Machen die Sie auch so krank? Gestern sass ich bei einem Stammtisch von Sozis, Liberalen und Grünen, die Wählerschaft (Frauen waren keine anwesend) der Regierungskoalition. Darin stimmten wir überein. Anekdoten kreisten um den Tisch von russischen Student*inn*en und/oder Au pairs, deren Konten gesperrt wurden. Oligarchen waren nicht darunter. Ich bin in der abgelaufenen Woche bei extra 3 und ZDF-Magazin eingeschlafen. Solange ich wach war, war kein Witz dabei. Die politischen Inhalte kannte ich schon.

Die Journalist*inn*en öffentlicher Medien scheinen – mehrheitlich – nur ein Interesse zu kennen: wann zündet Deutschland die nächste Stufe der Eskalation in Sachen Waffenlieferungen, Nato- und EU-Ausdehnung und – supergeil – Kriegsbeteiligung? Wenn mein Medium das als erstes kriegt, ist meine Beförderung so gut wie sicher. Diese Ahnungslosen.

Die Teilnehmer meines gestrigen Alte-Herren-Stammtisches wurden alle erst nach dem letzten Weltkrieg geboren. Aber ihre Eltern hatten noch vom Krieg erzählt. Dieser Krieg 1939-45 war der mörderischste der Menschheitsgeschichte. Er ging von unserem Land aus. Klar, niemand von “uns” ist dabei gewesen. Wir waren ja noch nicht. In allen anderen Ländern haben sich die Erinnerungen “besser” vererbt. In Deutschland wurde in vielen Familien das Schweigen bevorzugt. Die Therapeut*inn*en-Versorgung war schon immer schlecht.

In Europa war dieser Krieg atomwaffenfrei, hat dennoch Dutzenden Millionen Menschen das Leben gekostet. In Japan lernten sie dagegen schon die Wirkungen von Atomwaffen kennen. Die sind jetzt mit im Spiel der politischen Kalküle. Dennoch bevorzugen die meisten, ob aus individuell-gesundheitlichen oder aus bösartig-strategischen Gründen, diese Tatsache zu ignorieren. Die Friedensforschung kann das bei Strafe ihrer Selbstaufgabe nicht – Wissenschaft wie in der Klimapolitik! Ulrich Kühn vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik erklärte es ein weiteres Mal den vielen, die so schwer von Begriff sind.

Leider stellen sich zahlreiche Autoren, die ähnlicher Meinung wie ich sind, politisch gerne selbst ein Bein. Der Herr Cechura/telepolis/Krass und Konkret z.B.. Ohne einen Gedanken zu viel unterstellt er den Millionen Friedensdemonstrant*inn*en nicht nur Übereinstimmung mit ihren Regierungen, sondern auch mit dem Rassismus bei der Unterscheidung von “richtigen” und “falschen” Flüchtlingen. Wie kann eine Computertastatur nur so gedankenlos machen? Wenn alle ausser ich Idiot*inn*en sind, komme ich nie in die Verlegenheit, meine politische Sichtweise wirkmächtig werden zu lassen, mit der “Gefahr” für irgendeinen dummen Gedanken verantwortlich gemacht zu werden. Aber Recht behalte ich dann, vor allem mit allen Untergangsvorhersagen. Politik ist was Anderes.

“Ihr Protest wird aber von denen vereinnahmt, die den Krieg zum Anlass nehmen, die größte Aufrüstung Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg auf den Weg zu bringen, und die lauthals verkünden, dass sie die stärkste Militärmacht in Europa werden wollen.”

Lieber Suitbert, warum bist Du nicht da, und vereinnahmst selbst? Die Demonstrant*inn*en sind keineswegs so bescheuert, wie die Schreibtischstrateg*inn*en. Sie haben keine Orientierung – alle Parteien fallen für diese Aufgabe aus – und suchen nach Ventilen für ihren inneren Druck, mit dem sie die Nachrichtenlage wahrnehmen. Das ist zutiefst human.

Immerhin haben wir in Bonn eine OB, die sie da abholt, wo sie sind, Für doof erklären durch Bescheidwissen ist keine politische Option. Die Aufrüster wissen – sie können Umfragen lesen, sie beauftragen sie nämlich – dass ihr Aufrüstungsprogramm demokratisch nicht durchkäme. Darum wird es ja durchgeputscht (Video 4 min). Klar, auch dazu gehören immer zwei. Friedensdemonstrant*inn*en werden dabei jedenfalls nicht gefragt.

Die Reibung zwischen den Blasen

Ein Problem der Medien, die noch demokratisch sind, ist, dass sie ebenfalls von der sozialen Wirklichkeit immer weiter abgeschnitten werden. Wenige erforschen das. Hier beginnt ein Mehrteiler von Sabine Schiffer und Michael Hartmann/telepolis. Und auch das immer hochklassige DLF-Wochenendjournal von Leila Knüppel und Manfred Götzke behandelt das Thema am Beispiel der Corona-Berichterstattung. Der Krieg bläst es jetzt noch weiter auf.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net