Am 1. Januar hat Kroatien den Euro eingeführt. Nunmehr haben 20 Mitgliedstaaten der EU diese Währung, 7 EU-Staaten nicht (Bulgarien, Dänemark, Polen, Schweden, Rumäni­en, Tschechien und Ungarn). Aufgrund besonderer Abkommen gilt der Euro auch in den Kleinstaaten Andorra, Monaco, San Marino und Vatikan sowie in den überseeischen Ge­bieten der Euro-Staaten. Montenegro und Kosovo sind nicht EU-Mitglied, aber Euro-An­wender.

Norwegen und die Schweiz sind nicht der EU beigetreten und verwenden auch nicht den Euro. Geschadet hat es aber offenbar nicht. In den internationalen Statistiken über Wohl­stand, Beschäftigung, Bildung und andere Bereiche liegen Norwegen und die Schweiz stets auf einem der vorderen Plätze. Großbritannien hatte den Euro nicht übernommen, daher musste es nach dem Brexit keine Währungsumstellung vornehmen.

Schon seit 1970 galten die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion und die Ko­ordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik als Ziele der EG bzw. EU. Erwartet wurden Erleichterungen im grenzüberschreitenden Handel, ein besseres Funktionieren der Wirt­schaft und zusätzliche Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher/innen. Mangel an politischer Entschlossenheit, Meinungsverschiedenheiten über wirtschaftliche Prioritäten sowie Tur­bulenzen an internationalen Märkten verhinderten jedoch immer wieder konkrete Schritte.

Im Dezember 1991 wurde dann der sogenannte Maastricht-Vertrag der EU vereinbart, der die zur Verwirklichung der Währungsunion notwendigen Bestimmungen enthielt. Nach lan­gen Vorbereitungen wurde der Euro am 1. Januar 1999 in Kraft gesetzt, in den ersten drei Jahren allerdings als „unsichtbare“ Währung, die nur zur Verrechnung und für elektroni­sche Zahlungen verwendet wurde. Am 1.1.2002 führten 12 Staaten den Euro mit Bankno­ten und Münzen als ihr Zahlungsmittel ein.

Der Einführung waren jahrelange kontroverse Diskussionen vorausgegangen, in der Öf­fentlichkeit, der Wissenschaft und der Politik. In keinem anderen Land war die neue Wäh­rung so umstritten wie in Deutschland. Viele Ökonomen hatten davor gewarnt. Sie kritisier­ten den Euro als „Weichwährung“ und fürchteten, die Beitrittskriterien für die Mitglieds­chaft in der Währungsunion seien nicht streng genug. Große Teile der Bevölkerung wollten lie­ber die D-Mark behalten, die als „Stabilitätsgarant“ gegen eine mögliche Inflation gese­hen wurde.

All jene, die vor einer übereilten Währungsunion warn­ten, wurden damals als Europageg­ner abgetan. Letztlich gewannen politische Argumente und das Bekenntnis zu Europa Vor­rang vor währungs- und finanzpolitischen Erwägungen. Hans-Dietrich Gen­scher gab bei der Parlamentsberatung zu, dass es sich „nicht nur um eine währungspoliti­sche Entschei­dung“ handele, sondern um eine, die in die „historische Dimension der euro­päischen Eini­gung“ gehöre. Ungeachtet aller Kritik wurde die Einführung des Euro als EU-Gemein­schaftswährung im April 1998 im Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen. Nur 35 Ab­geordnete stimmten dagegen, 5 enthielten sich.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl räumte später in einem Interview ein, dass er bei der Euro-Einführung wie ein Diktator gehandelt habe. Er habe gegen den Willen der Deutschen entschieden. „Eine Volksabstimmung über die Einführung des Euro hätten wir verloren.“ Vor allem im Osten, wo erst wenige Jahre zuvor die D-Mark eingeführt worden war, sei die Bevölkerung mehrheitlich gegen den Euro gewesen.

Die Entwicklung des Euro zeigte, dass seine Entwicklung keineswegs so unproblematisch verlief wie von der Politik prophezeit. Das betraf z.B. den Tatbestand, dass eine gemeinsa­me Währung für etliche Staaten geschaffen werden solle, die bisher und weiterhin ihre in­dividuelle Wirtschafts-, Steuer- und Handelspolitik betrieben. Eine Währungsunion ohne vorherige Finanzunion könne nicht funktionieren, so hieß es. Wie solle denn ein Euro be­stehen kön­nen, wenn z.B. die Inflationsrate in Griechenland 10 % betrage, der Euro also jährlich ein Zehntel seines Wertes verliere, während Dänemarks Wirtschaft inflationsfrei sei, der Euro also seinen vollen Wert behalte.

Die Wirkungen dieser Entwicklung sind schwer zu beurteilen. Je höher die Inflationssprei­zung ist, umso schwieriger wird es für die Europäische Zentralbank, mit ihrer Zinspolitik Einfluss zu nehmen. Divergierende Inflationsraten sind auf jeden Fall nachteilig und kön­nen sogar zu Verzerrungen bis hin zu Blasen auf Aktien- und Immobilienmärkten führen.

Die Befürchtung, dass der Euro eine weiche Währung sein würde, hat sich nur teilweise bewahrheitet. Um die Entwicklung des Wertes einer Währung zu vergleichen, muss man sie mit anderen vergleichen, vorrangig mit dem Dollar. Da hat der Euro einen Schlinger­kurs bewiesen. Bei der Einführung war er 1,17 $ wert, ein Jahr später nur noch 0,82 $. Da­nach lag er ständig über 1 $, mal bei 1,60 $ und mal bei 1,03 $. Solche erheblichen Schwankungen sind bekanntlich Gift für den Außenhandel.

Andere Statistiker messen den Dollar am Goldpreis. Da der Kurs des Dollar stark von der Währungspolitik der USA abhängt, ist dieser Vergleich vielleicht angebrachter. Und da zeigt sich eine ernüchternde Bilanz: In 20 Jahren ist der Wert des Euro auf ein Viertel zu­rückgefallen. Anders ausgedrückt: Seit seiner Einführung im Jahr 2002 bis 2021 musste der Euro gegenüber dem Goldpreis einen Wertverlust von fast 80% hinnehmen. Natürlich kann man die Argumentation auch umkehren: Der Goldpreis ist auf das Vierfache gestie­gen.

Zugegebenermaßen ist der Euro für viele eine bequeme Einrichtung, für Zahlungen in­nerhalb des Euroraumes, für Ein- und Ausfuhren und für den Tourismus. Als Aachener weiß ich zu schätzen, in den benachbarten Staaten Belgien und Niederlande mit dem glei­chen Geld zahlen zu können wie zu Hause. Preisvergleiche – z.B. beim Benzin – sind ein­facher. Die Vorwürfe, der Euro sei ein Teuro, weil seine Einführung für Preissteigerungen gesorgt habe, verstummten bald wieder. In Kroatien hört man allerdings jetzt die gleichen Klagen.

Die Schuldenkrise der EU zeigte jedoch ab 2010 die Unzulänglichkeiten der Europäi­schen Wirtschafts- und Währungsunion auf. Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Zypern hatten extrem hohe Staatsschulden angehäuft und erhielten kaum noch Bankkredi­te. Ihre Importe waren hoch, ihre Exporte niedrig. Das früher gern genutzte Instrument, durch eine Abwertung der Landeswährung die Außenhandelsposition zu verbessern, be­stand seit Einführung des Euro nicht mehr. Daher wurde die Schuld an der Krise gern dem Euro zu­geschrieben. Aber auch ein Austritt aus dem Euro, wie er Griechenland immer wie­der na­hegelegt wurde, wäre nutzlos gewesen, da die auf Euro lautenden Staatsschulden weiter­hin Bestand gehabt hätten.

Die Euro-Staaten beschlossen daher Mai 2010 einen zeitweiligen „Rettungsschirm“. Sie liehen den Krisenländern zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds 110 Mrd. €. Im Gegenzug wurden diese verpflichtet, ihre Haushalte zu sanieren und ihre Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Auch kaufte die Europäische Zentralbank Staatsanleihen der Krisenländer. Offiziell wurde der Rettungsschirm wenig überzeugend damit begründet, dass der Bestand der EU vom Euro abhängig sei und dieser wiederum bei einem Aus­scheiden ei­nes Mitgliedstaates aus dem Eurosystem zusammenbrechen würde.

Noch im gleichen Jahr ergab sich der Zwang zu einer weiteren Hilfsaktion. Ergebnis war der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) mit einem Volumen von 60 Mrd. €. Finanziert wurde er aus dem EU-Haushalt, allerdings lagen Haftung und Risiko bei den Mitgliedstaaten. Noch im gleichen Jahr folgte die Europäische Finanzstabilisierungsfa­zilität (EFSF), eine Aktiengesellschaft mit einer Kreditermächtigung von 440 Mrd. €. Bis 2013 wurden Kredite im Umfang von 172,6 Mrd. € an Griechenland, Irland und Portugal vergeben.

Der große Wurf folgte 2012. Da löste der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) als dauerhaftes Instrument die temporären Schutzschirme EFSF und EFSM ab. Um die Zah­lungsunfähigkeit von Euroländern aufgrund übermäßiger Staatsschulden zu verhin­dern, können diese Kredite zu günstigen Konditionen erhalten, um einen Staatsbankrott abzu­wenden. Um Haftungsgarantien oder subventionierte Kredite zu erhalten, müssen sie an­gemessene Maßnahmen zur Entschuldung und Sanierung ihrer Staatshaushalte vorle­gen. Der ESM ist eine internationale Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg.

Der ESM verfügt über ein Stammkapital von 700 Milliarden €; der Anteil Deutschlands be­trägt 190 Mrd. € (27 %). Im Zeitraum von 2012 bis 2018 hat der ESM den Euro-Mitglieds­taaten Spanien, Zypern und Griechenland Stabilitätshilfen in Höhe von 109,5 Mrd. Euro gewährt. Im April 2020 wurde der Einsatzbereich des ESM verbreitert. Die Finanzminister der Euro­zone einigten sich auf eine Kreditlinie von 200 Mrd. E, um der Corona-Krise ent­gegenzutreten.

In Politik und Öffentlichkeit wurde kontrovers über die Rettungsschirme und die Bewälti­gung der Schuldenkrise diskutiert. Immerhin musste sich Deutschland mit hohen Summen an der Rettung beteiligen. Kritiker wiesen darauf hin, dass der Maastrichter Vertrag der EU die Übernahme der Schulden anderer Länder verbietet. Andere sahen das Haushalts­recht des Bundestages bedroht.

Fast 200 Professoren der Volkswirtschaftslehre sprachen sich 2011 in einer Petition ge­gen den Plan aus, den Euro-Rettungsschirm zu einem dauerhaften Mechanismus auszu­bauen. 2) Eine Vergemeinschaftung der Schulden hätte „fatale Langfristwirkungen für das gesam­te Projekt der europäischen Integration“. Der Ankauf hochriskanter Staatsanleihen durch die EZB gefährde deren Reputation und Unabhängigkeit, günstige Konditionen und die Haftung der Staatengemeinschaft würden dazu verlocken, „die Fehler der Vergangen­heit zu wiederholen und eine Verschuldungspolitik zu Lasten der EU-Partner fortzusetzen“.

Ab 2012 wurden bundesweit Unterstützungsvoten für eine Verfassungsbeschwerde ge­gen die Zustimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus gesammelt. Die Initiato­ren for­derten einen bundesweiten Volksentscheid, da aus ihrer Sicht zentrale Souveräni­tätsrechte unwiederbringlich auf außerstaatliche Institutionen übertragen werden. Die Be­mühungen blieben erfolglos, eine entsprechende Klage lehnte das Bundesverfassungsge­richt 2014 ab.

Eine unerwartete und unerwünschte Folge dieser Auseinandersetzungen war 2013 die Gründung der AfD. Anfangs war es ein Club von Wirtschaftswissenschaftlern, die ihre Min­derheitenmeinung zu den Euro-Rettungsschirmen vertreten wollten und dazu auffor­derten, aus der Währungsunion auszusteigen und zur DM zurückzukehren. Daraus entwi­ckelte sich eine zunehmend rechtsextreme Partei, die seitdem versucht, mit immer neuen Pro­testthemen (Euro, Migration, Corona, Klimawandel, Energiekrise, Inflation, Russland) und Vorsitzenden Stimmung zu machen und um Stimmen zu werben.

Dass die Bedenken gegen die Konstruktion des Euro und gegen die Rettungsschirme nicht grundlos waren, zeigen die Bemühungen, die später von der EU selbst unternom­men wurden. So forderte die EU-Kommission 2017 in einem Weißbuch die Vertiefung und Voll­endung der Wirtschafts- und Währungsunion bis 2025, starke Institutionen und eine demokrati­sche Rechenschaftspflicht. Alle EU-Mitgliedstaaten sollten den Euro einfüh­ren. Notwendig sei die Vollendung der Bankenunion, eine gemeinsa­me Eindämmung und Abfe­derung von Risiken im Bankensektor und die Stärkung der Kri­senfestigkeit der Ban­ken. Die Finanzierung der Realwirtschaft solle stärker differenzieren und innovativer wer­den, um die Widerstandsfähigkeit gegen Finanzmarkterschütterun­gen zu steigern.

Nachträglich soll also jetzt eine integrierte und funktionierende Finanzunion entste­hen. Laut EU-Kommission ist sie eine we­sentliche Voraussetzung für ein reibungsloses Funktio­nieren des Euro-Währungsgebiets und der gesamten EU. Wenn diese Überzeu­gung – die damals die Kritiker vertraten – schon zu Beginn des Euro-Prozesses gegolten hätte, wären uns womöglich die Rettungsschirme erspart geblieben. Und vielleicht auch die AfD.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.