Vor fast zwei Jahren schrieb Wolfgang Michal eine Reflexion über die Selbstreferentialität und Vergeblichkeit von Medienkritik. Sie ist – leider – noch aktueller geworden. Derzeit wird sie ergänzt um die Personalia-Meldungen, welche Armen-Schlucker-Journalist*inn*en nun ein gesichertes Auskommen als Angestellte der neuen Bundesregierung finden. Ich teile Michals Sicht im Grossen und Ganzen, und möchte sie mit Julia Redas Kommentar in Verbindung setzen.
Wie Stammleser*innen dieses Blogs hoffentlich bemerken, versuche ich viele der von Michal aufgezählten Fehler zu vermeiden. Ich glotze keine TV-Talkshows, schreibe also nicht über sie und vermeide damit eigenhändige Verbreitung und Bedeutungsaufblaserei. Allein schon für mein eigenes Wohlbefinden vermeide ich Medienkonsum, den ich im nachhinein hassen könnte, als Dieb meiner knapper werdenden Lebenszeit.
Michals Kritik an konstruktivem Journalismus teile ich nicht. Richtig ist die Kritik am Drehtüreffekt zwischen Politik der Herrschenden, und Journalist*inn*en, die umtriebig die Seiten wechseln. Konstruktivität im Sinne von Best-Practice-Beispielen und dem berechtigten Feiern von Erfolgen – heute z.B. die Wahl in Chile! – halte ich für dringend notwendige Wasserversorgung in der kapitalistischen Wüste. Darum versuche ich an dieser Stelle auch gerne auf Medienprodukte (“Mediathekperlen”) hinzuweisen, für die sich der Zeitaufwand lohnt, weil es Freude vermittelt oder zumindest nicht dümmer macht.
Im Zusammenhang mit Julia Redas Kritik an der Zensurbegeisterung gegen digitale Medien hätte ich da noch einen Regulierungsvorschlag für die ganz alten Medien, die mittlerweile fast ausschliesslich auch nur noch von der zahlenmässigen Mehrheit der Alten konsumiert werden: das schlechte alte lineare öffentlich-rechtliche Fernsehen. Es ist nämlich nicht so, dass nur in den bösen neuen Medien gehetzt wird. Die Alten tun es auch.
Und zwar so. In Deutschland wird – statistisch betrachtet – an 2 von 3 Tagen ein Mord begangen. Im letzten Pandemiejahr gab es einen leichten Anstieg von 218 auf 245 – die Menschen hockten aufeinander, die “Familiendramen” wurden blutig dramatisiert. Tragisch genug. Ein Drittel der Tage des Jahres 2020 blieb glücklicherweise mordfrei. Schön für die vielen Überlebenden.
Die Programmpolitik der in unserem öffentlichen Eigentum befindlichen Medienorganisationen ARD und ZDF verbreitete dagegen eine komplett verfälschte Sicht auf die Wirklichkeit. Ich habe einfach mal beispielhaft das vorletzte Wochenende durchgezählt – für die ganze Woche wurde es mir zu aufwändig und zeitraubend. An einem Sa./So. sendeten die ARD-Programme 15, die ZDF-Programme 11 Morde, weitere 2 gab es bei 3sat und ARTE. Macht in der Summe 28 Morde an einem Wochenende. Das vermittelt den Konsument*inn*en eine Welt von Mord und Totschlag, die sie fälschlicherweise da draussen in der fremden, gefährlichen Welt vermuten. Dabei lauert die Lebensgefahr – kriminalstatistisch betrachtet – zuhause, bei den eigenen Verwandten.
So kann es mit der Fakenews-Verbreitung nicht weitergehen.
Mein konstruktiver Vorschlag: die öffentlichen Medien dürfen nur noch so viele Morde senden, wie wirklich passieren, pro Woche also 4 (Wiederholungen selbstverständlich mitgezählt). Wenn das Gesetz würde, würden Programmdirektionen reihenweise in Ohnmacht fallen, vielleicht führt es in Einzelfällen zu Fensterstürzen oder Drogenabusus. Das Risiko müssen wir eingehen, so, wie wir in den nächsten Tagen im Angesicht von Omikron bereit sind, Weihnachten zu “feiern”. Die Panik in den Programmdirektionen wird dadurch ausgelöst, dass sie urplötzlich für ungezählte Programmstunden (rechnen Sie pro Mord 90 Min., das macht 42 Programmstunden pro Woche) neue Ideen benötigen.
Es gibt schlimmere Albträume. Sex z.B., oder sogar Liebe, gibt es in der Wirklichkeit viel öfter als in der Glotze. Wer das zu “langweilig” inszeniert, kann ja gefeuert werden, mitsamt der zuständigen Redaktion.
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