Der Sturm auf den US-Kongress war nicht spontan. Das Impeachment-Verfahren zeigt, dass Trump wochenlang auf die Proteste an dem Tag hinarbeitete.
Das Impeachment-Verfahren gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump hat einen erstaunlichen Verlauf genommen. Eigentlich hätte man vermuten können, der Neuigkeitswert werde gegen null tendieren. Worum es gehen sollte, war seit Wochen bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass die Demokraten eine Verurteilung wünschten und die Mehrheit der Republikaner das ablehnte. Und dennoch ist bei dem Prozess viel mehr herausgekommen, als im Vorfeld anzunehmen war.
Bilder von dem gewalttätigen Mob, der am 6. Januar das Kapitol gestürmt hatte, waren um die Welt gegangen. Wer sich für Politik interessiert, hatte längst wenigstens einige Ausschnitte gesehen. Auch die Rede von Trump, in der er seine Anhängerschaft zum Kampf anstachelte und sie aufrief, zum Kongress zu marschieren, war bekannt. Umso überraschender ist es, welche Wucht die minutiöse Dokumentation entfaltete, die von der Anklage im Senat präsentiert wurde.

Das liegt nicht nur und nicht einmal in erster Linie daran, dass auch bisher unbekanntes Material gezeigt wurde, obwohl die Videos der Öffentlichkeit das ganze Ausmaß der Brutalität fast schmerzhaft vor Augen führten. Sondern es liegt vor allem daran, dass die detaillierte Zusammenstellung von Zitaten des ehemaligen US-Präsidenten seit der Wahl im November schlüssig belegen, welch langfristiger Plan den Ausschreitungen zugrunde lag. Keine Spur von Spontaneität.

Über Wochen hinweg hatte Trump zielstrebig auf genau das hingearbeitet, was sich an dem Tag in Washington ereignete, an dem das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom Kongress formal bestätigt wurde. Nur das gewünschte Ergebnis hat er nicht erreicht. Der Mob konnte nicht verhindern, dass Joe Biden zum Sieger erklärt wurde. Die Tatsache, dass die meisten Republikaner im Senat sich nach wie vor weigern, Donald Trump zu verurteilen, beweist nur eines:

Parteipolitik und die Angst vor der Anhängerschaft des ehemaligen Präsidenten ist ihnen wichtiger als Glaubwürdigkeit. Bislang steht die Mehrheit der repu­bli­ka­nischen Wählerinnen und Wähler noch in Treue fest zu Trump. Doch die Anklage hatte sich ja nicht nur an die Mitglieder des Senats gerichtet, sondern auch an die Öffentlichkeit. Und so gespalten die Gesellschaft der USA auch ist: Der Wunsch, die Gräben nicht zu vertiefen, besteht in weiten Teilen der Bevölkerung.
Noch stehen viele von Trumps Getreuen hinter ihm
Wer meint, Trump habe seinen Amts­eid gebrochen, bekam durch den Prozess gute Argumente geliefert. Wie sich das auf das Meinungsklima in den Vereinigten Staaten auswirkt, werden erst die nächsten Monate zeigen. Im Vorfeld hatte es allerdings durchaus gute Gründe gegeben, die Eröffnung eines Impeachment-Verfahrens gegen den ehemaligen US-Präsidenten für falsch zu halten. Der Mann ist nicht mehr im Amt.

Es wirkte spitzfindig, gegen ihn ein „Amtsenthebungsverfahren“ in Gang zu setzen, auch wenn zum eigentlichen Ziel erklärt wurde, ihn künftig und dauerhaft von öffentlichen Posten fernzuhalten. Außerdem stand zu befürchten, dass Donald Trump mit dem Prozess genau jene Bühne geboten werden würde, die er gerade erst verloren hatte. Mit einem Schlag war es nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus ganz still um ihn geworden.

Es schien die Gefahr zu bestehen, dass er nun erneut die Chance bekommen würde, sich in Szene zu setzen und die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben. Dazu ist es allerdings nicht gekommen. Trotzdem: Wenn kein Wunder geschieht, dann wird Donald Trump vom Senat nicht verurteilt werden. Das sagt jedoch weniger etwas über ihn aus als viel mehr über die Republikaner.

Und wer sich selbst endlich ein genaues Bild von den Ereignissen machen wollte, bekam durch die Live-Übertragung des Verfahrens eben dazu die Gelegenheit. Das ist das eigentliche große Verdienst jener, die sich für einen Prozess starkgemacht hatten.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.