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Seberg

Vor kurzem habe ich hier die historischen Leistungen von Mrs. Rigg und Mrs. Hite gewürdigt, so unterschiedlich sie waren – Schauspielerin und Wissenschaftlerin. Die Schauspielerin Rigg wurde in meinen Augen noch übertroffen von Jean Dorothy Seberg, die derzeit mit einem neuen Kinofilm abgefeiert wird. Ich bin mir unsicher, ob ich ihn sehen will.
1959, da war ich gerade mal zwei Jahre alt, wurde Seberg zum Weltstar. Ich konnte das erst weit zeitversetzt zur Kenntnis nehmen. Sie repräsentierte ein Jahrzehnt vor der sog. “sexuellen Revolution”, eher ein Frame für eine kommerzielle Strategie, eine ultimative Sexyness. In den 60er Jahren spielte sich in fast jeder Familie in fast jedem kapitalistischen Land ein Emanzipationskampf ab, der durch die Haarlänge symbolisiert und im alltäglichen Strassenbild performt wurde: Jungs kämpften um längere Haare, Mädels um kürzere. In diesem Schema war Seberg in Godards Ausser Atem die ultimative Olympiasiegerin, das ästhetische Idealbild der starken Frau von 1959. Als ich dann gross genug war, ihre Präsenz zur Kenntnis zu nehmen, war der breiten Öffentlichkeit auch ihr politisches Engagement im wahren Leben, also neben und parallel zu ihrem Beruf, bekannt. So wurde sie für breites politisch orientiertes Publikum zusätzlich zu einer Ikone von Authentizität, wie es fast gleichzeitig und erfolgreicher sonst vielleicht nur Jane Fonda gelungen ist.
Sebergs Tod hat, egal wie er sich tatsächlich abgespielt haben mag, dem Ansehen der US-Geheimdienste in der Welt nicht gutgetan. Ich kenne allerdings auch keinen Geheimdienst, der bereit war, aus dieser Tatsache irgendwas zu lernen. Als “lernende Systeme” sind diese Organisationen halt nicht gedacht.
Seberg wie Fonda haben gewiss ein Leben lang unter dem Druck des Schönseinmüssens gelitten, ein wichtiges Kapital für ihren beruflichen Erfolg, aber auch eine grosse, für nicht wenige quälende, Last. Fonda ist der biografischen Tragik Sebergs vielleicht nur knapp entgangen. Mit Ted Turner eroberte sie sich einen reichen und mächtigen Gatten, der in der Zeit ihrer Ehe 1991-2001 wahrscheinlich auch ein relevanter Schutz war, den Seberg nicht hatte.
Nun also “Against All Enemies” im Kino. Jenni Zylka, für mich eine Referenz-Rezensentin, scheint ihn genossen zu haben. Daniel Moersener/Jungle World nimmt ihn dagegen auseinander. Wenn er rechthaben sollte, würde ich mich im Kino sehr, sehr ärgern, würde meine persönlich Seberg-Projektion innerlich gegen solchen Hollywood-Schund gedanklich verteidigen wollen. Oder ist Moersener als Filmemacher selbst professionell deformiert und für mich als Konsument also ein falscher Massstab? Muss halt auch wieder jede*r selbst entscheiden.
Wir habens nicht leicht in unseren reichen Ländern, immer diese freien Entscheidungen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Der Maschinist

    Danke, lieber Martin, dann ist das doch eine schöne Herausforderung, am Wochenende mir über diesen Film in meinem Lieblingskino ODEON in der Kölner Südstadt ein eigenes Urteil zu bilden. Deine zeitgeschichtliche Einordnung ist dabei eine gute Hilfe. Ich werde berichten.

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