Weit-Weg-Katastrophen, die näherkommen
Jaja, “immer wieder” kommen da Menschen um. In Chinas Bergbau oder in indischen “Naturkatastrophen”. Wenn die deutschen Kinder der 60er Jahre ihren Teller nicht leeressen wollten, wurden sie schon an “die hungernden Kinder in Indien” erinnert. Jetzt ist da wieder ein Gletscher abgebrochen, kommt da ja alle Nase lang vor. Die haben wenigstens noch Gletscher. Die Schweizer Gletscher haben wir jetzt in Beuel, die sind im Rhein weggeschwommen.
Weil mann Gletscher nicht essen kann, ziehen Massen nepalesischer Arbeiter z.B. in die zahlungsfähige arabischen Emirenwelt hinaus, und bauen dort neben Hochhäusern und Palästen, Zirkusarenen, aus denen uns das deutsche Fernsehen in Kürze bespassen und bei Laune halten will. Und mit dem sich eine lange Reihe europäischer, US-amerikanischer, arabischer, chinesischer u.a. grosskapitalistischer Investoren ihre Geldanlagestrategien auszahlen lassen will. Gleich mehrere FAZ-Kommentatoren, allesamt hinter Paywall, regen sich darüber auf, dass der Fussballkonzern aus dem süddeutschen Raum sich jüngst auf einem Flugplatz in der Nähe von Berlin darum bemüht hat, Medienaufmerksamkeit auf dieses verbrecherisch-ökonomische System zu richten.
Wenn die Herren Hoeness und Rummenigge ausatmen, ob mit oder ohne Maske, dann steht Fussballdeutschland bereit, es der ganzen Welt mitzuteilen. Die DFL hat mafiagerecht ihren Spielplan so ausgerichtet, dass der Konzern direkt von Berlin aus zur Jubelfeier über die 1426 toten Nepalesen abheben und sich in Qatar die pandemiegequälten Konten auffüllen lassen sollte – selbstverständlich alles nur im Dienste des “deutschen Fussballs”. Und dann stolperten sie über das deutsche Umweltrecht. Und sogar das Arbeitsrecht noch dazu.
Zur Schadenfreude der Fanmehrheiten, die ganz andere Lieblingsmannschaften haben. füllten die bayrische Knallchargen das Klischee nach, das sowieso schon alle von ihnen im Kopf haben. Es soll halt bloss nicht in Vergessenheit geraten. So werden ein gesetzliches Nachtflugverbot, von dem wir hier in Köln und Bonn dank unserer falsch gewählten NRW-Landesregierung nur träumen können, in Handlungseinheit mit geltenden Tarifverträgen für das Luftfahrtpersonal zu einem “Skandal ohne Ende”.
Heute hat es die FAZ gewagt, eine Recherche ihres Jungredakteurs Christopher Meltzer, eines in Friedrichshafen geborenen nun in München stationierten Schwaben, online zu stellen, bei der ich gespannt bin, wie lange sie es wagen die Paywall wegzulassen: “Umgang mit Kritik an Qatar: Das Schweigen des FC Bayern”. Update nachmittags: die Mauer steht!
Warum ist die Aufregung bei der FAZ so gross? Weil “Waldorf und Statler in der Muppet Show” während der Pandemie, in der doch “alle gemeinsam” Interessen- und Klassenkonflikte hintanstellen sollen, die Kenntlichkeit des Systems, das sie repräsentieren, ungeplant und unabgesprochen, also total “unsolidarisch”, für die Öffentlichkeit wiederherstellen.
Dumm gelaufen.
Nachdem die FAZ auch Meltzers Text eingemauert hat, trösten Sie sich bei Martin Krauss/taz. Der hat meine Emfindungen zum Thema aufgeschrieben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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