Im Koalitionsvertrag heißt es „Unter anderem regeln wir …. das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation“. Die Einengung des Einsatzes von V-Leuten ist gewiss ein anspruchsvol­les Vorhaben, und die Ampelkoalition hat sich auf ein schwieriges Terrain begeben. Man darf gespannt sein auf die konkrete Ausgestaltung. Gesetzesinitiativen sind noch nicht be­kannt. Allerdings gibt es schon frühere Aus­arbeitungen von der FDP.

Der Einsatz verdeckter Ermittler oder Vertrauenspersonen ist alltägliche Praxis im Bereich der Strafverfolgung, vor allem im Betäubungsmittelsektor. Verdeckte Ermittler sind in der Regel Polizeibeamte, ihr Einsatz ist in der Strafprozessordnung geregelt und steht unter dem Genehmigungsvorbehalt der Staatsanwaltschaft.

Anders ist es bei Privatpersonen, die als V-Leute (Vertrauenspersonen, Lockspitzel) dauer­haft mit der Polizei oder einem Nachrichtendienst zusammenarbeiten. Sie dürfen nur bei Strafta­ten von erheblicher Bedeutung eingesetzt werden. Die Mitwirkung eines Rich­ters ist nicht erforderlich, der Einsatzbedingungen sind in Dienstvorschriften geregelt. Ver­trauenspersonen sind keine Beamte und daher nicht dem Staat verpflichtet.

Die Tätigkeit der V-Leute kann zu erheblichen Problemen führen, wenn sie nicht nur beob­achtend tätig werden oder Scheinkäufe tätigen, sondern Straftaten unterstützen oder zu Handlungen ermuntern, die ohne Anstiftung gar nicht begangen worden wären. Die Grün­de für derartiges Verhalten von V-Leuten können unterschiedlich sein (Überzeugung, Aner­kennung, Entgelt). Solche Tatprovokationen stehen im Spannungsfeld mit dem An­spruch der Täter auf ein faires Verfahren.

Die politische und rechtliche Befassung mit diesem Thema ist eine Gratwanderung. Es ist schon seit Jahren Gegenstand hitziger Diskussionen unter Strafrechtlern. Bisherige Initiati­ven zielten darauf ab, die Tatprovokation aus ihrem ungeregelten Zustand herauszuholen, ihr Grenzen zu setzen und ihr einen verbindlichen rechtlichen Rahmen zu geben. Die radi­kale Ansicht will Tatprovokationen entweder gar nicht mehr zulassen oder sicherstellen, dass Straftaten, die aufgrund von Tatprovokation erfolgen, nicht bestraft werden.

Seit 2021 ist das Thema in Bewegung gekommen, einerseits durch die Urteile des Euro­päischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2014 und 2020, zweitens durch Bundes­tagsanträge von FDP und Linken von Ende 2020 und die Anhörung von 2021, und drittens durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2021.

# Im Februar 2020 legte das Bundesjustizministeriums ein Gutachten des Deutschen Richterbundes vor, das eine Neufassung des relevanten Paragrafen des Strafgesetzbu­ches empfahl: „Im Falle einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder von Strafe absehen.“ Bislang ist keine Ände­ung erfolgt.

# Im Oktober 2020 kassierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein deutsches Urteil gegen einen Drogenhändler. Das Gericht sah in der Verurteilung einen Verstoß gegen das Gebot der fairen Behandlung, das durch die Europäische Menschen­rechtskonvention gewährleistet wird. Der Tat war eine rechtswidrige Tatprovokation vorausge­gangen. Eineinhalb Jahre lang hatte eine Vertrauensperson den Täter zu einem Heroinge­schäft überredet, was er eigentlich gar nicht machen wollte. Dem Gericht war dies be­kannt. Es hatte jedoch nicht auf eine Bestrafung verzichtet, sondern nur einen erheblichen Strafnachlass eingeräumt. Eine Verfassungsbeschwerde war erfolglos geblieben. Nun­mehr muss Deutschland Schadensersatz zahlen.

Schon 2014 hatte der EGMR in einem vergleichbaren Fall ein Urteil aufgehoben und Deutschland zu einer Entschädigung verurteilt. Dennoch hatte das deutsche Rechtswesen seine bisherige Praxis fortgesetzt, nur Strafnachlass zu gewähren und nicht auf eine Be­strafung zu verzichten.

# Im Dezember 2021 hat sich der Bundesgerichtshof weitgehend der Auffassung des EGMR angeschlossen und ein Verfahren wegen Handels mit Betäubungsmitteln an die Vorinstanz zurückverwiesen. Dort soll die Rolle eines von der Polizei eingesetzten ver­deckten Ermittlers neu bewertet werden. Es könne eine rechtsstaatswidrige Tatprovo­kation und damit ein Verfahrenshindernis vorliegen, da der V-Mann beim Angeklagten, der nur Kleinmengen an Rauschgift verkaufte, immer wieder um eine größere Lieferung Ko­kain gebeten habe. Bei der Übergabe griff dann die Polizei zu. Das Ausnutzen von Ver­rauen durch V-Leute sieht der BGH – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung ihres Einsat­zes – als schwerwiegenden Grundrechtseingriff an. Die Vorinstanz soll nun vor allem prü­fen, ob der V-Mann den Täter unter physischen und psychischen Druck gesetzt habe.

Die Grundsatzposition des BGH ist, dass das Gebot des fairen Verfahrens verletzt ist, „wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch einen Amtsträger oder eine von diesem geführte Vertrauensperson …. zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt.“ Scheinkäufe dürfen sich nur in einer Größenordnung bewegen, für die bereits ein polizeilicher Verdacht besteht. Bei der Strafermittlung seien Grundlage und Ausmaß der Tat, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen zu berücksichtigen. Von einer Tatpro­vokation sei auszugehen, wenn zwei Fragen bejaht werden können: War der Täter noch nicht tatgeneigt? Wurde auf den Täter Druck ausgeübt?

# Zeitgleich mit dem BGH-Urteil brachten FDP und LINKE Anträge im Bundestag ein, die sich mit dem Thema Tatprovokation durch Vertrauenspersonen befassen. Die FDP-Frakti­on stellt zunächst klar, dass der Einsatz von V-Leuten zwar „ein notwendiges Mittel der verdeckten Informationserhebung von Nachrichtendiensten“ ist, zugleich aber „ein Draht­seilakt, der sich im Grenzbereich zulässigen staatlichen Handeln bewegt.“ Solche Metho­den „greifen unmittelbar in Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wie das Recht auf Privat­sphäre ein“. Mit ihrem Antrag bemüht sie sich, den gesamten rechtlichen Rahmen der Tat­provokation zu gestalten und keinen regelungsbedürftigen oder -fähigen Sachverhalt aus­zulassen.

Die FDP will alle „Formen verdeckter Informationsgewinnung gesetzlich regeln.“ Sie bean­tragt die Erarbeitung einer Rechtsgrundlage, die die Einsatzbereiche von V-Leuten – ins­besondere bei Grundrechtseingriffen – definiert, sie auf Straftaten von erheblicher Bedeu­tung beschränkt und die Zulässigkeit sogenannter szenetypischer strafbarer Handlungen regelt. Die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe durch V-Leute sollen rechtlich fixiert werden. Dazu gehören klare Kriterien für die Auswahl, Voraussetzungen, Vergütung und Grenzen ihrer Tätigkeit und ein Richtervorbehalt für die Anordnung ihres Einsatzes.

Wie komplex die Thematik ist und wie vielfältig der Regelungsbedarf, zeigen die 14 von der FDP gestellten Anträge. Sie wollen den Einsatz auf Straftaten von erheblicher Be­deutung reduzieren, Voraussetzungen und Grenzen der Tätigkeit von V-Leuten festlegen (insbesondere bei der Mitwirkung bei szenetypischen Handlungen), die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen begrenzen, klare Abgrenzungen zwischen verdeckten Ermittlern und V-Leuten schaffen (wobei ersteren der Vorrang zukommt), einen Einsatz nur mit Richter­vorbehalt erlauben, Kontrollen auf parlamentarischer Ebene ermöglichen, die Behandlung der V-Personen im Strafprozess regeln, bundesweit harmonisierte Rechtsgrundlagen und Dienstvorschriften für die Führung von V-Leuten festlegen und letztlich bestimmen, wann Tatprovokationen zum Verfahrenshindernis werden.

# Die LINKE geht in ihrem Antrag davon aus, dass „Tatprovokationen mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar“ sind und bezieht sich auf die genannten höchstrichterlichen Urteile. Sie geht davon aus, dass die Einstufung der Tatprovokation als Verfahrenshindernis dazu führt, dieses Instrument seltener einzusetzen und Strafverfahren einzustellen. Da die zu Unrecht Inhaftierten nach ihrer Entlassung mit großen sozialen und wirtschaftlichen Nach­teilen zu kämpfen hätten, müssten ihnen angemessene Entschädigungen gewährt wer­den, Die LINKE beantragt daher, die Strafprozessordnung im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu ändern und im Gesetz über Entschädigungen bei Strafverfolgungsmaßnah­men für rechtsstaatswidrige Tatprovokationen eine Entschädigung von 250 € für jeden Hafttag festzusetzen.

# Im März 2021 waren die beiden Anträge Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im zuständigen Bundestagsausschuss. Anwälte und Rechtswissenschaftler begrüßten die beiden Vorlagen, die Vertreter/innen der Justiz äußerten sich eher skeptisch. Die Befür­worter/innen verwiesen auf die aktuellen höchstrichterlichen Urteile und erinnerten daran, dass schon seit langem eine gesetzliche Grundlage für die Tätigkeit von V-Leuten gefor­dert werde, weil sich die Strafprozessordnung als untauglich oder sogar als verfassungs­widrig erwiesen habe. Auch wurde ein gesetzliches Verbot der Tatprovokation gefordert.

Richterbund, Bund Deutscher Kriminalbeamter und Staatsanwaltschaft lehnten ein gene­relles Beweisverwertungsverbot der bei Tatprovokation gewonnenen Erkenntnisse ab und sahen keinen Anlass für eine Einschränkung der Tätigkeit von V-Leuten. Gesetzesände­rungen dürften auch nicht dazu führen, dass die Anonymität und der Schutz von V-Leuten gefährdet würden.

Die angestrebte Lösung bedingt also einen umfangreichen Abwägungsprozess. Zu beachten sind:

– das Ziel, rechtswidrige Tatprovokationen und die daraus erwachsenden Hindernisse bei der Strafverfolgung von vornherein auszuschließen,

– die Alternative, Tatprovokationen generell zu untersagen, oder sie im Strafprozess und bei der Strafzumessung angemessen zu berücksichtigen.

– die Vermeidung von Handlungen im Grenzbereich, die unmittelbar in Persönlichkeits­rechte der Betroffenen und deren Privatsphäre eingreifen,

– der Wunsch von Polizei und Staatsanwaltschaft, auch künftig Vertrauenspersonen zur Unterstützung der Ermittlungsarbeit einzusetzen,

– die Wahrung der Anonymität der V-Leute und ihr Schutz vor Enttarnung und Gefährdung,

– die rechtsstaatliche Problematik, dass V-Leute nicht vor Gericht auftreten, nicht in der Verhandlung mit ihren Aussagen konfrontiert werden und nicht vom Angeklagten befragt werden können

Ungeachtet der Komplexität der Problematik ist wegen der offenkundigen Rechtsunsicher­heit und der schweren Grundrechtseingriffe eine zügige Entscheidung über Gesetzesän­derungen erforderlich. Die Koalitionsabsicht geht übrigens weiter als der BGH, sie will ein ‘grundsätzliches’ Verbot der Tatprovokation. ‘Grundsätzlich’ ist jedoch ein dehnbarer Be­griff. Er kann als verbale Verstärkung gesehen werden (auf jeden Fall), allerdings auch als Einschränkung (im Prinzip ja, aber es gibt Ausnahmen).

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.