Wer glaubt, lieber Roland, dass er in der ARD-Sportschau oder dem ZDF-Sportstudio Journalismus erhält, der soll dumm sterben. Da Deine Zweifel Dich ehren, hier mein Versuch. Wie Du richtig erspürt hast, hätte jetzt nur noch gefehlt, dass Herr Hopp schwarz angemalt worden wäre und sich eine Kippa aufgesetzt hätte – seine Medienverteidiger*innen hätten als edle Kreuzritter*innen in die Geschichte eingehen können.
Der Fußballkapitalismus erreicht derzeit seinen Peak. In England ist die Decke schon erreicht. Hier in Deutschland wird es nur noch eine Super-Versteigerung der TV-Rechte für drei Jahre geben. Danach wird sich der Markt der gegenwärtig noch zahlreichen Bieter*innen (Amazon, Apple, Telekom, Perform Group/Dazn, Comcast/Sky, Disney, diverse Wettmafias, u.a.) “bereinigt” haben – wenn nicht sowieso noch eine neue Finanzkrise oder ein Virus dazwischenkommen. Die Herrschenden im deutschen Fußballkapital wissen und spüren das, und grübeln, wie sie das Profit-Optimum aus der Lage herausholen können.
Zum einen schlagen sie sich im Fußball-Welthandelskrieg auf die Seite der mit Katar verbundenen Uefa, gegen die mit den anderen arabischen Feudalherren paktierende Fifa. Das aufstrebende China beobachtet diese Vorgänge aufmerksam, chinesische Pioniere sind bereits in Mailand und Spanien investiert; russische Oligarchen sind es in England, deutsche halt in Deutschland (Leverkusen, Wolfsburg, Schalke, Hoffenheim, München, Hannover) – da ist selbst der österreichische Rechtsausleger Mateschitz internationaler orientiert (Salzburg, Ostdeutschland, New York) und diversifiziert (Deine Rennautos). “Mein” Verein Borussia Mönchengladbach erscheint dagegen, im Schatten des Intrigen anfeuernden Medieninteresses, das sich dankenswerterweise auf Köln, Schalke, Dortmund und den süddeutschen Raum konzentriert, wie ein Kunstprodukt: sportlich, infrastrukturell und finanziell gleichermassen exzellent und konkurrenzfähig aufgestellt – welch ein Gegensatz zu den Kapitalprodukten!
In ihrem Blick national borniert und begrenzt machen sich die deutschen Oligarchen Gedanken, wie sie den Fußball als Entertainment-Event expandieren können, nach dem Vorbild einer – das klingt abgedroschen, trifft es aber – Helene Fischer. Ein Konsumgut, das “alle” lieb, nett, harmlos, und jederzeit konsumier- und verfügbar finden, auch montagsabends. Das finden die Ultras unter den engagierten Fußballfans gar nicht lustig. Sie wissen genau: die wollen ihnen den Fußball als Feld kultureller Selbstbetätigung auf diese Weise enteignen. Schliesslich würde ja der Verkauf von Austern und Schampus in den Vip-Logen viel bessere Profitraten erzielen, als der von noch so vielen zigtausend Bratwürsten und entalkoholisertem Bierimitat.
Erste Schritte sind gemacht. Die Fußballfans sind die Ersten, denen Grundrechte entzogen werden. Sie werden über ihre Dauerkarten personalisiert erfasst. Sie landen bei Widerworten in Polizeidateien, dafür sind Straftaten nicht erforderlich. Auskunfts- oder gar Löschrechte kommen nicht infrage. Fußballstadien sind kein öffentlicher Raum, auch wenn sie öffentlich finanziert wurden. Dort gilt privates Hausrecht, nicht Grundrechte. Die Fans wissen genau, dass sie derartig wie Arschlöcher behandelt werden, auch und gerade von denen, die darüber beruflich berichten sollen. Sie sind strategisch hilflos gegenüber der Frage, wie sie diese gesellschaftliche und politische Isolation aufbrechen sollen. Ich bin zu alt, um gesellschaftliche Grundkonflikte noch billig auf Individuen zu personalisieren – das hat mit der komplexen Wirklichkeit nichts zu tun, wird uns aber von den herrschenden Medien so weisgemacht, um auf diese Weise zu verhindern, dass Wut in Systemkritik umschlägt. Im Gegensatz zu Faschisten haben sich systemkritische linke Organisationen um die nur scheinbar “lumpenproletarische” Fanszene nie kümmern wollen. Dennoch ist sie derzeit in Deutschland nicht rechts, sondern linksdominiert. Ich vermute, das ist der sozialdemokratischen Bildungsexpansion zu verdanken – die meisten Fans haben mittlerweile Abitur und können selbst denken, welch eine Wohltat, über die wir froh sein könnten. Respektiert und ernstgenommen werden sie dennoch nicht, allenfalls als “Stimmungskulisse” benutzt – oder halt, wie aktuell als anonymer Popanz ohne Chance zu eigener Stellungnahme beschimpft. Darum agieren sie in der Erscheinungsform ihrer Aktionen bisweilen blindwütig und aggressiv; und wo sie es vermeiden, werden sie dennoch so gezeichnet. Das macht wütend und ist hilflos.
Spätestens die propagandistisch gelingende Vereinheitlichung des Medienechos – die Altmedien sind integrierter Bestandteil des Fußballkapitalismus, weit entfernt von einer “vierten Säule” von irgendwas – muss auch fussballdesinteressierte Demokrat*inn*en zutiefst beunruhigen. Denn dieses Funktionieren wird sich nicht auf Fußball beschränken …
Update 1.3. nachmittags: Zu diesem Thema hat die taz beizutragen, bei der auch keine Selbstverständlichkeit, aber immerhin: lesen Sie aus der letzten Woche Andreas Rüttenauer (ein Bayer übrigens) und heute Alina Schwermer, sowie noch einmal Rüttenauer zur Vorgeschichte der gestrigen Ereignisse, die beide den Kompass noch nicht verloren haben. In einem Punkt liegt Rüttenauer faktisch falsch: RB ist kein Limonade- sondern ein Medienunternehmen, das mit dem Betreiben diverser Risikosportarten, u.a. Rolands Formel1, weltweit Profit und Medienmacht generiert. Es hat die Symbiose von Sport und Medien einfach vorweggenommen und betreibt alles in einer Firma. Journalismus stört dabei nur.
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