Öffentliche Medien faulen von Innen nach Aussen – und von Oben nach Unten
Wenn die Coronapandemie irgendwas Gutes hatte, dann vielleicht die Erkenntnis, wie wertvoll öffentliche Medien sein können, solche die nicht ausschliesslich dem kapitalistschen Renditedenken unterworfen sind. Um es noch mal an dem scheinbaren Boulevard-Fall eines tragischen Opfers zu erklären: mann kann den Skandal so beschreiben wie Imre Grimm von der Madsack-Gruppe, die sich im Marketingdeutsch lieber “Redaktionsnetzwerk Deutschland” nennt. Nichts an dem, was Grimm schreibt, ist falsch. Die Produktionsverhältnisse blendet es jedoch komplett aus. Er arbeitet in denselben. Die machen einfach weiter, als wäre das nicht ihre Baustelle – Marx und Engels nannten das “Gesetzmässigkeit”, ein Begriff, bei dem einem Liberalen ganz anders wird.
Die führt aktuell dazu, dass immer mehr Redaktionen aufgelöst, und zu sog. “Netzwerken” kostengünstig und vielfaltszerstörend zusammengefasst werden. Nach den Ein-Zeitungs-Kreisen entstehen jetzt Landkreise ohne Redaktion. Und selbst in der Hauptstadt verschwinden die Korrespondent*inn*enbüros: mann lässt sich zuliefern, personal- und sozialabgabensparend. Demokratie lässt sich so sicher nicht publizistisch verteidigen.
Immerhin haben wir ja noch die öffentlich-rechtlichen Sender … Pustekuchen. Die machen das Gleiche. Fangen wir an der populärsten Stelle, dem Tatort an. Drehbuchautor und Regisseur in einer Person Thomas Bohn hat sich, wie so viele vor ihm, über Einflussnahme der Senderbürokratien beklagt. Dabei rausgekommen ist ein von Oliver Jungen/FAZ absolut zutreffend niederkritisierter Unfall, der paradigmatisch für das steht, was derzeit in den öffentlichen Sendern grassiert. Das exakt gleiche Managementdenken, wie oben beschrieben.
Es ist fast lächerlich, das am Wegfall einer Buchbesprechung festmachen zu wollen. René Martens/Medienkorrespondenz gelingt es trotzdem exzellent. Weil er die Produktionsverhältnisse und daraus resultierenden Kommunikationsstrategien, bzw. deren gezielte Vermeidung, im WDR in den Blick nimmt. Was er schreibt, kann ich aus meinen eigenen Informationsquellen 100%ig bestätigen.
Was heisst das – weitergedacht?
Das deutsche öffentlich-rechtliche System ist nicht in der Lage, sich selbst von innen heraus zu erneuern. Denn genau dort ist es faul. Seine Implosion – die erst am Ende als Katastrophe für alle erkennbar sein wird – ist systemisch angelegt. Die Anstaltsspitzen lassen sich von den gleichen Unternehmensberatungen beraten, wie die privaten Konzerne. Ihre Kontrollgremien sind zur Kontrolle nicht befähigt. Die semiprofessionellen Spitzen der Gremien werden intelligent inkorporiert. Die Mehrheit der Gremienmitglieder ist zufrieden: sie haben als Parteien- oder Lobbyvertreter*in sowieso wenig Zeit, und sind mit ein bisschen Aufwandsentschädigung und sozialer Aufwertung durch medienbekannte Persönlichkeiten einfach zu beruhigen.
Ich habe mal gehofft, dass das reformierbar ist. Mit Entfaltung eines medienkritischen öffentlichen Diskurses, z.B. unterstützt durch Stiftungen und andere zivilgesellschaftliche Institutionen. Doch dort sind die Führungskräfte mit anderem beschäftigt und ausgelastet – ob das alles wichtiger ist, würde ich zu bezweifeln wagen. Denkbar wäre z.B. Gremienmitglieder vom Publikum wählen zu lassen. Oder der Einbau der Bürger*innen*räte-Idee in dieses System – schnell und konsequent müsste das passieren. Denkbar wäre, mit heutigen Möglichkeiten der diskursiven Onlinebeteiligung, das Publikum stärker auf die Programmentwicklung und Projekteförderung Einfluss nehmen zu lassen. Der Deutschlandfunk macht z.B. mit seiner Denkfabrik nach meinem Eindruck gute Erfahrungen – jedenfalls merke ich das bisweilen seinem Programm an.
Solche zaghaften Versuche habe ich schon vor einigen Jahren aufgegeben. In meiner eigenen Partei sehe ich dafür keine geeigneten Produktionsverhältnisse, in den andern noch weniger.
Die Medienrevolution wird anders, wilder ablaufen. Während die öffentlichen Sender sich immer weiter zurückziehen, bis sie tot sind, wird sich ein zunächst wildes unübersichtliches Marktgeschehen entfalten, das aber ebenso schnell wie asoziale Netzwerke, oder aktuell die Streamingdienste vermachtet und geordnet wird. Wer die Marketingmacht zur Eroberung von Massenaufmerksamkeit gewinnt, hat am Ende gewonnen. Monopole wahrscheinlich. Dort dürfen sich in Zukunft Regierungschefinnen (Männer mitgemeint) um Sympathie und Machterhalt bewerben.
Was kann einer solchen Dystopie noch entgegengesetzt werden? Theoretisch die Macht der Vielen. Doch wie gelingt es den Vielen, ihren systembedingten Individualismus, ihre Egomanie zu überwinden, zugunsten der solidarischen Organisation kollektiver Macht? Mann nannte es früher Gewerkschaften. Doch die erscheinen mir seit langem auch schon zu schwach, für das, was hier geleistet werden müsste.
Werden die jungen Menschen eine Antwort finden? Die Intelligenz dafür haben sie. Sie müssten sie zusammenfügen zu was Grossem und Starkem. Es würde viel Widerstand und Sabotage dagegen geben. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass das noch spannend wird.
Schwere Kost, dieser Beitrag. Aufgetischt ausgerechnet am Rosenmontag. Doch um mit Biggi Wanninger zu sprechen: „Wo bleibt dat Positive“?
Deine Hoffnungen auf das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, lieber Martin, hast Du begraben. Die Erfahrungen, die Du in den Jahren als Mitglied des WDR-Rundrats gesammelt hast, werden Dich in Deiner Skepsis bestärken. Doch die von Dir beschriebene Medien-Dystopie ist eine Horrorvision: Wenn sie Wirklichkeit würde, wäre auch die demokratisch verfasste und sich organisierende Gesellschaft Schnee von gestern.
Daher also noch mal die Frage: „Wo bleibt dat Positive“? Die „jungen Menschen“ sollen sich „zusammenfügen zu was Großem und Starkem“? Das klingt nun doch etwas vage-utopisch; etwa so wie in der letzten Strophe des Lieds aus dem Bauernkrieg: „Geschlagen ziehen wir nach Haus’, die Enkel fechten’s besser aus.“
Sehr erhellend war der Link zum Beitrag von René Martens auf medienkorrespondenz.de.
In dem Bericht ging es übrigens keineswegs bloß um den Wegfall einer Buchbesprechung, sondern um die systematische Umkrempelung des Morgenprogramms von WDR 3. Sollte Wellenchef Matthias Kremin mir dieser „Reform“ Erfolg haben, wäre das so schwerwiegend wie seinerzeit die Entfernung der Sendung „Kritisches Tagebuch“.
Wie wär’s mit einer kleinen Aktion – Hörer*innen fragen ihren Sender: Trifft es zu, dass die WDR 3-Sendung „Mosaik“ umgebaut und die Reihe „Gespräch am Samstag“ entfallen soll?
Beim “Mosaik” war ich Stammhörer wie beim von Dir erwähnten “Kritischen Tagebuch” – als “Mosaik” noch ein dichtes Kulturmagazin zwischen 8 und 9 war. Jetzt bin ich bei “Fazit”
https://www.deutschlandfunkkultur.de/fazit.1012.de.html
wahlweise 23 oder 0 Uhr. Darum ist mir persönlich “Mosaik” schon seit einigen Jahren verhältnismässig egal.
Wo das Positive bleibt? Engagiertes Publikum reinholen statt abschrecken. Nicht zum billigen Call-In-Trash, sondern zum Mitbestimmen, Ideen und Vorschläge sammeln und diskutieren. Publikum die Aufsichtsgremien wählen lassen, wenigstens einen relevanten Teil davon.
Viele Ideen waren alle schon mal da, als Online noch gar nicht existierte. Du wirst Dich vielleicht noch an “ZDF-direkt”, ein Jugendmagazin (gibts noch nicht mal einen wikipedia-Eintrag von, das war TV wie es die WDR2-“Radiothek” im Radio war), oder “Anruf erwünscht”, als das WDR-Dritte noch Experimentiersender war. Da hat Otto Köhler mal den Brockhaus (rhetorisch) zerfetzt.
Die neuen Technologien würden ein riesiges weites Feld der Weiterentwicklung öffnen, wenn die Sender sie nutzen würden. Es gibt sogar einen Kern dafür (die sind ja nicht alle bescheuert):
https://www.funk.net/
Das muss jetzt als Positives erst mal reichen. Oder?
Ich vergass zu erwähnen: das können sie (und wir) sofort haben.
https://klimavoracht.de/