Als das Sars-Cov-2 bekannt wurde, von China am 31.12.2019 an die WHO gemeldet, begann es Gelegenheit zu geben, es näher zu untersuchen. Wie ansteckend? Wie gefährlich? Was ist vorbeugend zu tun? Was, wenn es Menschen befällt? Niemand wusste Antwort auf diese Fragen. Es gab also Anlass, das erforschen zu lassen, um nach den Antworten zu suchen. Mit dem Beginn des vermaledeiten vorigen Jahres hätte damit begonnen werden können. Waren die Ärztinnenschaft und die Krankenhäuser vorbereitet? Das Pflegepersonal hinreichend ausgebildet? Die ersten Monate wurden damit verbracht, das Virus als “chinesisch” zu branden.

China war weit weg, und hier essen wir weder Katzen, Hunde, noch Fledermäuse.. Bis das Virus durch Sibirien durchgereist ist, das kann dauern. In Europa musste noch Champions League gespielt werden, u.a. Bergamo gegen Sevilla in Hin- und Rückspiel, mit den heute bekannten katastrophalen Folgen, in Ischgl wurde die Skisaison befeiert, und hier im Rheinland – nicht nur in Gangelt – der Karneval. Danach, ach Du Schreck, war das Virus hier. Schutzkleidung aber nicht, noch nicht mal für Arztpraxen. Masken gibt es jetzt, nach einem Jahr. Sie werden zur Pflicht erklärt, nicht seit das Virus, sondern seit die Masken da sind (aus China).

Dann kam also der erste Lockdown, der uns durch märchenhaft sonniges Frühlingswetter versüsst wurde. Viele gestresste Menschen genossen das “runterkommen”, also solche mit sicheren Arbeitsplätzen und Einkommen, Haus und Garten, eine Minderheit, die aber die Medien beherrscht. Mit den Ausbrüchen bis März begann die Gelegenheit, repräsentative Untersuchungen zu den Eigenschaften und Verhaltensweisen des Virus zu beginnen. Manche Marktforscher*innen publizieren wöchentlich Meinungsumfragen, in Wahlkampfzeiten bisweilen sogar tageweise. Das Wissen über repräsentative Zusammensetzungen von Befragten existiert hierzulande spätestens seit den 60er Jahren. Heute kommt es einem vor, als hätte das irgendjemand vor einem Jahr total vergessen.

Mir, z.B., und dem emeritierten Statistikprofessor und Mathematiker Gerd Bosbach, der bis 2019 hier um die Ecke in Remagen lehrte. Im Interview für die Berliner Zeitung raufte er sich ein weiteres Mal die Haare. Auf welcher validen Grundlage wird die deutsche Anti-Coronapolitik gebaut? Warum gerät sie in Panik angesichts einer Virusmutation? Sie wackelt wie ein Pudding, und hat viel Luft nach oben.

Nicht wenige Wissenschaftler*innen sind sich darüber im Klaren. Unsicherheiten zu benennen, Alternativen zu formulieren, zwischen denen zu entscheiden Aufgabe und Verantwortung gewählter Politiker*innen wäre, das gefällt Politiker*inne*n gar nicht. Dann wären sie ja “schuld”, wenn was “schiefgeht”. Regierende Politiker*innen lieben Sachzwänge. Die erklären sie gerne der Öffentlichkeit, vorzugsweise unter Bezugnahme auf “die” Wissenschaft (Singular!). Dagegen sind Widerworte nicht zulässig. Das ist das Problem von Prof. Matthias Schrappe und der Wissenschaftler*innen*gruppe, mit der er seit einiger Zeit gemeinsam publiziert. Sie üben Kritik, sie benennen Alternativen. Die müssten anstrengend diskutiert werden. Parlamente müssten am Ende debattieren und entscheiden.
Nä, watt wär datt anstrengend. hamwir schon genuch. Datt will doch keine*r.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net