Die politische Verfolgung von Julian Assange
Am 20. Januar fand in Washington das „Belmarsh Tribunal D.C. – Der Fall Julian Assange“ statt. Organisiert wurde es von der Progressive International und der Holland Stiftung. Democracy now dokumentierte den Verlauf (ca 2,5 Stunden, deutsche Untertitel möglich). Bertrand Russel, einer der Großen des 20. Jahrhunderts, entwickelte während des Vietnamkriegs die Idee zu dieser Form des politischen Kampfes. Damals ging es um die Enthüllung von US-Kriegsverbrechen im Vietnamkrieg. Am 20. Januar ging es um die politische Verfolgung von Julian Assange, Journalist und Herausgeber von Wikileaks.
Was und wie auf dem Tribunal diskutiert wurde, machte deutlich, dass der Fall Assange über das Schicksal einer Person weit hinausreicht. Es geht um freie Rede und Pressefreiheit, um den Schutz der Menschenrechte, um die Wahrung des Rechtsstaatsprinzips. Es geht darum, dass unternehmerische Einzelinteressen staatliche Institutionen aber auch Medien zu korrumpieren suchen (und es in Teilen erfolgreich tun).
Es geht um einen transparenten Staat, in dem sich die Staatsgewalt nicht hinter angeblichen nationalen Sicherheitsinteressen verstecken darf, wenn es um flagranten Rechtsbruch geht. Es geht darum, die UNO und ihre Gremien nicht einer „regelbasierten Ordnung“ zu überlassen, sondern sie ins Recht zu setzen.
Zur Erinnerung: Der UN-Folterbeauftragte Nils Melzer hatte den Fall Assange nach ursprünglichem Widerstreben untersucht. Sein anfängliches Zögern rührte daher, dass er ein negatives Bild von Assange hatte. Aber als er der Sache schließlich nachging, fand er Folter und eine regelrechte Verschwörung dreier Staaten (USA, Großbritannien, Schweden), die danach trachteten, Assange für die Veröffentlichung von Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak sowie für die Veröffentlichung diplomatischer Korrespondenz der USA (über einen großen Zeitraum) zur Strecke zu bringen. Seine Erkenntnisse führten nicht zu politischen Konsequenzen.
Die immer zu Scherzen neigende Clinton überlegte, damals Außenministerin, nach diesen Wikileaks-Veröffentlichungen, ob man Assange nicht mit einer Drohne töten könnte. Was Clinton verärgerte: Der steckte seine Nase in Dinge, die ihn nichts angingen und lief auch noch frei herum. Prompt wurde in ihrem Haus geprüft, was man legal oder auch nicht legal machen könnte, um dieser Unverschämtheit ein Ende zu setzen.
Zu heisse Kartoffel
Die damaligen Veröffentlichungen waren der Auslöser einer unversöhnlichen politischen Feindschaft, die große Teile der politischen Klasse der USA aber auch des Sicherheitsapparates erfasst und in seiner politischen Verfolgung mündete. Nur Ecuador war zeitweilig bereit, Assange in der Londoner Botschaft Schutz zu gewähren. Denn dieser radikale Wahrheitssucher war vielen Staaten, auch Deutschland, eine viel zu heiße Kartoffel. Aufgrund einer beispiellosen medialen Charakterhinrichtung gilt Assange bis heute sehr vielen Menschen nichts. Sie sehen in ihm einen Schmuddeltyp, jemand, für den man nicht kämpft.
Viele verstehen bis heute nicht, dass der Kampf um die Beendigung der politischen Verfolgung von Assange auch ihr eigenes Schicksal betrifft.
Denn wer bereit ist, den Australier Assange heute an die USA auszuliefern und jede Regierung, die dazu schweigt, wird jeden anderen, der schmutzige US-Geheimnisse in die Öffentlichkeit trägt, ebenfalls den USA ausliefern, wenn sie das nur hartnäckig genug verlangen. Die Schwellen, da muss man keine Kassandra sein, was in D.C. Missfallen erregen könnte, werden immer niedriger werden. Das, was die USA vorexerzieren, wird überall Schule machen.
Nicht umsonst stehen Reporter ohne Grenzen auf der Seite von Assange.
Die Grenzen des Sagbaren werden sich weiter verengen
So wird die Pressefreiheit langsam sterben, die nicht nur den „Mainstream“ schützt, sondern auch die sogenannten „alternativen“ Medien. Die Grenzen des Sagbaren werden sich weiter verengen und staatlichem Übergriff der Rote Teppich ausgerollt. Wenn staatliche Macht sich nicht mehr öffentlich verantworten muss, im Guten wie im Bösen, dient sie nicht mehr dem Volk, sie beherrscht es (Anm.: das Wort „Minister“ bedeutet Diener, nicht Obrigkeit).
Es ist bemerkenswert, dass fünf lateinamerikanische Regierungschefs das Unrecht anprangern, das Assange geschieht, während die Bundesrepublik oder Frankreich maulfaul sind.
Dieser politische Club der aktuell Schweigenden wird auch nichts mehr zählen, wenn es um die Verfolgung von Journalisten in Autokratien geht. Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig.
Leider ist der Fall Assange nicht der einzige, bei dem Deutschland nichts gesehen und nichts gehört haben will und sich benimmt wie ein Kleinkind, das aus Angst vor einer blutigen Nase (oder was auch immer) nicht selbständig gehen will, sondern lieber die Hand der US-Mami ergreift.
Würde es das Schicksal eines Journalisten in einer Autokratie betreffen, dann würden sich hierzulande alle überschlagen. Bei Böhmermann würde im Hintergrund ein Foto prangen (so wie einst im Fall von Deniz Yüzel). So aber …
Weder die NYT noch Spiegel berichteten über das Belmarsh Tribunal D.C.. Heise schon. Auch der Guardian.
Im November 2022 hatten NYT, Guardian, El Pais, Le Monde und Spiegel einen offenen Brief verfasst, zugunsten der Freilassung von Assange. „Journalismus ist kein Verbrechen“ hieß es.
Besser spät als nie, dachte ich damals, das sind wichtige Stimmen. Da muss man nicht kleinlich das Schreiben zerpflücken und z.B. darauf hinweisen, dass das Argument, die Obama-Administration hätte die Verfolgung von Assange wegen des „NYT-Problem“ aufgegeben, nicht stimmt. Die Obama-Administration ließ die Untersuchung weiterlaufen und die britische Richterin nutzte das (Ziffer 150), um diesen Einwand der Verteidigung von Assange in ihrer Urteilsbegründung 2021 zurückzuweisen.
Obama hat Manning begnadigt, aber Assange nicht von der Angel gelassen. So fiel die fortlaufende Untersuchung aus der Obama-Ära der Trump-Administration buchstäblich in den Schoß. In den USA wurde inzwischen ein Gerichtsverfahren gegen Mike Pompeo, den damaligen Chef der CIA, angestrengt, weil diese mittels einer spanischen Sicherheitsfirma illegal Assange abgehört hatte, einschließlich seiner anwaltlichen Gespräche.
Trump übernahm von Obama
Man braucht auch nicht sehr viel Vorstellungskraft, wie es zustande kam, dass die CIA über Kidnapping und die Ermordung von Assange diskutierte, und dann die Trump-Administration die förmliche Auslieferung von Assange verlangte, was sich intern auch noch als Lebensrettung darstellen ließ.
So wie es auch kein langes Nachdenken erfordert, warum Trump nicht das Recht des Präsidenten nutzte und Assange aus den Klauen der US-Justiz befreite, oder warum die Biden-Administration das Auslieferungsbegehren aufrechterhielt.
Trump hatte die Macht der US-Geheimdienste vier Jahre lang zu spüren bekommen. Die traditionelle Skepsis der US-Demokraten gegenüber den Diensten „mit den drei Buchstaben“ ist längst Geschichte.
Solche Informationen verführen zu merkwürdigen Überlegungen
Denn Wikileaks stellte seine Arbeit nicht ein. 2016 offenbarten Dokumente aus dem Hauptquartier der demokratischen Partei (DNC), dass Hillary Clinton den demokratischen Vorwahlkampf zu ihren Gunsten manipuliert hatte.
Obwohl damals alles lauthals „russische Desinformation“ brüllte, musste das DNC personelle Konsequenzen ziehen.
2017 versetzte Wikileaks der CIA einen sehr empfindlichen Schlag: Es ist nicht schön, wenn alle Öffentlichkeit in deren Cyber-Werkzeugkasten schauen kann und dadurch auch erfährt, dass die CIA durchaus in der Lage ist, einen Computer so zu hacken, das es so aussieht, als wäre es ein gegnerischer Geheimdienst gewesen.
Solche Informationen verführen zu merkwürdigen Überlegungen, wie etwa, ob “Gucifer 2“ und „DNC-Leaks“ möglicherweise „made in US“ waren. Denn es ergab nie einen Sinn, warum sich angeblich die Russen zwei Internet-Persönlichkeiten bastelten, die mit einzelnen Dokumenten hantierten und nicht mit Wikileaks kooperierten, wo doch der Legende nach Wikileaks von den Russen eine volle Ladung DNC-Dokumente erhalten hatte und Assange deren Veröffentlichung ankündigte.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Zu den Sprechern auf dem jüngsten Belmarsh Tribunal gehörte auch Jeremy Corbyn. Dem zuzuhören, macht nicht dümmer. Es macht nur offensichtlicher, warum er als Labour-Vorsitzender nicht nur vom politische Gegner angegriffen wurde sondern auch von Teilen der eigenen Partei. Britische Medien spielten genüsslich mit und so glaubte „alle Welt“, Corbyn habe beispielsweise ein gravierendes Antisemitismus-Problem. Corbyn verlor die Wahl knapp.
Williger Blair mit der Selbstgewissheit eines Erleuchteten
Corbyn hat das Herz auf dem rechten linken Fleck. Der wollte eine Politik für die vielen, nicht für die wenigen. Kriegstreiberei war mit ihm auch nicht zu machen. Der ist die Anti-These zu einem Tony Blair, was dieser auch bestätigte und öffentlich wissen ließ: „Wenn dein Herz bei Corbyn ist, sorge für eine Herztransplantation.“
Da Blair, unter dessen politischer Führung das Vereinigte Königreich sich in die „Koalition der Willigen“ einreihte und völkerrechtswidrig den Irak-Krieg führte, 2022 allerhöchst geehrt wurde mit dem Hosenbandorden, während Assange dank Chelsea Manning über Wikileaks Verbrechen dieses Krieges enthüllte und nun seit fast vier Jahren in Belmarsh weggesperrt ist -unverurteilt- ist wohl klar, wer hier als nützliches Mitglied einer Gesellschaft angesehen wird, und wer ruhig verrotten darf.
Kürzlich gab Blair in Davos Ratschläge, wie sich die Welt besser auf eine nächste Pandemie vorbereiten könne, zwar gealtert, aber noch immer mit der Selbstgewissheit eines Erleuchteten.
Das war der Augenblick, an dem ich mich an Worte von Donziger auf dem Belmarsh-Tribunal D.C. erinnerte.
Donziger erzählte, wie er mit großer jugendlicher Hoffnung den rechtlichen Kampf der indigenen Davids gegen Goliath (Chevron) führte und gewann (was Chevron ihm rechtlich in den USA vergalt) und verglich seine damaligen Träume mit jenen des jungen Assange, der auch mit heißem Herzen davon träumte, die Welt besser zu machen.
Was wünschen wir der jungen Generation in Deutschland? Wer taugt mehr zum Vorbild: Ein Blair oder jene auf dem Tribunal, die für Assange sprachen? Wie können sie die Wahl treffen, wenn sie nichts erfahren und nicht vergleichen können?
Das ist eine Frage, die uns alle betrifft.
Sollen unsere Kinder/Enkel/Urenkel ein heißes Herz haben und mit Mut die Zukunft anpacken, widerspenstig sein und auch unbequem oder wollen wir, dass sie vor Zukunftsangst irre werden oder sich fügen oder Menschen wie Blair für großartig halten?
Auch das entscheidet sich im Fall Assange.
Das nächste Belmarsh Tribunal findet am 20. Februar in New York City statt. Mit dabei sein wird eine deutsche Bundestagsabgeordnete von den LINKEN, Sevim Dagdelen. Möge auch ihr Beispiel Schule machen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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