Wie Deutschland seinen Einfluss in Usbekistan verspielt – Die deutsche Bundesregierung findet keine Strategie für Usbekistan – und das bevölkerungsreichste Land Zentralasiens nähert sich immer weiter Russland und China an.
Seit Jahrzehnten betreibt die Regierung des zentralasiatischen Usbekistans eine „multivektorale Außenpolitik“ und baute im Rahmen dieser die Beziehungen zu verschiedenen Großmächten aus oder schränkte sie wieder ein. Doch egal, wie eng die usbekischen Beziehungen zu Russland, China oder den USA waren: Das Land hatte immer besondere Beziehungen zu Deutschland – bis jetzt.
Als 1991 die Sowjetunion zerfiel, gab es Massenbewegungen für eigene Staaten in Baltikum, in der Ukraine und auch im Kaukasus. In den fünf zentralasiatischen Republiken hingegen blieb es damals verhältnismäßig ruhig. Bereits in der Frühphase der Sowjetunion wurden diese Gebiete industrialisiert und die Kulturpolitiken einheimischer Kader ließen im Rahmen des sowjetischen Vielvölkerstaats neue Nationen entstehen. Der Lebensstandard im sowjetischen Zentralasien stieg über Jahrzehnte an. Ende 1991 erfuhr Boris Jelzin, dass die Ukraine sich von Moskau lossagte. Der damalige Ministerpräsident der russischen Teilrepublik realisierte, fortan in der Sowjetunion vor allem mit den zentralasiatischen Republiken zu verbleiben und löste die UdSSR kurzerhand auf. Für Russland hätte eine verkleinerte Sowjetunion mit den Zentralasiaten ein reines finanzielles Zuschussgeschäft bedeutet.
Viele Touristen in Usbekistan kommen aus der EU
In den drei Staaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan regierten die alten politischen Eliten nach dem Ende der Sowjetunion einfach weiter – die Kommunistischen Parteien benannten sich jeweils um, aber es gab kaum große Veränderungen in den politischen Systemen. In Tadschikistan kam es zu einem Bürgerkrieg, der erst 1997 endete. Einzig in Kirgisistan entstand für drei Jahrzehnte eine liberale Demokratie, die zuletzt jedoch auch in schwieriges Fahrwasser geriet.
Zwischen den reicheren Staaten Turkmenistan und Kasachstan auf der einen Seite und den regionalen Armenhäusern Kirgisistan und Tadschikistan auf der anderen Seite liegt Usbekistan. Mit über 35 Millionen Menschen leben in dem Land fast genau so viele wie in den anderen post-sowjetischen zentralasiatischen Staaten zusammen – die anderen vier kommen auf 41 Millionen Einwohner. Während in Turkmenistan und Kasachstan die politischen Eliten sich auf dem Erdgasreichtum, der unter ihren Böden schlummert, ausruhen konnten, ging das in Usbekistan nicht. Das Land lebt von der Landwirtschaft, dem Abbau von Gold, der Industrie sowie dem Tourismus. Wichtigste Agrarexportgüter sind Weizen, Kartoffeln und Baumwolle. In Städten wie Buchara, Chiwa und Samarkand können Touristen die Monumente jahrhundertealter Kulturen bewundern. Im Jahr 2019 kamen fast 100.000 EU-Bürger nach Usbekistan, um auf den Pfaden von Timur aus der Zeit Ende des 14. Jahrhunderts zu wandern.
Zwischen Washington und Moskau betrieb Usbekistan stets eine Pendelpolitik
Auf dem Gebiet der Menschenrechte sah es in Usbekistan seit der Unabhängigkeit düster aus. Islam Karimow, der noch 1990 in der Sowjetunion an die Spitze des Obersten Sowjets gelangt war, regierte nach der Unabhängigkeit des Landes nahtlos weiter. Die Kommunistische Partei nannte sich in Volksdemokratische Partei um und blieb an der Macht – erst später ließ Langzeitpräsident Karimow eine neue Partei aufbauen, die seitdem durchregiert. Keinen Urnengang seit der Unabhängigkeit stuften die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit als frei und fair ein.
In der Außenpolitik Usbekistans gab es bisher zwei deutlich unterscheidbare Epochen. Unter Karimow, der 2016 im Amt starb, schottete sich das Land von vielen Nachbarländern ab. Unter den Großmächten lavierte die usbekische Regierung hin und her. 1999 trat das Land dem Bündnis GUUAM bei, dessen Namen sich aus den Anfangsbuchstaben der Mitgliedsländer zusammensetzt.
In der Allianz sammeln sich die Staaten des post-sowjetischen Raums, die einer wirtschaftlichen, politischen oder gar militärischen Reintegration der Region kritisch gegenüberstehen. Wenige Jahre später verabschiedete sich Usbekistan wieder aus dem GUUAM-Bündnis (das wieder zu GUAM wurde), ließ die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eröffneten US-Basen im Land schließen und trat der russisch geführten Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit bei. Im Jahr 2012 wiederum trat Usbekistan wieder aus dieser aus. Zwischen Washington und Moskau betrieb Usbekistan stets eine Pendelpolitik, die einzig eigenen Regime-Interessen diente.
Usbekistan orientiert sich in Richtung Peking und Moskau
Nachdem Karimow im Jahr 2016 starb, übernahm Schawkat Mirsijojew, der bereits seit 2003 als Premier unter Karimow amtiert hatte, den Posten des Präsidenten. Das bis dahin relativ isolierte Land öffnete die Grenzen zu allen Nachbarländern. Mit Tadschikistan kam es zu einer politischen Tauwetterperiode, die Jahrzehnte lang kaum möglich schien. Die Grenze zwischen beiden Ländern war zwei Jahrzehnte sogar vermint.
Im Westen sorgte vor allem die Ankündigung von ökonomischen Liberalisierungen für freudige Stimmung. Doch vor allem russische und chinesische Konzerne begannen nach der wirtschaftlichen Öffnung, verstärkt in das Land zu investieren. Militärisch näherte sich die neue Regierung in Taschkent außerdem erneut Russland an. Hatte die usbekische Regierung lange Zeit eine Pendelpolitik zwischen Washington und Moskau betrieben, sind die zwei Pole, an denen sich Taschkent nun orientiert, Peking und Moskau.
Berlin und Taschkent kooperierten immer eng
Das Besondere an der usbekischen Politik des Austarierens zwischen den Großmächten war immer der Faktor Deutschland. Seit der usbekischen Unabhängigkeit war Taschkent der Schlüsselpartner Berlins in Zentralasien. Als 2005 die USA ihre Militärbasis in Karschi schließen mussten, da sich Usbekistan mal wieder vom Westen abwandte, blieb der Strategische Lufttransportstützpunkt der Bundeswehr in Termez nahe der afghanischen Grenze offen. Als infolge der Wirtschaftsliberalisierung russische und chinesische Konzerne sich immer mehr Aufträge in Usbekistan sicherten, verhandelte Taschkent mit Berlin darüber, ob ein Deutscher Vizeminister für Innovation Usbekistans werden könnte – ein deutscher Staatsbürger in Taschkent am Kabinettstisch. Nachdem diese Pläne bekannt wurden, gab es jedoch Widerstand und daraus wurde nichts. Was diese zwei Episoden zeigen: Berlin und Taschkent kooperierten immer eng.
Die besonderen deutsch-usbekischen Beziehungen sind jedoch nicht wirtschaftlich unterfüttert. Das Statistische Bundesamt listet Usbekistan unter Deutschlands Außenhandelspartnern auf dem 66. Platz. Von Taschkent nach Berlin brauchen Lkws rund 65 Stunden, wenn sie direkt durchfahren würden. Seehandel ist auch keine Alternative – Usbekistan ist eines von zwei Ländern auf der Welt, dessen Nachbarländer alle keinen Meereszugang haben. Die Lkw-Route über die transeurasische Autobahn E40 ist in einigen deutschen Wirtschaftszweigen wie der Fleischindustrie beliebt, aber nicht für größere ökonomische Bereiche der Volkswirtschaft. In den vergangenen Jahren wurde eine sogenannte Innovationspartnerschaft begründet, doch die schlägt sich noch nicht in den Außenhandelszahlen nieder.
Usbekistans komplizierte Lage
Stattdessen war die Verbindung Berlin-Taschkent immer eine rein machtpolitische. Für Usbekistan bot sie die Chance, besondere Beziehungen zur EU zu pflegen und für die Bundesrepublik kann das zentralasiatische Land als Plattform der Berliner Zentralasienpolitik dienen. Dabei ist vor allem hilfreich, dass Usbekistan nicht nur an alle anderen vier post-sowjetischen Staaten, sondern auch an Afghanistan grenzt.
Die Konfrontationspolitik der aktuellen Bundesregierung gegenüber Russland – forciert vor allem durch die Kabinettsmitglieder der Grünen und der FDP – zwingt Usbekistan in eine unangenehme Rolle. Bei den Abstimmungen in der UN-Vollversammlung im Verlauf des Jahres 2022 über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine blieb der usbekische Botschafter der Abstimmung fern oder stimmte sogar mit Moskau. Zu eng sind die Beziehungen zwischen den beiden Ländern.
Baerbock will vor allem innenpolitisch punkten
Zur allgemeinen Außenpolitik hinzu kamen jüngst einige Fehltritte: Als Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) im Oktober vergangenen Jahres Usbekistan besuchte, sorgte sie für Verstimmungen, da sie ein Frauenhaus besuchte und der usbekische Außenminister vor der Tür warten musste. Entweder war etwas nicht abgesprochen oder einfach schlecht geplant worden. Einen Monat später wurde der deutsche Botschafter in Taschkent ins usbekische Außenministerium beordert, nachdem deutsche Behörden Villen eines usbekischstämmigen russischen Unternehmers durchsucht hatten.
Gewalt gegen Frauen ist in Zentralasien, darunter auch in Usbekistan, ein ernstes Problem, welches in den lokalen Medien quasi nicht auftaucht. Unklar ist, wie den usbekischen Frauen geholfen wird, wenn die Bundesaußenministerin den obersten Diplomaten des Gastlandes vor den Kopf stößt. Vor allem Baerbocks Außenpolitik vermittelt immer wieder den Eindruck, dass es wichtiger ist, wie ihre Aktionen in Deutschland wirken, als dass sie außenpolitisch zielführend sind.
Über Werte schwadronieren
Anlässlich des Besuchs der grünen Außenministerin im vergangenen Herbst hieß es oft, es gehe der Bundesregierung darum, die usbekische Abhängigkeit von Russland und China zu reduzieren. Das wäre ein ambitioniertes Ziel: Laut der Asiatischen Entwicklungsbank gehen seit über 20 Jahren die meisten usbekischen Exporte nach China, dicht gefolgt von Russland. Bei den Importen konnte sich die Volksrepublik vor fünf Jahren auch an die Spitze der usbekischen Einfuhrstatistik durchsetzen. Es wäre interessant zu wissen, wie Deutschland da etwas verändern will.
Bereits 1927 verabschiedete die Regierung der Weimarer Republik ihre erste Zentralasienstrategie. In ihr ging es um die konkreten wirtschaftlichen und politischen Ziele Berlins in der Region. Die Frage ist, was die Interessen und Ziele der aktuellen deutschen Regierung in der Region sind. Reden vom Kampf der Demokratien gegen Autokratien oder die immer wiederkehrenden Wertediskussionen führen zu keiner konkreten Politik oder Handlungsempfehlungen. Wie Egon Bahr einst bereits sagte: „Wenn ein Politiker anfängt, über ‚Werte‘ zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.“
David X. Noack (geb. 1988) ist Historiker und Politikwissenschaftler mit den Spezialisierungen Osteuropa und Zentralasien. Aufgewachsen in Berlin, studierte er Geschichts- und Politikwissenschaft in Greifswald (B.A.), Militärgeschichte und Militärsoziologie (Military Studies) in Potsdam (M.A.) und ist seit 2015 Doktorand an der Universität Mannheim. In seiner diplomatiehistorischen Dissertation untersuchte er die Politik der Großmächte in Zentralasien in den 1920er- und 1930er-Jahren. Derzeit arbeitet er in Bremen als freier Journalist und Lehrbeauftragter an der dortigen Universität.
Letzte Kommentare