?
4 Vor den Landtagswahlen – Oberhessische Presse und Nürnberger Nachrichten
4.1 Warum diese Zeitungen?
Die Bedeutung von „Nürnberger Nachrichten“ und „Oberhessischer Presse“
4.2 Die AfD-Berichterstattung der „Nürnberger Nachrichten“
4.3 Die AfD-Berichterstattung der „Oberhessischen Presse“
4.4 Fazit: kaum Hintergrund, wenig „Großes“ im Lokalen
5 „When they go low, we go high“ – guter Journalismus als Teil einer politisch-kulturellen Initiative
5.1 Journalismus als ein Element der Demokratie
5.2 Nichts geht ohne Geschichte und Kultur
Anhang
10 Fragen und Antworten von
Kai Gniffke (ARD)
Wulf Schmiese (ZDF)
Maria Fiedler (Tagesspiegel)
Michael Köhler (DLF)

Literaturverzeichnis
Bücher und Fachpublikationen
Artikel, Interviews, Broschüren und Einzelkritiken
Videos
Quellen
Hinweise zum Autor

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