Zweifellos ist Boris Pistorius ein Blitzstart gelungen. Kaum zum Bundesminister der Verteidigung ernannt, hatte er in den Beliebtheitsskalen den ersten Platz erklommen, wenngleich – so viel Relativierung muss sein – schon mehrere Mitglieder des Scholz-Kabinetts weit oder ganz oben standen und stehen: Annalena Baerbock, Robert Habeck, auch der Bundeskanzler selbst. Karl Lauterbach wurde nicht zuletzt seiner Umfragewerte wegen Gesundheitsminister. Doch der Pistorius-Aufstieg war von besonderer Art. Bis zu seiner Berufung war der vormalige Landesinnenminister nicht einmal auf die Listen von Politikern gelangt, nach denen fürs Ranking gefragt wurde. Außer einigen Interviews und Auftritten als Verteidigungsminister hatte er noch keine Leistungsnachweise erbracht. Immerhin: Grobe Fehler waren ihm nicht unterlaufen. Er besuchte Heer und Marine, er setzte sich in Panzer und trug dazu passende Kleidung. Nach der kurzen Amtszeit der unglücklichen Christine Lambrecht reichte das offenkundig, Shootingstar zu werden. Manche Kommentatoren überschlugen sich und setzten ihn in eine Reihe mit „großen“ Vorgängern, Peter Struck zum Beispiel oder gar Helmut Schmidt. Kanzlertauglich sei er auch.
Ein herausragendes Amt auf Bundesebene hatte Pistorius noch nicht. 2019 beim SPD-Mitgliederentscheid über den Parteivorsitz landete er zusammen mit Petra Köpping auf dem vorletzten Platz: 14,61 Prozent. Womöglich hat er sich noch daran zu gewöhnen, dass er nun aufpassen muss, was er sagt und wie er das tut. Es wird genauer hingeschaut. Beispiel 1: Wehrpflicht. „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. War das ein Pro-Wehrpflicht-Plädoyer? Pistorius hatte nachzubessern. „Ich habe mich ausdrücklich nicht für die Reaktivierung der Wehrpflicht ausgesprochen“, bemerkte er laut dpa. Auch der Bundeskanzler wurde damit konfrontiert. Scholz in der Bild-Zeitung: „Die Wehrpflicht hat Verteidigungsminister Guttenberg vor zwölf Jahren ausgesetzt. Die Bundeswehr wurde zu einer Berufsarmee umgebaut. Daher gibt die Rückkehr zur Wehrpflicht keinen Sinn.“ Punkt.
Beispiel 2: Bundeswehretat. Pistorius plädierte für eine Erhöhung des Etats um zehn Milliarden Euro. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sei die Untergrenze. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken dazu in der FAZ: „Zehn Milliarden Euro sind eine Menge Geld.“ Es gebe noch andere Koalitionsvorhaben, die noch nicht finanziert seien. Die Kindergrundsicherung zum Beispiel. „Es ist jetzt wichtig, dass das Beschaffungswesen im Verteidigungsministerium dazu befähigt wird, dieses Geld zielgerichtet einzusetzen. Dann sprechen wir weiter.“ Ähnlich der Grünen-Chef Omid Nouripour im ZDF: Die Gelder für die Bundeswehr müssten auch bei der Truppe ankommen und dürften nicht in „merkwürdigen Projekten versinken, die am Ende keinen Sinn machen, nicht mehr Sicherheit bringen, aber Geld verbrennen“. Pistorius allein zu Haus? Noch verhindern seine Beliebtheit und der Zuspruch von Scholz und anderen aus der SPD, dass er der Großsprecherei geziehen wird. Doch das kann sich rasch ändern. Einst gab Angela Merkel eine Erfahrung von Horst Seehofer zum Besten: „Wenn’s heute schön ist, muss es morgen nicht genauso sein. Das ist das Wesen von Politik.“ Annegret Kramp-Karrenbauer, Pistorius’ Vorvorgängerin, kann ein Lied davon singen.
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