Beueler-Extradienst

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Vernunft geht von Bonn aus

Das Mediengewese um die Friedensbewegung

Ostern ist nachrichtenarm. Darum schaffen es die Ostermärsche der Friedensbewegung immer in die Nachrichten. Die Redaktionen sind wegen der Feiertage leergefegt. Die Agenturen übernehmen. Und die Feiertagsdienste in den öffentlichen Medien, Radio und TV. Zeit zum Recherchieren haben die nicht. Sie brauchen eine Verantwortungsadresse, der sie glauben. Der clevere Willi van Ooyen installierte jedes Jahr zu Ostern im Keller des IG-Metall-Hauses in Frankfurt/Main eine Telefonzentrale, in der alle lokalen Ostermarsch-Meldungen zusammenliefen, redigiert und an die deutschen Medien weiterverteilt wurden. Drei Jahre (1987-89) war ich dabei. Jeden Ostersonntag feierten wir den Erfolg, wenn in einer Vormittagsausgabe der ZDF-heute-Nachrichten der Ostermarsch in “Wyk auf Föhr” Erwähnung fand. Spätestens dann wussten wir: unsere Feiertagsarbeit lohnt sich.

In einem dieser drei Jahre geriet ich mit Willi in einen schwerwiegenderen Konflikt. In der westdeutschen DKP war, inspiriert durch KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow, ein Machtkampf zwischen Erneuerern und Altstalinisten imgange. Die DKP war demokratisch unbedeutend, organisationspolitisch aber durch die finanzielle Förderung aus der DDR relevant. Sie betrieb eine Tageszeitung “Unsere Zeit” (UZ), in der der gleiche Machtkampf tobte, wie in der Partei. Nach einem dieser Ostermärsche fragten sie bei mir einen Gastkommentar an. Ich lieferte, und erwähnte u.a., dass die Ostermärsche für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung demonstriert hätten. Das gefiel Willi damals gar nicht; er beschwerte sich bei einem meiner Arbeitskollegen (und es war nicht der Extradienst-Gastautor Gert Samuel), er solle mich besser kontrollieren und disziplinieren. Dieser – wie ich in den 90ern den Akten entnehmen konnte Stasi-IM – petzte mir das direkt ohne weitere Konsequenzen weiter. Wir pendelten seinerzeit zusammen zwischen Beuel und Köln-Zollstock, und teilten unsere Gorbatschow-Sympathien.

Warum erzähle ich das? Irgendwann erstarben Willis gute Beziehungen zur IG Metall, und heute werden die Ostermarsch-Infos vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn an die Medien verteilt. Hier wird nun den Medienarbeiter*inne*n etwas von ihrer Wochenendarbeit erleichtert. Mein alter Freund Kristian Golla hält nach dem Tod von Mani Stenner Fäden in der Hand, und kommt hier bei Christian Jakob/taz angemessen zu Wort. Kristian lernte ich 1987 beim Volkszählungsboykott kennen. Damals führte er noch Geschäfte bei der Gemeinderatsfraktion der Rheinbacher Grünen. Wenig später wechselte er zu Manis Verstärkung ins Bonner Koordinationsbüro. Er war nie der Pressesprechertyp (Redner schon gar nicht), sondern immer der Macher, der jedes Organisationsproblem pragmatisch löste. Meiner Anregung, diese Fähigkeit als Dienstleister für soziale Bewegungen zu kommerzialisieren, folgte er nicht. Was ihn mir noch vertrauens- und glaubwürdiger macht.

Was ihn so nervt, und mich ebenfalls zeitlebens genervt hat, ist das allgemeine Geschwätz über “die” Friedensbewegung. In dem bestimmten Artikel drückt sich ein fundamentales Missverständnis aus. Eine soziale Basisbewegung, unabhängig von Parteien und kommerziellen Interessen, ist immer heterogen und vielfältig. Das ist Stärke und Schwäche zugleich, aber kaum zu ändern. Medien wollen immer Namen und Adressen von welchen, die den Hut auf haben, die sprechfähig für eine relevante Organisation sind (fragen Sie mal bei Fridays For Future). Bewegungen sind jedoch nicht amüsiert, wenn sich ihre politische Führung von Medien proklamieren lässt. Das wäre ja noch schöner, wenn Konzernmedien oder TV-Chefredakteure politische Anführer*innen bestimmen – manche von denen versuchen es trotzdem immer wieder. Auch viele Individuen – insbesondere solche, die nach Ausreden für ihre Inaktivität suchen – gehen in diese Falle. Sie ordnen “der” Bewegung diesen oder jenen Fehler, irgendeine beliebige absurde politische Aussage zu, um zu begründen, warum sie nicht mitmachen. In heterogenen sozialen Bewegungen finden sich solche “Begründungen” immer und nach Belieben.

Tatsache bleibt: die Friedensbewegung ist so stark oder schwach, so doof oder intelligent, wie DU sie machst. “Mitgliedschaft”, “Ein-“ oder “Austritt”, auch “Ausschluss” (was die politische Hygiene erleichtern würde) gibt es nicht. Die Alternativen sind Mitmachen (+ Beeinflussen!) oder es Seinlassen, jede*r nach eigenem freiem Willen. Ein besserer Seismograph als irgendeine Partei. Und ein ehemaliger FDP-Generalsekretär gehört dazu.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Gestalt

    @extradienst Das war nicht immer so: Die staatliche #Zensur in den öffentlichen #Medien verschwieg zumindest in den Nachrichten die #Bewegung in vielen Jahrzehnten, und die polizeilichen Angaben waren eher spärlich, wenn nicht viele Einsatzkräfte nötig waren.

    • Martin Böttger

      Was die Bewegung aber nicht aufhalten konnte, wenn sie sich als intelligent und bündnisfähig erwies. Ein Schlüsselprojekt war Ende der 70er/Anfang der 80er die konstruktive Verbindung von Umwelt/Anti-AKW-Bewegung mit den damals bestehenden Friedensorganisationen, die alle Parteien dazu zwang, dazu Stellung zu beziehen. Unser Autor Andreas Zumach war einer dieser intelligenten Täter: https://extradienst.net/author/andreas-zumach/
      Heute fällt es mir schwerer, solche Typen, Frauen mitgemeint; damals z.B. Mechtild Jansen: http://www.mechtild-jansen.de/ – oder Tissy Bruns: https://de.wikipedia.org/wiki/Tissy_Bruns – zu entdecken.

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